Henkel-Nachfolgerin Grütters: Berlins CDU sucht ihre Zukunft
Kultur, Kanzleramt und Hauptstadt – das ist das Berlin von Kulturstaatsministerin Monika Grütters. Ihre CDU denkt lieber in Kiezen und Bezirken. Dafür steht Senator Mario Czaja. Beide arbeiten am Neuanfang.
Das Amt, das sie da hat, bringt nicht nur einen Bonus mit sich, sondern zwei. Den einen genießt Monika Grütters, auch wenn es kalt und schon spät ist. Es ist der Blick, den man vom achten Stock des Kanzleramtes auf Berlin hat. Zu Grütters’ Büro im obersten Stock des Schultes-Baus gehört eine nicht besonders große, aber exklusive Terrasse. Man sieht von dort den Reichstag und den Spreebogen, das politische Berlin mit den Büroklötzen der Bundestagsabgeordneten, den Potsdamer Platz, adrette Altbau-Zeilen in Mitte.
Monika Grütters, 54 Jahre, Germanistin und Kunsthistorikerin, nutzt den Abend gern zum Redenschreiben und belohnt sich mit diesem Big-City-Blick für die langen Tage. Die bringen den zweiten Bonus ihres Amtes mit. Es sind die Begegnungen mit Menschen aus der Kultur und der Wissenschaft, mit Leuten, die Kunst herstellen und die man nach Berlin holen kann, damit sie das hier tun.
Manchmal gelingen Deutschlands erster Kulturschaffenden ziemliche Coups, der mit Neil MacGregor etwa. Dass der Mann vom British Museum in London, dem vielleicht bekanntesten Museum der Welt, sich als Gründungsintendant um das Humboldt-Forum kümmert, macht Hoffnung für das neue Ausstellungsgebäude am Schlossgelände – man muss nur MacGregors Buch „Eine Geschichte der Welt in 100 Objekten“ lesen.
Das Kanzleramts-Kultur-Berlin ist nicht das einzige Berlin, in dem Grütters unterwegs ist. Da ist auch noch die Berliner Politik, der örtliche Polit-Betrieb, die seltsam unentschiedene Mischung aus Landes-, Kommunal- und Kiezpolitik. Grütters wird in den kommenden Monaten mehr damit zu tun haben. Nach langer Diskussion verständigte sich am Dienstag das CDU-Präsidium darauf, dass sie bis auf weiteres den Landesverband führen soll.
Mit Henkel sondiert Grütters an diesem Mittwoch mit der SPD
Mit Henkel sondiert Grütters an diesem Mittwoch im Roten Rathaus die vagen Möglichkeiten einer Koalition mit der SPD. Derzeit spricht nichts für ein neues Bündnis mit Michael Müller. Die CDU steht vor der Opposition, Henkel wird den Landesvorsitz bald abgeben. Die Frau, die 2017 wieder Berliner CDU-Spitzenkandidatin bei der Bundestagswahl werden will, hat es in der Hand, ihre wenig metropolenhafte Partei auf neue Ideen zu bringen und ihr, vielleicht, neuen Esprit zuzuführen. Allerdings ist Grütters der Job schon mal angeboten worden, nur hat sie vor ein paar Jahren nicht gewollt, hauptamtlich die Clans der Berliner CDU zu einen.
Diese zweite Aufgabe hat diesmal mit einem Mann zu tun, den seit einem Jahr die ganze Republik kennt, den sie fast alle zum Rücktritt aufforderten, der ihn – in geschlossener Sitzung – sogar angeboten hatte, von dem aber eben auch klar war, dass andere es nicht besser machen würden: Mario Czaja. Eigentlich stand Czaja, Betriebswirt, schon seit 2011 unter Druck, als er Senator für Gesundheit und Soziales wurde.
Denn bald begann der Streit um seinen mutmaßlich rechtsnationalen CDU-Staatssekretär, den die Parteiführung für ihn ausgesucht hatte. Dann kamen die Flüchtlinge und am Landesamt für Gesundheit und Soziales, dem Lageso, saßen im Sommer 2015 Tausende im Dreck. Grütters schätzt Czaja, und er nennt sie die „herausragendste Politikerin der Berliner CDU“.
Der Gewinner des Wahldesasters ist Mario Czaja
Aus dem Wahldesaster der Landes-CDU ist Mario Czaja als Gewinner hervorgegangen, mehr noch: Er ist der erfolgreichste Direktkandidat der ganzen Stadt. Als Abgeordneter vollbringt der Mann aus Mahlsdorf in Marzahn-Hellersdorf, ganz im Osten der Stadt, Ungewöhnliches. Mitten im restsozialistischen Umfeld seines Wahlkreises gewinnt er nicht nur gegen die Linke, sondern nun auch gegen die AfD. Am Sonntag hatte Czaja als einer der ganz wenigen Christdemokraten dazugewonnen: Mehr als 47 Prozent stimmten für den Noch-Gesundheitssenator, für seine Partei im Bezirk 31,6 Prozent. Czaja bekommt also Stimmen von Wählern anderer Parteien – das dürften vor allem Linken-Wähler sein. Einen Tag nach der Wahl sagt er, als könne er es immer noch nicht fassen: „Ja, ist schon beachtlich.“
Czaja weiß – und vielleicht macht auch das ihn sprachlos –, Grütters und er gelten jetzt als die Zukunft der Berliner Union: Grütters als diejenige, die wieder Zuversicht und Ruhe in die Partei bringen kann, Czaja als der, der bewiesen hat, dass er kämpfen und gewinnen kann. Und weil die, die in der CDU heute was zu sagen haben, wissen, wie schwer es ist, neue Leute zu gewinnen, wenn man auf ein paar Jahre Opposition abonniert ist, wollen sie Czaja halten: als Spitzenkandidaten für die nächste Wahl.
Dabei, das weiß Czaja eben auch, hat er in der Lageso-Krise nicht so durchgegriffen, wie die Beamten, das Amt und die Stadt es gebraucht hätten.
Nach den Zahlen vom Sonntag erklärte ein Kenner das 17,6-Prozent-Ergebnis auch mit der Vorgestrigkeit seiner Partei. Die Berliner CDU sei, gemessen an der Bevölkerung, unterdurchschnittlich: zu wenig Frauen, zu wenig Junge, zu wenig Migranten, zu wenig Ossis.
Monika Grütters, die Ausnahmefrau, ist Beweis für diese These, seit 2005, als sie erstmals ein Bundestagsmandat gewann. Sie hat es als Frau schwer gehabt, in eine Position zu kommen, in der sie so viel für Berlin tun kann wie wenig andere Politiker der Stadt. Als Grütters, nach zehn Jahren im Abgeordnetenhaus, für den Bundestag auf dem ersten Listenplatz antrat, verdeckte die Berliner CDU bloß, wie sehr sie Männerpartei mit Männerkumpanei-Umgangsformen war. Der erste Listenplatz war das Ergebnis eines Deals. Grütters, die in der Wilmersdorfer CDU zu Hause ist und dort wohnt, war für diesen Deal politisch umgezogen – nach Marzahn-Hellersdorf, aus Sicht der damaligen Frontmänner der Partei bestenfalls Entwicklungsgebiet und in Grütters’ Gefühlswelt sozusagen Diaspora.
Verwurzelt im Kiez - das war das Erfolgsmuster der CDUler
Mit dem Vorteil, dass sie dort Mario Czaja schätzen lernte. Dessen katholische Familie ist in Mahlsdorf so verwurzelt, dass an den Czajas niemand vorbeikommt – zumindest nicht als halbwegs gut gehender Wirt, als lokaler Vereinschef oder als Kirchenmann. Die Czajas sind Zuhörer und Kümmerer.
Für die Frontmänner der aus dem Westen dominierten 90er-Jahre-CDU aber war damals anderes wichtiger: Sie konnten in ihrem Stil weitermachen. Der Stil war, bildlich gesprochen, CDU in Aspik. Männer machen Politik, Männer wie Ingo Schmitt, einst Landeschef, vormals Verkehrsstaatssekretär, qualifiziert für eine Polit-Karriere durch Oberleitung des wichtigsten Kreisverbandes der Partei, die CDU in Charlottenburg-Wilmersdorf, sinnlich „ChaWi“ genannt.
In dieser CDU gehörte es noch 2013 zum Karrieremuster, dass Bewerber für ein Bundestagsmandat in ihrer Kandidatenrede ihre Verwurzelung im Kiez betonten. Klaus-Dieter Gröhler zum Beispiel wies ganz stolz die Delegierten, die ihn für den Bundestagswahl nominieren sollten darauf hin, dass er sein ganzes politisches Leben im Bezirk verbracht hatte. Im West-Bezirk wohlgemerkt.
Heilmann gelangte in den Machtzirkel - gescheitert ist er trotzdem
Immer mal wieder kam einer von außen, hat es versucht. Friedbert Pflüger etwa, CDU-Bundestagsabgeordneter aus Hannover, einst Mitarbeiter des in West-Berlin verehrten Richard von Weizsäcker, trat 2006 an, um die Berliner CDU zu retten. Er scheiterte – an Klaus Wowereit, an sich selbst, aber auch daran, dass ihm die CDU-Kreischefs innerparteiliche Macht verwehrten.
Und Thomas Heilmann – das lebende Gegenbeispiel zur These der Berlin-Fixierung der Berliner CDUler? Heilmann, der Werbewirtschafter, kam 2009 von außen und fand scheinbar Zugang zur neuen CDU-Führung um Frank Henkel. Er beriet den Underdog im Wahlkampf und tat viel für das durchmodernisierte Erscheinungsbild der CDU. Und Heilmann schaffte es auch in den Machtzirkel der Kreisfürsten der Union. Gescheitert ist er trotzdem – an seinem Anspruch, sagen manche, an einer doch nicht so überzeugenden Performance als Justizsenator ab 2011, sagen andere. Außerdem daran, dass er die Personalvertreter seiner Behörden kaum beachtete, an Fehlern wie der Demontage des CDU-Bürgermeisters von Steglitz-Zehlendorf, sagen wieder andere.
Allerdings ist die Berliner CDU eben auch von einer Kollektiv-Mentalität, die es Nicht-Berlinern schwermacht. Es war nicht mal 90er-, es war 60er-Jahre-Mentalität, die in Politikern wie Ingo Schmitt lebte. In den 60ern hatten Eberhard Diepgen und Klaus Landowsky eine West-Berliner CDU gegen den linken Mainstream geformt: pro-amerikanisch in Zeiten heftiger Anti-Vietnamkrieg-Proteste, höchst DDR-kritisch, in Burschenschaften wurzelnd, während die Linken eifrig Kommunen gründeten. Eine konservative Mentalität, gehärtet an der Mauer, die West-Berlin umgab, konserviert bis in die 80er, als Eberhard Diepgen endlich und für lange Zeit Bürgermeister wurde und Klaus Landowsky CDU-Fraktionschef.
Czaja hat gelernt, CDU-Funktionären zu misstrauen
Monika Grütters verdankt Landowsky zumindest den Anfang ihrer Karriere im Berliner Abgeordnetenhaus. Landowsky, alles andere als kleinkariert, hatte Grütters, die Sprecherin der Senatsverwaltung für Wissenschaft und Forschung, für eine Kandidatur gewonnen, mit ihr förderte er Polit-Talente wie Peter Kurth und Frank Steffel. Zumindest Grütters und Kurth galten damals als die jungen Liberalen der Berliner CDU. Schon die Etikettierung dürfte Kreischefs wie Schmitt gestört haben. In seinem „ChaWi“ achtete er darauf, dass Grütters keine eigene Machtbasis aufbaute.
Auch Peter Kurth, wie Grütters ein Zuwanderer aus dem Westen der Republik, wie Grütters gebildet, ehrgeizig und nicht in West-Berlin sozialisiert, wurde kurz gehalten, bis er, nach dem Mauerfall, in die CDU Pankow umzog. Kurth, Finanzsenator von 1999 bis zum Zusammenbruch des Diepgen-Senats unter dem Bankenskandal, zeigte im aufstrebenden Ost-Bezirk, wie man eine Partei modernisiert: etwa indem man das Delegiertenprinzip durch Mitgliederentscheide ersetzt. Die CDU Pankow gehörte lange zu den Verbänden mit bundesweit stärkstem Mitgliederzuwachs.
Kurth könnte einer von denen sein, die eine unter Henkel nicht moderner gewordene CDU nach vorn bringt. Für ihn, der offen schwul lebt, war bezeichnend, dass sich Henkel in der Debatte über die Homo-Ehe nicht traute, seinen Parteifreunden Vorgaben zu machen. Auf die Frage, ob er sich nach dem Wahldebakel neu einbringen will, sagte Kurth bloß: „Mal gucken …“ Czajas Truppe im Osten stimmte übrigens für die Homo-Ehe.
Will die Partei ihren Czaja noch halten, müsste es bald entsprechende Angebote geben. Denn Czaja hat andere Möglichkeiten, finanziell lukrativere zumal – ein Großunternehmen oder ein Verband werben in diesen Tagen um ihn. Wer genau, will Czaja nicht verraten. Trotz Lageso-Krise gilt er als fähiger Organisator und gut vernetzter Gesundheitsexperte. In den Kliniken nähmen sie ihn als Manager, in Berufsverbänden sowieso.
Außerdem hat Czaja gelernt, den CDU-Funktionären zu misstrauen. Als er 2011 Senator wurde, gab es parteiintern erst Spott, dann Missgunst, schließlich Schadenfreude. Mario Czaja, der vom alten West-Berlin ungeliebte Ziehsohn des früheren CDU-Finanzsenators Elmar Pieroth, kooperierte in den 90ern in seinem Bezirk mit der PDS. Ein Ausschlussverfahren überstand er zwar, rehabilitiert wurde Czaja aber erst Jahre später.
Richtig legte sich der Sozialsenator mit seinen West-Berliner Parteifreunden an, als ab 2014 zehntausende Flüchtlinge aus dem Nahen Osten nach Berlin kamen und Czaja drohte, leere Gebäude auch in CDU-Hochburgen beschlagnahmen zu lassen, um Asylheime einzurichten.
In der Mahlsdorfer Kiezpolitik hat Czaja gelernt, den richtigen Zeitpunkt abzuwarten. Selbst auf dem Höhepunkt der Lageso-Krise hat er die Schuld nicht auf seine Partei geschoben, nur so viel: „Es war nicht einfach, von allen Unterstützung zu bekommen.“ Und auch jetzt antwortet er knapp: „Ich äußere mich nicht zu Personaldebatten, die wir erst mal in der Partei führen müssen.“
Nicht Czaja steht unter Zugzwang, sondern seine Partei. Er kann zufrieden sein, abwarten. Diesen Mittwoch hat er sich freigehalten. Mario Czaja hat Geburtstag. Aber er wird ja erst 41.
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