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Frauen, die Frauen lieben: Der Begriff „lesbisch“ begann sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts durchzusetzen.
© Boris Roessler/dpa

Das Queer-Lexikon: Wie Lesben wurden, was sie sind

Von Virginia Woolf bis Kristen Stewart: Eine kurze Geschichte des Lesbentums als neue Folge unseres Queer-Lexikons.

„O verdammt Virginia, ich wünschte, ich würde Dich nicht so sehr lieben. Nein, das tue ich nicht; das ist nicht wahr. Ich bin froh, dass ich es tue.“ Hunderte von Briefen hat Vita Sackville-West in den zwanziger Jahren an Virginia Woolf geschrieben. Virginia Woolf revanchierte sich, indem sie ihrer Geliebten mit dem Roman „Orlando“ ein Denkmal setzte.

Die beiden Schriftsteller*innen gehören zur lesbischen Hall of Fame, gemeinsam mit ihren Zeitgenossinnen Erika Mann und Therese Giehse, Claire Waldoff oder Patricia Highsmith. Inzwischen sind dort auch berühmte Fußballspieler*innen eingezogen (Abby Wambach und Nadine Angerer), Theoretiker*innen (Monique Wittig und Judith Butler) sowie Filmschauspieler*innen (Jody Foster oder Kristen Stewart), Journalist*innen (wie Anne Will oder Carolin Emcke), Politiker*innen (Barbara Hendricks oder Jóhanna Sigurðardóttir) und Bürgerrechtler*innen (Angela Davis oder Audre Lorde).

Sappho gilt als Urmutter des Lesbentums

Als Urmutter des Lesbentums gilt die Dichterin Sappho, die im 6. Jahrhundert vor Christus auf der griechischen Lesbos eine höhere Mädchenschule betrieb  und in ihren Gedichten die Liebe zwischen Frauen besang. Heute reisen Lesben aus der ganzen Welt nach Lesbos, um auf Sapphos Spuren zu wandeln und um unter Lesben Urlaub zu machen. Jedes Jahr gibt es auf Lesbos ein internationales Frauenfestival.

Der Begriff „lesbisch“ begann sich allerdings erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts durchzusetzen. Daneben war auch von „sapphischer Liebe“ oder noch im 20. Jahrhundert von „Tribaden“ die Rede, vom altgriechischen Wort „tribas“ – „reiben“. Dieses Wort war in der Antike für Sex zwischen Frauen verwendet worden. Die englische Schriftsteller*in Radclyffe Hall bezeichnete Lesben in ihrem berühmten Lesbenroman „The Well of Loneliness“ („Quell der Einsamkeit“) von 1928 als „Invertierte“, also als „Umgekehrte“. Damit bezog sie sich auf Forschungen des Mediziners Richard von Krafft-Ebing, wonach Lesben eine männliche Seele haben, was ihre vermeintliche Männlichkeit im Auftreten und ihr Begehren erklären sollte.

Das Leid in der NS-Zeit war lange nicht bekannt

Alle Begriffe für Liebe und Sex zwischen Frauen* wurden Jahrtausende lang abfällig verwendet. Vor allem aber wurde Frauen*liebe tabuisiert. So war es für Frauen* lange schwer, ihre Liebe zu einer Frau* einzuordnen und ihre Identität auf den Begriff zu bringen. Das Unsichtbarmachen von Lesben hat auch dazu geführt, dass ihr Leid in der NS-Zeit lange nicht bekannt war (um die Aufarbeitung hat sich etwa die lesbische Historiker*in Claudia Schoppmann gekümmert). Lesben fielen zwar nicht wie Schwule unter den Paragrafen 175 und wurden auch nicht entsprechend verfolgt. Dennoch mussten viele sich verstecken oder in Scheinehen flüchten, wenn sie nicht in der Psychiatrie, Haftanstalten oder Konzentrationslagern enden wollten.

Erst mit den emanzipativen Bewegungen der sechziger und siebziger Jahre nannten frauen*liebende Frauen* sich selbst „Lesben“ und versuchten, den Begriff und die Sache damit aufzuwerten. Von heterosexuellen Feministinnen in der zweiten Frauenbewegung der siebziger und achtziger Jahre wurden sie aber auch diskriminiert und ausgeschlossen, wie etwa die lesbische Berliner Geschlechterforscher*in Sabine Hark in ihrem Buch „Dissidente Partizipation“ dargelegt hat.

Bis heute werden Lesben weltweit diskriminiert oder sogar verfolgt, nicht zuletzt, weil es als Affront oder gar als Kampfansage gegen die Machtverhältnisse gilt, wenn Frauen* dem herrschenden Geschlecht das Begehren verweigern. In vielen Ländern sehen sich Lesben nicht nur mit Ausgrenzung, sondern auch mit homofeindlichen Gesetzen und/oder  Hassverbrechen konfrontiert. In Russland gelten Lesben und Schwule als geisteskrank und müssen mit physischer Gewalt rechnen, wenn sie sich politisch betätigen. In China gehen Lesben Scheinehen ein, um dem gesellschaftlichen Druck auszuweichen. In Südafrika sind zahlreiche Lesben vergewaltigt worden – die Täter wollten sie damit „korrigieren“. Dort hat sich das Netzwerk „Coalition of African Lesbians“ gegründet. In ihm haben sich 14 Organisationen aus elf Ländern zusammengeschlossen, um Lesben- und Frauenrechte in Afrika voranzubringen.

In großen Städten gibt es kaum noch Lesbenbars

Während die Lesbenemanzipation vielen Lesben in der westlichen Welt dabei geholfen hat, eine positive lesbische Identität zu entwickeln, wollen sich unter jüngeren frauen*liebenden Frauen* nicht mehr alle als Lesben bezeichnen. Gerade jene, die von der Queer Theorie beeinflusst sind, lehnen solche Kategorien für sich ab und betonen das Flüssige ihres Begehrens und ihrer Identität. Entsprechend suchen sie auch nicht eigens lesbische Partys oder Orte auf – vielleicht ein Grund dafür, dass es in den großen Städten fast keine Lesbenbars mehr gibt und spezielle Ecken für Lesbenliteratur in Buchhandlungen seit langem der Geschichte angehören.

Andere frauen*liebende Frauen* glauben ganz im Gegenteil, dass lesbische Identitäten und der Kampf um Lesbenrechte weiter nötig sind – alleine deshalb, weil frauen*liebende Frauen* weiterhin als Lesben diskriminiert werden und sie sich im politischen Kampf unter diesem Etikett vereinigen können. Um Lesben sichtbar zu machen, finden inzwischen auch in deutschen Städten seit einigen Jahren im Vorfeld der Christopher Street Days eigene Demos statt, die Dyke Marches.

Während manche frauen*liebende Frauen* sich nicht als Lesben betrachten, gibt es auch Lesben, die sich nicht unbedingt als Frauen* betrachten. „Lesben sind keine Frauen“, lautet ein berühmter Satz der französischen Theoretiker*in Monique Wittig von 1978. Schließlich existiere die Kategorie „Frau“ nur in Relation zur Kategorie „Mann“. Lesben hingegen existierten ja aber gerade nicht in Relation zum Mann. Wittig engagierte sich für die Abschaffung der Genderkategorien.

Der Einfluss der Queer Theory

Ähnliche Gedanken haben sich mit der Popularisierung der Queer Theory unter Lesben verbreitet. Manch eine Lesbe fragt sich, warum es für sie wünschenswert sein soll, zur Kategorie „Frau“ zu gehören, ohne die Anforderungen der Gesellschaft an eine „Frau“ erfüllen zu können. Signalisiert die Mehrheitsgesellschaft den Lesben doch, dass sie keine „richtigen“ Frauen sind (und Schwule keine „richtigen“ Männer). Denn „richtige“ Frauen haben der gesellschaftlichen Norm zufolge nicht bloß eine Vagina, sondern sie lieben außerdem Männer und kleiden und verhalten sich so, wie man es eben von Frauen erwarten darf. Entsprechendes gilt für „richtige“ Männer.

Die US-amerikanische Philosophin Judith Butler hat diese kulturelle Geschlechternorm als „heteronormative Matrix“ beschrieben: Die heterosexuelle Mehrheitsgesellschaft verlangt die Übereinstimmung des anatomischen Geschlechts (englisch: sex) mit einer entsprechenden sozialen Geschlechterrolle (gender) und dem (heterosexuellen) Begehren (desire). Abweichungen von dieser binären Ordnung gelten als „unnatürlich“.

Da Schwule und Lesben es schwer haben, als richtige Männer und Frauen zu gelten, muss man sich nicht wundern, wenn sich  manche selbst von diesen Kategorien distanzieren. Allerdings ist es nicht so einfach möglich, auszusteigen und neue  Geschlechtskategorien zu gründen, wie auch Judith Butler betont. Denn wer weder ein Mann noch eine Frau ist, gilt bloß noch als Freak und wird noch mehr ausgegrenzt als eine lesbische „Frau“.

Kultur der Lesben ist sichtbarer geworden

In vielen Ländern haben Lesben in den vergangenen Jahrzehnten jedenfalls mehr Akzeptanz erkämpft. Sie sind mit ihrer Kultur sichtbarer geworden, wie sich etwa in populären Serien wie „The L-Word“ (2004 bis 2009) oder „Orange Is The New Black“ (seit 2013) zeigt. Auch ein großes heterosexuelles Publikum wollte 2015 den mehrfach Oskar-nominierten Film „Carol“ (nach dem Roman von Patricia Highsmith von 1952) über eine lesbische Liebe sehen. Und auf der Berlinale wurde 2017 die Regisseurin, Autorin und Produzentin Monika Treut mit dem Special Teddy Award für ihre Verdienste um den deutschen Film - nicht zuletzt den lesbischen und feministischen Film - geehrt. Im gleichen Jahr würdigte die Dokumentation „Chavela“ die lesbische Sänger*in Chavela Vargas, die zuerst in Mexiko und dann weltweit berühmt wurde.

Weil Lesben sich inzwischen um die Aufarbeitung ihrer Geschichte bemüht haben, konnten Ausstellungen wie „Porn That Way“ in Berlins Schwulem Museum* (2015) oder „Homosexualität_en“ im Berliner Deutschen Historischen Museum (2015) auch lesbische Lebenswelten dokumentieren. Und ganz offiziell kümmert sich die Bundesstiftung Magnus Hirschfeld unter dem Motto „Forschung, Bildung, Erinnerung“ um die Gruppe der LGBTIQ – also auch um lesbische Kultur.

Vor allem können Lesben in der westlichen Welt heute einen alternativen Lebensstil jenseits der Hetero-Ehe leben – was ihren Schwestern* zu Zeiten von Virginia Woolf und Vita Sackville-West kaum frei stand. Auch die beiden Schriftstellerinnen waren mit Männern verheiratet, wie es sich damals gehörte.  

Das Queer-ABC* des Queerspiegels erklärte Begriffe rund um die Geschlechter - alle Beiträge finden Sie hier.
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Das Queer-Lexikon erscheint auf dem Queerspiegel, dem Blog des Tagesspiegel über LGBTI-Themen. Den Queerspiegel finden Sie hier

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