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Angela Davis steht in einem Raum der Universität Frankfurt am Main.
© dpa

Angela Davis an der Uni Frankfurt: Widerstand und Wissenschaft

Die US-amerikanische Bürgerrechtlerin Angela Davis ist an die Universität Frankfurt zurückgekehrt. In den 60er Jahren hat sie dort studiert, jetzt wurde eine Gastprofessur für Gender und Diversity nach ihr benannt.

Siege erringen zu wollen, ist das Leitmotiv von Angela Davis. Ein leicht singender Tonfall, Pausen der Überlegung, dazwischen ein starkes Lachen: So klingt die Akademikerin, Aktivistin und Revolutionärin. Sie ist, was ihr nachgesagt wird: engagiert und mitfühlend, widerständig und intellektuell. Und das alles immer ganz.

Die emeritierte Professorin der University of California, Santa Cruz, kämpft seit den Sechzigern für soziale Gerechtigkeit und forscht zu sich überlagernder Ungleichheit aufgrund von Ethnizität, Klasse und Geschlecht. Sie ist eine der wenigen bekannten Überlebenden der US-amerikanischen Bürgerrechtsbewegung, deren Vertreter wie Malcolm X oder Martin Luther King ermordet wurden. Als sie 1973 unter falscher Beschuldigung wegen Mord, Entführung und Verschwörung angeklagt wird, sitzt sie zwei Jahre in Untersuchungshaft. Es ist eine Zeit der Angst, der Einsamkeit und Anstrengung, nicht verrückt zu werden. Zeitweise ist sie in der psychiatrischen Abteilung eingesperrt, wo Häftlinge mit Psychopharmaka ihres eigenen Willens beraubt werden. „Sie wollten mich brechen. Ich habe dafür gekämpft, dass es mich nicht schwächer, sondern stärker macht“, sagt Davis.

Eine weltweite Protestbewegung erhebt sich für ihre Befreiung. In Deutschland treten Wissenschaftler, Studenten, Journalisten und Politiker für sie ein. Tausende DDR-Bürger schicken ihr in der Solidaritätsaktion „Eine Million Rosen für Angela Davis“ blumenbestickte Postkarten ins Gefängnis. „Als immer mehr Säcke mit Karten bei mir ankamen, wurde mir klar, wie sehr ich Teil einer globalen Bewegung bin“, sagt Davis. In einer spektakulären Verhandlung wird sie in allen Punkten freigesprochen, bleibt weiter aktiv: lehrt, schreibt, engagiert sich.

Für Angela Davis ist die Revolution eine „ernsthafte Sache“. Eine, der sie sich für ein Leben verpflichtet hat. Nach fast 45 Jahren ist sie nach Frankfurt am Main an die Universität zurückgekehrt. An den Ort, wo sie 1965 bis 1967 Philosophie und Soziologie studierte. Auf Einladung des Cornelia-Goethe-Centrums für Frauenstudien und die Erforschung der Geschlechterverhältnisse hat sie die nach ihr benannte Gastprofessur für Gender und Diversity Studies eröffnet. Zwei Wochen lang teilt sie ihr Wissen zwischen Theorie und Praxis und gelebter Erfahrung mit hunderten Zuhörern bei öffentlichen Vorträgen und mit Studenten in einem kleinen uni-internen Blockseminar.

Standing Ovations, als sie den Raum betritt, lauter Zuspruch bei pointierten Statements. Nach ihren Vorträgen gesellt sich Davis unter die Gäste, ist offen für Fragen und lässt sich mit jedem fotografieren, der sie bittet. Es ist ihre Geschichte, ihr Widerstand und ihr Überleben, das sie für andere erstrahlen lässt. Als Nelson Mandela stirbt, zündet sie eine Kerze in ihrem Seminar an: „Nach dem Ende der Apartheid hat er verziehen, aber er wollte etwas dafür zurück. Er wollte, dass nicht vergessen wird“, sagt Davis. Auch sie ist ein Symbol für den Widerstand schwarzer Menschen weltweit.

Wer ist Angela Davis? Geboren 1944, aufgewachsen im rassistischen Birmingham, Alabama. Anders als die anderen Führer der schwarzen Linken in den USA, wird sie in einer Mittelstandsfamilie groß. Dass ihre Welt dennoch nicht sicher ist, erfährt Davis früh. Jahre später bekommt der Stadtteil, in dem ihre Familie wohnte, den Beinamen „Dynamit-Hügel“, wegen der vielen Bombenattentate, die vom Ku-Klux-Klan verübt wurden.

Mit 17 Jahren erhält Davis ein Stipendium für die Universität Brandeis in Massachusetts und studiert dort als eine der wenigen schwarzen Studentinnen bei James Baldwin und ihrem späteren Doktorvater Herbert Marcuse. Er schärft ihre Sensibilität für die Nöte jener, die in der angeblich freien amerikanischen Gesellschaft unterdrückt werden. 1962 geht sie für ein Jahr an die Sorbonne nach Paris, marschiert mit Straßendemonstranten gegen den Algerienkrieg.

Marcuse rät ihr, in Frankfurt bei Horkheimer, Habermas und Negt zu studieren. Dort schließt sie sich in der heißen Phase der Studentenrevolte dem Sozialistischen Deutschen Studentenbund (SDS) an und nimmt an ersten Protestaktionen gegen den Vietnamkrieg teil. An der Uni arbeitet die 21-Jährige über Hegel und die Existenzialisten und greift die Marx’sche These auf, nach der die Philosophen die Welt bisher immer nur interpretiert hätten, es jedoch darauf ankomme, sie zu verändern. Sie lernt, Wissenschaft und politische Aktivität zu verknüpfen. „Bis heute kann ich mir bei meiner Arbeit nur diese Kombination zwischen Wissenschaft und Aktivismus vorstellen“, sagt Davis.

1967 kehrt sie in die USA zurück, weil die schwarze Freiheitsbewegung dort ein neues Stadium erreicht. Sie tritt dem Student Nonviolent Coordinating Committee bei und wird kurzzeitig Mitglied der Black Panther Partei. 1968 schließt sie sich dem Che-Lumumba Club an, einer schwarzen Zelle der Kommunistischen Partei. An der University of California in San Diego beendet sie bei Marcuse ihr Studium, kämpft um die Befreiung des inhaftierten George Jackson und den Erhalt ihrer Dozentinnenstelle. Davis erhält Morddrohungen und ihre Vorlesungen über „Wiederkehrende philosophische Themen in der schwarzen Literatur“ oder „Kant und der Idealismus“ sind fortan überfüllt. In ihrer ersten Vorlesung über den Sklaven Frederick Douglass beschreibt sie, wie der seinem Sklavenhalter den Gehorsam verweigerte. Widerstand, Verweigerung, Trotz seien integrale Bestandteile der Reise in die Freiheit, sagt Davis. Und folgert bis heute, „dass wir von der Erfahrung der Sklaven lernen können“.

Es ist ein Spagat, den Davis lebt. Doch ist sie gewillt zwischen Widersprüchen zu leben. „Du musst der Versuchung widerstehen, dich nicht immer für das eine oder andere entscheiden zu müssen“, sagt sie. Bis heute reist die fast 70-Jährige durch die Welt, hält Vorträge. Ihre Mission ist noch nicht erfüllt. In den USA ist sie in der Bewegung gegen den „industriellen Gefängniskomplex“ aktiv. Sie geht davon aus, dass gesellschaftliche Probleme wie Armut, die politisch nicht mehr gelöst werden können, in die Gefängnisse verlagert und damit unsichtbar gemacht werden. Und sie liefert Erklärungen, warum mehr schwarze als weiße Menschen einsitzen.

Auch bei ihrem Besuch in Frankfurt zeigt sich, dass sie nichts von ihrem Engagement verloren hat. Bei einem Fernsehauftritt auf 3Sat wundert sie sich, dass das Wort „black“ unangemessen mit „farbig“ übersetzt wird. Sie trifft sich mit Aktivisten, die in Deutschland gegen Rassismus kämpfen. Davis will Vergleiche ziehen mit Amerika und andernorts in Europa. Sie will nicht nur lehren, sondern lernen über alltäglichen Rassismus in Deutschland, das Leben der Flüchtlinge, die derzeit unter dem Schlagwort „Lampedusa“ auf ihre Situation aufmerksam machen und über das Racial Profiling, nach dem Polizei und Sicherheitskräfte Verdächtige entlang ethnischer Kriterien identifizieren. Durch eine solche Institutionalisierung sei der Rassismus „heute gefährlicher als zu Zeiten der Bürgerrechtsbewegung oder der Apartheid“, meint Davis.

„Befreit Angela Davis und alle politischen Gefangenen“, heißt der Dokumentarfilm, der am Dienstag in ihrer Anwesenheit Deutschlandpremiere feiert. Bevor sie am Freitag in die USA zurückkehren wird, zitiert sie noch einmal Mandela: „Es ist ein langer Weg zur Freiheit.“ Davis macht den Anwesenden Mut: „Widerstand birgt Möglichkeiten. Damals im Gefängnis habe ich nicht viel tun können, aber draußen organisierte sich die Welt. Lasst uns etwas von dieser gemeinschaftlichen Energie ins 21. Jahrhundert tragen.“

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