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Maria (Jessica Pimentel) und Piper (Taylor Schilling) geraten in den neuen Folgen von „Orange is the New Black“ aneinander.
© JoJo/Whilden/Netflix

Serie "Orange is the New Black": Piper ist jetzt Gangsta

Überfüllter Knast, gereizte Stimmung: Am Freitag startet die vierte Staffel der Netflix-Serie "Orange is the New Black", die ihr hohes Niveau hält.

Alex lebt! Hinweise darauf waren schon im Frühling durchs Netz gegeistert, das aktuelle „Orange is the New Black“-Plakat bestätigt es: Die einstige Drogenschmugglerin mit der Hornbrille und dem bunten Oberarmtattoo hat die Attacke am Ende der letzten Staffel überstanden.

Dass Netflix einen wichtigen Cliffhanger seiner erfolgreichen Eigenproduktion vorab verrät, zeigt, wie selbstbewusst der Streaminganbieter in die vierte Staffel startet, die seit Freitag zu sehen ist. Die Amerikaner sind sich des Faninteresses an dieser auf dem autobiografischen Buch von Piper Kerman beruhenden Serie um die Geschehnisse in einem US-Frauengefängnis offenbar so sicher, dass sie sogar einen kleinen Spoiler als Werbung einsetzen.

Es gab beim Finale vor einem Jahr aber noch eine Menge weiterer offener Fragen und loser Enden. So beginnt die neue wieder von Jenji Kohn verantwortete Staffel genau an dem Tag, an dem die letzte endete: Zahlreiche Gefangene sind durch ein Loch im Zaun des Litchfield-Gefängnisses entkommen und planschen im nahegelegenen See herum. Dieses fast schon surreale Bild der Ausgelassenheit kann natürlich nur von kurzer Dauer sein. Ein von Direktor Caputo (Nick Sandow) herbeitelefoniertes Sonderkommando treibt die Frauen zurück in den Knast.

Auf Alex war wirklich ein Killer angesetzt

Während der Aufregung bleibt Alex' (Laura Prepon) Kampf mit dem falschen Wachmann im Gartenhäuschen unbemerkt. Sie bekommt schlagkräftige Hilfe von unerwarteter Seite – und hat anschließend ein neues Riesenproblem. Aber immerhin weiß sie nun, dass sie die letzten Monate nicht paranoid war, sondern wirklich ein Auftragskiller ihres früheren Bosses hinter ihr her war.

Schnell zeigt sich in der Auftaktepisode außerdem, was es mit den Doppelstockbetten auf sich hat, die am Ende der dritten Staffel in die Schlafräume geschoben wurden: Ein ganzer Schwung neuer Gefangener kommt an diesem Chaostag in Litchfield an. Wie die Tiere im Käfig, die Regina Spektor im Titelsong besingt, sieht man sie erst mal nur als Masse hinter Gittern. Butch Big Boo (Lea DeLaria) ist die Einzige, der dazu etwas Positives einfällt: „Sieh’ es einfach als Pussymantra“, rät sie einer Mitgefangenen.

Selbst Tampons sind Mangelware in Litchfield

Die Überbelegung des Gefängnisses – eine Folge seiner Privatisierung – ist ein zentraler dramaturgischer Motor der vierten „Orange is the New Black“-Staffel, die auch wieder mit Rückblenden in die Vergangenheit der Gefangenen und des Personals arbeitet. Neben neuen Figuren wie dem hünenhaften, superstrengen Oberwachmann Piscatella (Brad William Henke) oder der bisher nur per TV-Übertragung in Litchfield präsenten Starköchin Judy King (Blair Brown), bringt die beengte Situation vor allem Konfliktstoff. Ständig herrscht genervtes Gedränge – in der Kantine, in den Waschräumen und auch in den Schlafräumen gibt es Platzstreitigkeiten. Wer frühstücken will, muss sich beeilen, sonst ist nichts mehr da. Selbst Tampons sind Mangelware und Dixie-Toiletten im Hof der Standard.

Aus dieser bedrückenden Situation beziehen die wieder glänzend aufgelegten Autoren und Autorinnen der Serie aber nicht nur Drama, sondern auch Komik. Als running gag dient etwa das extrem laute Schnarchen der neuen Doppelstockbettgenossin von Köchin Red (Kate Mulgrew), das die Russin in nächtliche Verzweiflungsaktionen treibt. Vergnüglich auch der Dauerstreit zwischen der frisch zum Judentum übergetreten Cindy (Adrienne C. Moore) und ihrer neuen Kopftuch tragenden Nachbarin.

Und Piper? Die von Taylor Schilling dargestellte Ex von Alex macht jetzt auf „Gangsta mit A“ wie sie es in der ersten Folge formuliert. Doch bei dem Versuch, ihr klandestines Unterwäscheunternehmen zu konsolidieren, macht sie einen fatalen Fehler: Als Maria (Jessica Pimentel) stellvertretend für die deutlich gewachsene Latina-Fraktion um Arbeit bei ihr bittet, lehnt sie das auf höchst arrogante Art ab. Womit sie sich eine erbitterte Konkurrentin geschaffen hat.

"White lives matter" grölen die Frauen

In diesem Konflikt spiegelt sich – ähnlich wie in der Liebesgeschichte zwischen Poussey und Soso – das Thema Rassismus. War es in früheren "Orange-is-the-New-Black"-Staffeln bereits präsent, streichen die Serienmacher es noch einmal besonders heraus, beleuchten andere Facetten. Weiße Figuren wie Judy King oder eben auch Piper nutzen die Vorurteile des ebenfalls weißen Personals aus und genießen die Vorteile, die ihnen aufgrund ihrer Klassenzugehörigkeit zufallen.

Allerdings verschätzt sich Piper mächtig bei ihrer Aktion gegen sogenannte „Gangaktivitäten“: Zu einem Treffen, bei dem sie Gleichgesinnte anwerben will, kommen nur Weiße, deren Mehrheit hier die Chance wittert, sich endlich einmal wirksam gegen die „Tacos“ zu verbünden. „White lives matter“ skandieren sie und stampfen mit den Füßen.

Während des Abspanns läuft "Tomorrow Belongs To Me" aus "Cabaret"

Fassungslos sieht Piper diesem Schauspiel zu, bei dem der als Reaktion auf rassistische Polizeigewalt geprägte Slogan „Black lives matter“ auf widerwärtige Weise verdreht wird. Die Szene bildet den Abschluss der fünften Episode, die begleitet von „Tomorrow Belongs To Me“ aus dem Film „Cabaret“ in den Abspann übergeht. Es is das Lied, mit dem ein blonder Nazijüngling in Bob Fosses Musical einen ganzen Biergarten in nationalistische Mitsing-Euphorie versetzte. Wie Piper da wieder rauskommt?

Es ist schon bemerkenswert, wie Jenji Kohan & Co. mit der einstigen Protagonistin der Serie umspringen. Von der verhuschten Sympathieträgerin, die sich durchbeißt, entwickelte sie zu einer unter vielen Gefangenen, die sich nun fast schon zu gut an das System Knast angepasst hat. „Alle hassen dich“, sagt Big Boo einmal zu Piper. Und die glaubt, das sei rhetorisch gemeint.

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