zum Hauptinhalt
Imbiss für zwischendurch: Eine Poutine-Bude.
© Alamy Stock

Kanadisches Fast-Food: Poutine: Québecs Leibspeise

Sie ist für Québec, was der Döner für Berlin ist. Die Poutine: ein allgegenwärtiger Snack - aus Pommes, Käse und Bratensauce. Eine Geschichte von Liebe und Hass

Kaum ein Souvenirgeschäft ohne sie. In Vieux-Montréal, dem historischen Viertel der kanadischen Metropole, drängen sich Touristen durch Straßen und Gassen, die ans alte Europa erinnern. Überall in den Schaufenstern: T-Shirts, auf denen „I love Poutine“ steht.

Das ist kein Kommentar zur Geopolitik. Es geht dabei nicht um den russischen Präsidenten, obwohl sich dessen Name auf Französisch genauso schreibt. Kanadas Poutine ist schon länger im Amt als der Kreml-Chef. Erfunden Mitte der 50er Jahre, hat das Fast-Food-Gericht seit 20, 30 Jahren den Status einer Nationalspeise – mindestens der Provinz Québec, wenn nicht des ganzen Landes.

Das Essen gibt es sogar in einer Handvoll Berliner Lokale

Poutine ist ein Phänomen, und zwar ein fettiges: eine Kombination aus Pommes und Käse, darüber Bratensauce. In den großen Städten Québecs bekommt man das Gericht an jeder zweiten Ecke, in seiner verfeinerten Form nun auch in Haute-cuisine-Restaurants – und sogar in einer Handvoll Berliner Lokale.

Für eine ideale Poutine sollten die frittierten Kartoffelspalten außen knusprig, innen aber noch weich sein, als Käse wird typischerweise ein spezieller Cheddar verwendet: Ungepresster Käsebruch muss es sein, nicht älter als 24 Stunden. Alternativ eignet sich zum Beispiel Mozzarella. Auf jeden Fall darf der Käse nicht richtig schmelzen, sondern soll bloß weich werden, damit er auf der Zunge „quietschen“ kann. Und die Sauce? Meist ein bisschen pfeffrig und nicht zu dick.

Wer Poutine verstehen will, muss einen Imbiss im Montréaler Stadtteil Le Plateau besuchen, dem örtlichen Viertel der Bobos, der bourgeoisen Bohème. „La Banquise“ ist in einem zweistöckigen, blau und gelb gestrichenen Backsteinbau zu Hause. Drinnen: eine offene Küche, in der ein halbes Dutzend Angestellte wirbeln, einfache Tische und Stühle, an den Wänden Spiegel. Auch einen Innenhof gibt es. Das Schnellrestaurant ist so etwas wie das Montréaler Pendant zu „Mustafas Gemüsekebap“ am Mehringdamm. Poutine verkaufen sie hier zwar schon ein halbes Jahrhundert, und beliebt bei den Einheimischen war ihr Essen immer. Aber erst seit die Betreiber vor rund zehn Jahren 30 Poutine-Varianten auf die Karte nahmen, schafften sie es in die Reiseführer, und mit denen kamen die Touristen. Heute besitzt „La Banquise“ einen Wikipedia-Eintrag, selbst der US-Starkoch Anthony Bourdain hat es empfohlen. Viele hundert Pommes-Teller verkauft der Imbiss jeden Tag, geöffnet ist 24 Stunden, nur am 25. Dezember bleibt der Laden geschlossen.

Das Wort heißt wohl Durcheinander oder Schweinerei

Jetzt in den Vormittagsstunden ist die ruhigste Phase des Tages, und so hat Managerin Marysabel Garrido Zeit für eine kleine Poutine-Kunde. Garrido kam als Jugendliche mit ihrer Familie aus Kolumbien nach Kanada, und sie erinnert sich noch, dass der erste Anblick der Québecer Leibspeise sie eher irritierte, vom Gedanken an die Kalorien ganz zu schweigen. Poutine, sagt sie, sei „ja nicht sonderlich fotogen“. Der Name rührt wohl von einem lokalen Wort für Durcheinander oder Schweinerei. Dann aber – und so erzählen es viele – kostete sie und war hin und weg. Die Nordamerikaner nennen es comfort food. Essen, das nicht gerade gesund, aber umgehend glücklich macht.

Erfunden wurde Poutine auf dem flachen Land. Mehrere kleine Städte reklamieren die Kreation für sich. In der Metropole Montréal war das Gericht anfangs vor allem bei Partygängern beliebt, die nach dem Trinken was Deftiges wollten. Noch heute bilden sich vor „La Banquise“ die längsten Schlangen oft in der Nacht. „Am Wochenende ist um 4 Uhr morgens Hoch-Zeit“, sagt Garrido, „noch ein wenig später kommen die Mitarbeiter aus den Bars der Umgebung.“

Die Weight-Watchers-Poutine: ein Flop

Ein fettiges Phänomen: Poutine besteht aus Fritten, Käse und Bratensauce.
Ein fettiges Phänomen: Poutine besteht aus Fritten, Käse und Bratensauce.
© Alamy Stock

Irgendwann, so ganz genau zu datieren ist es nicht, hat sich ein regelrechter Kult um die Poutine entwickelt, mit immer neuen Kreationen. Selbst manche chinesische Restaurants bieten das Gericht an, mit frittiertem Hühnchen in einer süßen, leicht scharfen Sauce. Bei einer Umfrage des Senders CBC zu den größten kanadischen Erfindungen aller Zeiten landete Poutine 2007 auf Platz zehn, unter anderem vor dem Blackberry. Ein paar Jahre vorher hatte ein Komiker US-Politiker, darunter George W. Bush, erfolgreich mit Fragen zum fiktiven kanadischen Premier Jean Poutine gefoppt. Apropos Politiker: Russische Gäste, sagt Garrido, hätten sie auch schon einige gehabt, aber Anstoß am Namen des Gerichts habe noch keiner genommen.

Nun gibt es in mehreren Großstädten Kanadas einmal im Jahr eine „La Poutine Week“, eine Woche, in der Poutine-Stuben miteinander wetteifern. Im „La Banquise“ haben sie mit Weight Watchers sogar mal eine kalorienarme Version entwickelt, die wollte bloß keiner haben. Marysabel Garrido lässt ein paar Beispiele von der aktuellen Karte an den Tisch bringen. Es gibt vegetarische Varianten („La Taquise“ mit Guacamole, Rahm und Tomaten), eine vegane Bratensauce ist auch im Angebot. Es gibt Poutine mit ein bisschen Fleisch („La Elvis“ enthält neben Hacksteak auch Pilze und Paprika), und es gibt „La T-Rex“: Hacksteak, Pepperoni, Schinken, Hot-DogWürstchen. „Bestellen nur Männer.“

Poutine mit Kaviar? Für sie geht das gar nicht

Klar, das ist jetzt nicht die ganz große Kochkunst. Allerdings legen sie im „La Banquise“ Wert darauf, dass alle Produkte frisch und lokaler Herkunft sind. Anders als bei den Fast-Food-Ketten, die Poutine inzwischen im Angebot haben. Selbst die Getränke stammen aus der Region: Craft Beer natürlich und eine Québecer Cola, die mit Ahornsirup gesüßt ist. „Und sorry“, sagt Garrido, „Poutine mit Kaviar, Trüffel oder Blauschimmelkäse, wie sie in manchen Restaurants serviert wird, hat mit unserer Vorstellung des Gerichts nicht viel zu tun.“

Schon eher mit seiner. Louis Rodaros, ein runder Mann mit Glatze, ist Küchenchef der Restaurants im Vier-Sterne-Hotel „Bonaventure“ in Downtown Montréal. Aufgewachsen in Québec, hat er einen Teil seiner Lehrzeit in Paris verbracht. Zu seinen jüngsten Kreationen gehören zwei Poutines. Eine fürs Frühstück, bestehend aus Kartoffeln, mit Ahornsirup karamellisiertem Schinken, Oka-Käse und verlorenen Eiern. „Kommt gut an bei Familien, die Kinder lieben das“, sagt Rodaros. Dann gibt es noch eine Poutine mit Foie Gras und Rotweinsauce; dazu empfiehlt der Küchenchef ein Glas Pinot noir. Auch glasierte Ente und Zupfbraten würden gut zu Poutine passen, die Pommes könne man alternativ mit Süßkartoffeln herstellen. „Einem herzhaften, traditionellen Gericht einen neuen Dreh zu geben, ist großartig. Mit Poutine kann man kreativ sein, weil die unterschiedlichsten Kombinationen möglich sind.“ Rodaros ist nicht allein mit dieser Idee. Vor allem das hochgelobte Montréaler Restaurant „Au pied de cochon“ war Vorreiter in der Veredlung und bietet seine Foie-Gras-Poutine auch an einem Foodtruck an.

Entweder man hasst es, oder man wird süchtig

Ins Ausland hat es die Poutine, sieht man von den Regionen der USA ab, die an Kanada grenzen, bisher kaum geschafft. In Berlin hatte das experimentierfreudige „Martha’s“ in Schöneberg Poutine schon mal auf der regelmäßig wechselnden Karte. Die Pommes wurden zwei Mal blanchiert, dazu gab’s Gemüsesauce und Büffelmozzarella. „Unsere Gäste haben das gern bestellt“, sagt Küchenchef Manuel Schmuck, der das Gericht während eines Jahrs in Toronto lieben lernte.

Zum Standardprogramm gehört Poutine – die klassische Variante, wenn auch noch ohne den Original-Käse – im vor 13 Jahren eröffneten „Frittiersalon“ in Friedrichshain. „Eine kanadische Freundin hat uns dazu geraten“, erzählt Inhaberin Catherine Laniado. „An der Sauce haben wir lange gefeilt, damit sie so wie in Québec schmeckt.“ Zu den Gästen gehören Deutsche mit Fernweh nach Nordamerika, kanadische Expats und Leute, die auf Empfehlung der kanadischen Botschaft kommen. Es gibt viele Stammgäste. Denn Poutine ist eine Speise, die man hasst oder von der man nicht mehr lassen kann. „Auf unserer Karte“, sagt Laniado, „steht: Achtung Suchtgefahr.“

Praktische Informationen zu Québec und Montréal

Die Metropole Montréal ist die größte Stadt der Provinz Québec.
Die Metropole Montréal ist die größte Stadt der Provinz Québec.
© AFP

Ein Besuch in Montréal und in der ganzen Region Québec lohnt sich ganzjährig. Im Winter kann es sehr kalt werden. Mehr Infos bei "Tourism Montréal" und bei "Québec Original".

Von Berlin kann man nach Montréal zum Beispiel mit Air Canada über Frankfurt fliegen. Preisbeispiel für rund eine Woche im Oktober: ab 600 Euro.

Empfehlenswertes Hotel: Omni Mont-Royal, 1050 Rue Sherbrooke O, Tel. +1 514-284-1110, in unmittelbarer Nähe zum gleichnamigen Park.

Es gibt hunderte und tausende Möglichkeiten, in Montréal und der gesamten Provinz Québec, Poutine zu essen. "La Banquise": 994 Rue Rachel E, Tel. +1 514-525-2415. Die edlere Variante: "Au Pied de cochon", 536 Avenue Duluth E, Tel. +1 514-281-1114. Küchenchef Louis Rodaro kocht im "Bonaventure", das auch einen sehr schönen Dachgarten besitzt; das Hotel befindet sich gleich neben dem Hauptbahnhof: 900 Rue de la Gauchetière O, Tel. +1 514-878-2332.

Björn Rosen

Zur Startseite