Lesben in der NS-Zeit: Verstoß gegen das "gesunde Volksempfinden“
Vom Verhör bis zur KZ-Haft: Nicht nur schwule Männer, auch lesbische Frauen litten im „Dritten Reich“. In Berlin zerstörten die Nazis die große Homosexuellenbewegung.
In dem Buch „Wir erlebten das Ende der Weimarer Republik“, herausgegeben von Rolf Italiaander, beschreibt eine lesbische Modezeichnerin, wie sich ihr Leben in der NS-Zeit änderte. Bereits in den 1920er Jahren arbeitete sie in einem großen Berliner Verlag. Die Modelle, die sie und ihre Kolleginnen zu zeichnen hatten, trugen, „weil das damals als mondän galt, lange Zigarettenspitzen, die sie mit gespreizten Fingern, elegisch blickend, von sich hielten. Kurz geschnittene Haare waren Mode, der ,Bubi-Kopf‘“.
Nach der Ernennung Adolf Hitlers am 30. Januar 1933 zum Reichskanzler und der Machtübertragung an die NSDAP und ihren nationalkonservativen Verbündeten DNVP wehte plötzlich ein anderer Wind. Als Vorlage dienten nun Fotos von „typisch deutschen“ Frauen, „meistens blonde bäuerliche Typen, mit einer phantasielosen Kleidung, die an Volkstrachten erinnerte. Auch war jetzt nicht mehr der ,knabenhafte‘ Typ gefragt, sondern – wie wir lästerten – die Modelle mussten ,gebärfreudige Becken‘ haben, ,um dem geliebten Führer recht viele Kinderchen schenken zu können‘.“
Vermieterin über Intimleben ausgefragt
Während diese Vorgaben aus dem Propagandaministerium alle Kolleginnen betrafen, schildert die Modezeichnerin nun die Auswirkungen auf sie persönlich: „Natürlich begann die Maskierung auch im privaten Leben. Ich lebte schon seit Jahren mit meiner Freundin zusammen. Manchmal munkelten die Leute: ,Haben die was zusammen?‘ Als das Dritte Reich ,ausbrach‘, hieß es dann bösartig: ,Die haben doch was zusammen!‘ Da waren die Hauswarte und Blockwarte, die in unser Privatleben ,hineinleuchteten‘ und Meldungen erstatten sollten. Unsere Zimmervermieterin wurde ausgefragt, ob sie etwas über unser ,Intimleben‘ wüsste. Eines Tages kam unser Chefredakteur zu mir ins Atelier und sagte ungeduldig, ich müsse endlich heiraten oder er könne mich nicht weiter beschäftigen.“ Die Modezeichnerin und ihre Freundin beschließen schließlich, ihre zwei schwulen Freunde zu heiraten.
Für lesbische Frauen gab es eine Vielzahl von Verhaltensweisen; sie reichten vom Rückzug ins Private, Veränderung des Aussehens, Wechsel des Wohnorts bis zur Flucht in den Untergrund.
Zu den sexualpolitisch vordringlichsten Maßnahmen gehörte nach der Machtübernahme die Zerstörung der öffentlichen und organisierten Homosexuellenbewegung, bildete sie doch mit ihren emanzipatorischen Forderungen und ihrer Infrastruktur einen sichtbaren Widerspruch zur NS-Sexualmoral. Die großen, weit über Berlin hinaus bekannten Organisationen, etwa das Institut für Sexualwissenschaft und der Bund für Menschenrecht, aber auch kleinere Vereinigungen wurden aufgelöst, Lokale geschlossen oder überwacht und Periodika verboten.
Homosexualität "ausmerzen"
Basierend auf rassenhygienischen Vorstellungen wollte das NS-Regime Homosexualität „ausmerzen“; gleichgeschlechtliche Betätigung sollte verhindert werden. In einem „Männerstaat“ (Heinrich Himmler) wie dem Nationalsozialismus hatte dies jedoch unterschiedliche Auswirkungen auf homosexuelle Männer einerseits und Frauen andererseits. Dabei darf nicht außer Acht gelassen werden, dass das Leben lesbischer Frauen, wie das aller Menschen im „Dritten Reich“, von unterschiedlichen Faktoren geprägt war: der Schichtzugehörigkeit, weltanschaulichen Einstellungen und ganz besonders der rassistischen Zuordnung.
Wie viele Scheinehen im „Dritten Reich“ eingegangen wurden, ist aus naheliegenden Gründen nicht feststellbar. Eine der prominentesten war sicher die 1936 geschlossene Ehe zwischen Gustaf Gründgens, dem Intendanten des Staatlichen Schauspielhauses in Berlin, und der Schauspielerin Marianne Hoppe. Heinrich Himmler, Reichsführer-SS und Chef der Deutschen Polizei ab 1936, schätzte die Zahl der Scheinehen gar auf eine Million. In einer Rede im Juni 1937 vor einem wichtigen bevölkerungspolitischen Gremium im Reichsinnenministerium sah er eine große Gefahr darin, dass homosexuelle Männer zur Tarnung heirateten und das „Fortpflanzungspotenzial“ der Ehefrauen auf diese Weise „blockierten“.
Im günstigsten Fall – wie dem eingangs geschilderten – konnte eine lesbische Frau einen schwulen Mann heiraten. War der Ehemann jedoch nicht über die lesbische Orientierung seiner Gattin informiert oder war er nicht bereit, darauf Rücksicht zu nehmen, musste diese ihre „ehelichen Pflichten“ erfüllen, wozu nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch (§1353 und §1568) auch die eheliche „Beischlafpflicht“ gehörte.
Riskante "Kameradschaftsehen"
Waren beide Partner dagegen homosexuell und setzten ihre gleichgeschlechtlichen Beziehungen fort, bedeutete dies eine erneute Gefahr, wie ein Beispiel aus Hamburg zeigt. Dort waren 1935 Adolf Großkopf (1906–1975) und Irma Fischer (1908–2001) eine sogenannte „Kameradschaftsehe“ eingegangen, die wenige Monate später aufgrund polizeilicher Ermittlungen gegen Adolf Großkopf aufflog. Beide Angeklagten wurden vom Landgericht Hamburg zu drei Monaten wegen Betrugs verurteilt. Adolf Großkopf, dem auch homosexuelle Handlungen mit Männern (§175 RStGB) nachgewiesen wurden, erhielt eine Gesamtstrafe von zweieinhalb Jahren. Irma Großkopf wurde eine Strafaussetzung gewährt.
Sexuelle Handlungen zwischen erwachsenen Frauen standen an sich nicht unter Strafe, im Gegensatz zu solchen zwischen Männern, die durch Paragraf 175 RStGB kriminalisiert wurden. Schätzungsweise rund 50 000 von ihnen wurden im „Dritten Reich“ nach diesem Paragrafen verurteilt.
Anders war die Rechtslage in Österreich. Dort sanktionierte der Paragraf 129Ib des österreichischen Strafgesetzbuches die „Unzucht mit einer Person desselben Geschlechts“ mit Zuchthaus von einem bis fünf Jahren. Dieses Gesetz betraf beide Geschlechter. Es wurde nach der Annexion Österreichs im März 1938 weiterhin gegen Frauen angewandt. Dies führte zu der paradoxen Situation, dass weibliche Homosexualität in Österreich – im Gegensatz zum sogenannten Altreich – strafrechtlich verfolgt wurde. Die Zahl der Verurteilten stieg auch in der „Ostmark“ stark an: Allein in Wien wurden zwischen 1938 und 1943 über 1100 Männer sowie 66 Frauen nach Paragraf 129Ib verurteilt, was einem Frauenanteil von etwa fünf Prozent entspricht. Auch deutsche Frauen konnten strafverfolgt werden, da das „Tatortprinzip“ entscheidend war.
Vom Verhör bis zur KZ-Haft
Aufgrund der vielfältigen Kontrollmechanismen gegenüber Frauen im familiären, rechtlichen, politischen und ökonomischen Bereich konnte auf eine systematische Anwendung des Strafrechts als Mittel zur Abschreckung und Einschüchterung offenbar verzichtet werden. Die Bedrohung durch Denunziationen darf gleichwohl nicht unterschätzt werden – schließlich wurde auch weibliche Homosexualität gesellschaftlich geächtet und entsprach nicht dem „gesunden Volksempfinden“. Allein der Verdacht gegen Frauen oder ihre Benennung in anderen Verfahren reichte für polizeiliche Ermittlungen, Hausdurchsuchungen, Verhöre und andere Maßnahmen. Wenn einzelne Frauen ins Visier des Regimes gerieten, mussten auch sie mit Repressionen rechnen – vom Verhör bis zur KZ-Haft.
So zum Beispiel zwei Frauen, die bei der Straßenbahn in Berlin-Treptow dienstverpflichtet wurden. Ihr Arbeitgeber, die Berliner Verkehrsbetriebe, zeigte die 26-jährige Elli Smula und ihre vier Jahre ältere Kollegin Margarete Rosenberg an. Sie wurden im September 1940 verhaftet und von der Gestapo verhört. Man warf ihnen vor, mit ihren Kolleginnen auf nächtlichen Partys Sex gehabt und am nächsten Tag nicht ihren Dienst versehen zu haben. Am 30. November 1940 wurden Elli Smula und Margarete Rosenberg ins Frauen-Konzentrationslager Ravensbrück deportiert. Als Haftgrund war in den Lagerdokumenten „politisch“ mit dem Zusatz „lesbisch“ vermerkt. Während Margarete Rosenberg überlebt hat und 1985 verstarb, kam Elli Smula am 8. Juli 1943 in Ravensbrück ums Leben – „ganz plötzlich“, wie ihre Mutter Martha Smula nach Kriegsende angibt.
„Lesbisches Leben spielte sich praktisch nur in der Partnerschaft ab“, so Hilde Radusch (1903–1994), die in der Weimarer Republik als Betriebsrätin bei der Post und von 1929 bis 1932 als Stadtverordnete der Berliner KPD aktiv war. Hilde Radusch erlebte die Befreiung durch die Rote Armee halb verhungert. Seit 2012 erinnert der Berliner Bezirk Tempelhof-Schöneberg an der Eisenacher Straße, Ecke Winterfeldtstraße, Raduschs letztem Wohnort, mit drei Denktafeln an das Leben und Wirken dieser außergewöhnlichen Politikerin, Frauenrechtlerin und lesbischen Aktivistin.
Zur Emigration gezwungen
Andere Frauen, die wie Radusch das NS-Regime ablehnten, sahen sich zur Emigration gezwungen, etwa Erika Mann, die zusammen mit ihrer Freundin Therese Giehse mit ihrem antifaschistischen Kabarett „Die Pfeffermühle“ im Ausland gegen Hitler agierte.
Unbekannt ist bis heute, wie vielen Frauen im „Dritten Reich“ Unrecht angetan wurde – weil ihre Liebe dem eigenen Geschlecht galt. Oder weil ihnen dies nachgesagt wurde. Womöglich handelt es sich um eine relativ geringe Anzahl. Doch auch wenn sie nicht im selben Ausmaß und auf ähnliche Weise verfolgt wurden wie homosexuelle Männer: Es hat diese Frauen gegeben und sie haben gelitten – in Fürsorgeheimen und psychiatrischen Anstalten, in Haftanstalten und Konzentrationslagern. Der Begriff „Verfolgung“ darf nicht länger nur auf polizeiliche und justizielle Repression beschränkt werden.
Die Autorin ist Historikerin und als wissenschaftliche Mitarbeiterin der Gedenkstätte Deutscher Widerstand tätig. Der Text ist eine gekürzte Fassung ihres Aufsatzes in dem Band „Forschung im Queerformat. Aktuelle Beiträge der LSBTI*-, Queer- und Geschlechterforschung“, Hrsg. Bundesstiftung Magnus Hirschfeld (2014), Transcript-Verlag, 24,99 Euro.
Claudia Schoppmann
- bbbbbb
- Brandenburg neu entdecken
- Charlottenburg-Wilmersdorf
- Content Management Systeme
- Das wird ein ganz heißes Eisen
- Deutscher Filmpreis
- Die schönsten Radtouren in Berlin und Brandenburg
- Diversity
- Friedrichshain-Kreuzberg
- Lichtenberg
- Nachhaltigkeit
- Neukölln
- Pankow
- Reinickendorf
- Schweden
- Spandau
- Steglitz-Zehlendorf
- Tempelhof-Schöneberg
- VERERBEN & STIFTEN 2022
- Zukunft der Mobilität