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Maismehlbrei kochen in Malawi
© Boris Breuer

Anke Engelke berichtet: Meine Reise durch Malawi

Anke Engelke erspielte im Frühjahr bei „Wer wird Millionär?“ 500 000 Euro – und spendete sie dem Medikamentenhilfswerk Action Medeor. Was geschieht mit dem Geld? Einblicke in ihr Tagebuch.

Die Reise: A. & B. & C. & Ich

Ich weiß nicht viel über Malawi. Etwa 19 Millionen Einwohner, die Einwohnerzahl wird sich in den nächsten 25 Jahren verdoppeln. Das Land sieht aus wie ein vertikal-langgezogenes Rechteck: circa 160 Kilometer breit, circa 800 Kilometer lang. Einen großen Teil der Länge bedeckt der Malawi-See, den das Land zum größten Teil für sich beansprucht.

Unsere altbekannte Reisegruppe: Angela, Boris & Christoph. A. & B. & C. & ich. Wir treffen uns am Flughafen Frankfurt. C. ist lädiert. Kleiner Vorfall beim Surfen, Rücken, er braucht seit ein paar Tagen Schmerzmittel und Wärmepflaster. Wir sitzen nebeneinander auf dem Flug von Frankfurt nach Johannesburg, zum Abendessen bestellt er Wein. Er ist Pharmazeut, er weiß, was er tut.

C. hat auf dem Flughafen von Lilongwe schon mal das Flugzeug von Madonna gesehen! Er sagt, es sei nicht schwierig, auf dem Flughafen von Lilongwe das Flugzeug von Madonna zu erkennen. Als wir landen, weiß ich, was er meint: Das ist ein sehr kleiner Flughafen, unser Flugzeug ist nicht nur das größte, sondern auch das einzige Passagierflugzeug hier. Von oben hatte ich die Landebahn übersehen, zu gebannt hatte ich wieder auf das geglotzt, was mich hier immer wieder so erfreut: der Anblick der roten Erde, die gelben, hellgrünen, hellbraunen Büsche und Bäume mit ihrer trockenen Traurigkeit und die roten, geraden Wege dazwischen und keine Autos. Die kleinen Flecken sind Fußgänger, vereinzelt, zu zweit, und Fahrräder. Ich weiß schon, wie es beim Aussteigen riechen wird.

Lilongwe

„Alle sprechen meinen Namen anders aus, mal mit Betonung auf der ersten Silbe, mal auf der zweiten, mir egal, ich reagiere auch auf Dorothea.“ Sie steht zwischen 30 anderen Wartenden. Ihre Augen sind blau wie diese Eisbonbons früher, die Zähne lang und ein bisschen schief, sie grinst wie ein freches Mädchen. Susann sieht aus, als hätte sie vor nichts Angst. Ich mag Susann sofort. Sie ist die Chefin von Action Medeor Malawi.

Susann fährt den Bus. Linksverkehr. Susann fährt den Bus nicht oft. Sie erzählt pausenlos. A. & C. bestehen darauf, dass ich hinten auf einem Sitz mit Gurt sitze. Wir fahren gen Norden. Es ist warm und frisch zugleich, das Fenster ist offen. Viele Fußgänger, viele Fahrradfahrer, viele Mopeds.

„Hast du die Mäuse gesehen?“ C. zeigt aus dem Fenster. „Nein, nicht gesehen.“ – „Die Mäuse werden gebraten und als Snack verkauft. Habt ihr das nicht gesehen? Die hingen am Schwanz aufgehängt an Stöckchen. Die Kinder verkaufen die hier.“

Susann erzählt von Projekten und Menschen, die wir in den nächsten Tagen kennenlernen werden. Morgen fahren wir früh los, um 6 Uhr 45, wir müssen nach Madisi. Dort unterstützt Action Medeor ein kleines Krankenhaus mit regelmäßigen Medikamentenlieferungen. C. hat bei seinem letzten Besuch dort erfahren, dass auf dem Gelände eine Schule für Waisenkinder ist, geleitet von zwei katholischen Schwestern aus Deutschland!

Meine erste Nacht in Malawi. Vertraut sind die Natur, das trockenen Land, die lieben Menschen, ihre Ruhe – sie wirken etwas schüchterner als in Tansania – , das einfache Hotelzimmer mit Moskitonetz. Vielleicht ist Malawi ein noch ärmeres Land als die Länder, die ich in Afrika bereits besucht habe, Tansania, Togo, Benin. Hier gibt es weniger von allem, was die Menschen zum Leben brauchen. Ich schlafe früh ein, dann liege ich wach bis zum Frühstück und höre so viele Vögel wie noch nie.

Madisi

A. & B. & C. sprechen per WhatsApp mit daheim. Dass ich kein Smartphone habe, passt wieder mal. Ich bin wie abgeschnitten, das mag ich. Ich will nur hier sein. Ich habe eine Art schlechtes Gewissen, weil ich weiß, dass ich nicht genug denken werde an Afrika, wenn wir wieder zu Hause sind. Also versuche ich, wach, offen und so ungestresst wie möglich zu sein.

Während der Fahrt nach Madisi mache ich viele Witze über C.s Ischias. Er humpelte am Morgen stark. Ich bin besser im Zum-Lachen-Bringen als im Trösten. Susann erzählt ununterbrochen. Das Auto ist laut. Ankunft. Eine Art Dorf, am Eingang links eine Schule, rechts kleine Häuser, hinten rechts das Haus der Schwestern, vor uns: das Krankenhaus. Zunächst fahren wir zu den Schwestern. Sie warten vor dem Haus. Wir sind zu spät. Das ist Susann unangenehm. Wir haben uns zu viel Zeit gelassen beim Frühstück. Aber das ist doch wichtig, dass man einen Kaffee trinkt. Eine Dame schaut streng.

Schwester Klara ist 75. Sie ist irgendwie so groß. Oder nein, nicht groß, sondern imposant. Vorne die Zahnlücke sieht man immerzu, denn Schwester Klara lacht sehr, sehr viel. Sie begrüßt uns herzlich. Eine große Frau in Weiß, das graue Haar guckt oben aus der Haube. Schwester Veronika ist zurückhaltender, aber sie ist die Frau mit dem Plan. Sie wird uns regelmäßig zum Weitergehen auffordern.

Wir schämen uns für unser Glück

Christoph Bonsmann („C.“, Vorstandsmitglied von Action Medeor), Anke Engelke, dahinter Schwester Klara und Dorfbewohner.
Christoph Bonsmann („C.“, Vorstandsmitglied von Action Medeor), Anke Engelke, dahinter Schwester Klara und Dorfbewohner.
© Boris Breuer

Wir werden heute ein Dorf besuchen, denn die Schwestern finden es wichtig, dass wir sehen, woher die Kinder kommen, die diese Schule besuchen. 1984 begann das hier mit dem Krankenhaus. 16 Jahre später kam die Schule für Waisenkinder und arme Kinder hinzu. 1300 Kinder besuchen die Schule, 300 Kinder gehen in den Kindergarten, 26 Lehrer betreuen die Kinder zwischen einem und 13 Jahren.

Schwester Veronika am Steuer. 20 Jahre jünger als Schwester Klara: Morgen wird sie 55! Mit einer Geste bringt sie die Gruppe zum Weiterziehen, mit einem Satz beendet sie eine Erzählung von Schwester Klara pointiert. Ihre Kommentare stehen oft noch ein bisschen in der Luft und hinterlassen ein gutes Gefühl.

Als ich wissen will, wie viele Männer und wie viele Frauen in der Schule arbeiten, sagt sie: „Männer 99,999 Prozent.“ Später verstehe ich, dass Frauen meist zu Hause bleiben und sich um die Kinder kümmern. Und als wir im Dorf bei der Maisverarbeitung zuschauen, sagt Schwester Veronika leise: „Das machen auch wieder die Frauen.“

Ein unspektakuläres Dorf. Plötzlich kommt da diese Truppe angeeiert: fünf Schwestern in ihrer Tracht, plus fünf weiße Gäste aus dem All. Die Kinder tauen auf, werden ein bisschen gackerig, folgen uns, kichern, jetzt ist Bewegung im Dorf, es wird bunt und laut, ein Mann an einer Nähmaschine grinst und näht. Ich nehme ein Stück Stoff vom Boden und mache mir daraus ein Armband. Ein Kind aus der Gruppe ist nah bei mir. Ich finde noch ein Stoffstück und bastle ihm auch ein Armband.

Wie ist das, auf dem harten Boden zu schlafen?

Vor einer Hütte sitzt eine alte Frau neben einem Feuer und rührt in einem Topf. Es qualmt. Der Rauch brennt kurz in den Augen. Im Hals. Sie kocht Nzima, ausgesprochen „Siema“: Maismehl mit Wasser. Fertig. Man gibt peu à peu mehr Maismehl in das kochende Wasser und rührt unentwegt mit einem Holzlöffel um. Die Masse wird immer dickflüssiger. Am Ende ist der Teig wie harter Grießbrei. Dazu kombiniert man Fleisch und Sauce. Macht satt. Schmeckt nach nichts.

In der Hütte ist es stickig. Es ist dunkel. Kein Fenster. Keine Tür. Nur ein Raum. Keine Matte auf dem Boden. Wir erfahren, dass die alte Frau hier mit drei Enkeln wohnt, die Eltern leben nicht mehr. An der Decke hängt zusammengeknotet ein Moskitonetz, und darüber freuen wir uns. Die alte Frau kann nicht mehr gehen. Sie schaut leer. Zwar hat sie uns erlaubt, in ihre Hütte zu gehen, aber das fühlt sich nicht richtig an. Ich gehe wieder raus. Wie ist das, abends schlafen zu gehen, in den stickigen Hütten auf dem harten Boden zu liegen, und nicht zu wissen, was die Zukunft bringt? Wir schämen uns für unser Glück.

Aber dann flötet Schwester Veronika in ihrem rheinischen Singsang, ein Kind grinst, und Susann kauft für ein paar Kwacha einen Korb.

Im Krankenhaus fehlt viel, steril ist hier nix

Nächster Halt: Madisi Hospital, es wird von Action Medeor mit Medikamenten versorgt. Das schöne neue Geld der letzten „Wer wird Millionär?“-Ausgabe soll eventuell auch hier zum Einsatz kommen. 1964 erbaut, von Anfang an unterstützt von der katholischen Kirche, von Deutschland. 129 Betten. Versorgt werden sollen insgesamt rund 43 000 Menschen.

Operationssaal im Krankenhaus von Madisi.
Operationssaal im Krankenhaus von Madisi.
© Boris Breuer

Im Krankenhaus fehlt viel, das sehe sogar ich als Laie: alte Bettgestelle, arg zerrupfte Matratzen. Keine Tische, keine Stühle für Besucher. Der einzige Krankenwagen: seit einem Unfall Vollschrott. Eine Plane verhüllt den Wagen, der Unfall war schwer, es gab einen Toten. Wie ein Mahnmal steht da dieses verhüllte Ding, rot eingestaubt. Alles hier ist rot eingefärbt, immer so ein Schleier.

Der OP-Saal ist eine echte Katastrophe. Nur die Lampe über dem Tisch ist intakt. Sauerstoff- und Herz-Lungen-Maschine fehlen, keine Ahnung, wie hier eine Narkose verabreicht werden soll! Steril ist hier drinnen nix! Am Boden sieht man, wo Blut weggewischt wurde. Ich wüsste gar nicht, wo ich hier anfangen würde. Hilfe! Wie helfen?

Es sind nicht viele Patienten hier. Die Menschen wollen ins St. Gabriel’s Hospital, das ist das beste in der Gegend, aber weit weg. Wir werden es morgen besuchen, dort ist ein Empfang für uns. Ein großer Teil des vorletzten „Wer wird Millionär?“-Geldes ging dorthin.

Tja, Beten hilft nicht immer

Nur ein paar Meter weiter, hinter der Mauer der Primary School, ist alles anders: Hier ist jemand blumen- und pflanzenverrückt – bunte Blumen, Kräuter, Gemüse, alles da. Das erste Haus heißt „Klara“. Natürlich.

Die Schwestern sind so stolz! Zeigen Klassenräume, Tafeln, Tische, Schränke. Vieles aus Deutschland. Und ich weiß jetzt, dass man den Sternsingern immer was geben muss! Man denkt ja schnell: „Alberne Kostüme, Geld haben wollen und nicht mal ordentlich performen“ – falsch! Ganze Gebäude wurden hier von den Spenden gebaut. Schwester Klara macht Witze und erzählt von ihrer Begegnung mit Thomas Gottschalk bei einer „Ein Herz für Kinder“-TV-Gala, wie sie täglich betete, dass sie krank werden möge, um bitte nur nicht nach Deutschland reisen zu müssen zu dieser TV-Show. Tja, Beten hilft nicht immer. Sie war da und hat alle begeistert.

Wir schauen uns den Garten an: Mangobäume, Papaya, viel Salat, Möhren … Schwester Klara stellt uns Margret vor. Ihr Mann starb vor vielen Jahren an HIV/Aids, großes Leid, Margret wusste nicht, wohin. Ist selber positiv und sagte zu Klara: Ich will bei dir sein, bis ich sterbe. Jetzt arbeitet sie im Garten, sieht fit aus, nur etwas traurig.

Es ist Nachmittag, wir wollen bald ins Hotel. Ob wir Lunch bekommen haben, wollen die Schwestern wissen. Nein, aber Gebäck. „WAAAS? Um Hilfe bitten, aber nicht gastfreundlich sein, das geht nicht!“ Ein Missverständnis. Innerhalb von sieben Minuten gibt es Spiegeleier, eine Art Kartoffel und wahnsinnig gute Kochbananen.

Der Abschied fällt schwer. Wir drücken uns lange.

Geld gewonnen, investiert, alle happy

Auf der Wöchnerinnenstation werden eine Mutter und ihr Neugeborenes medizinisch versorgt.
Auf der Wöchnerinnenstation werden eine Mutter und ihr Neugeborenes medizinisch versorgt.
© Boris Breuer

St. Gabriel’s

Am Morgen fahren wir nach Namitete, 50 km westlich von Lilongwe. Dort wollen wir uns ansehen, was mit dem „Wer wird Millionär?“-Geld von Juni 2015 gemacht wurde. St. Gabriel’s Hospital ist ein privates christliches Krankenhaus mit 300 Betten und 250 Angestellten. Susann schaukelt uns wieder erzählend durch die Gegend, es ist ihr gar nicht so wichtig, ob wir sie in dem lauten Auto überhaupt verstehen können, glaube ich. Beim Frühstück hatte sie gedrängt, und nun sind wir zehn Minuten zu spät, das heißt: Seit zehn Minuten (mindestens!) stehen 20 Menschen vor dem Krankenhaus – und lächeln. Keine schlechte Laune, trotz unserer Verspätung! Viel Händeschütteln.

Wir sitzen an einem großen Tisch, alle stellen sich vor. Dr. Mbeya hat viele Zahlen parat, ich verstehe, dass hier vielen Menschen geholfen wird – immer mehr, immer besser. Die Menschen kommen von weit her, niemand wird weggeschickt. Schwerpunkt Geburten, Kinderstation. 1959 von den luxemburgischen Zitha-Schwestern gegründet. Von dem „Wer wird Millionär?“-Geld wurde medizinisches Equipment gekauft: Überwachungsmonitore für die Baby-Station, Beatmungshilfen, Inkubatoren und Medikamente. Alles macht einen guten Eindruck, wir denken immerzu an das Madisi-Hospital gestern, wo so viel fehlt.

Die Mitarbeiter hier sind so stolz, erklären und strahlen! Dr. Jacob zeigt stolz den „Känguru“-Raum. Hier sitzen sechs Frauen, ihre Frühchen im Tuch nah am Körper, das stärkt Atemwege und Herz. Ich schwitze wie ein Schwein.

Alles richtig gemacht

Wir sehen Kinder mit Verbrennungen (Kochen am Feuer!), kleine Schnuckis mit Beinbruch oder Kopfverletzungen. (Verkehrsunfälle! Weil hier alle rasen wie Sau!) Die Tour ist beeindruckend. Es gibt eine Küche und Schlafmöglichkeiten für die Begleiter – alles schlicht, aber total o. k.

Wir gehen zurück zum großen Tisch, meine Redezeit habe ich schon bei der Begrüßung verplempert, weil ich dringend loswerden wollte, dass ich nicht Botschafterin bin, sondern Freundin und ein Glückspilz mit guten Telefon-Jokern! Ich hatte bei der Begrüßung angekündigt, mich nach der Vorstellung (die etwas ausführlich wurde, haha) nie wieder zu äußern, versprochen, Redezeit ist Lebenszeit. Großes Gelächter. Deshalb jetzt nur ein gemeinsames Essen. Wir verabschieden uns. Beeindruckt. Alles richtig gemacht. Geld gewonnen, Geld gut verteilt, gut investiert, alle happy. Merken: In Deutschland erzählen, dass sich das alles lohnt!

Nächste Station: Niederlassung von Action Medeor in Lilongwe, Heimvorteil Susann. Wir lernen alle kennen: Lonely (Lagerleitung), Brighty (Buchhalter), Chimwemwe (Kundenbetreuer), Rajab (Apotheker) und Emphraim (Fahrer und Büroassistent). Dieses Lager ist beeindruckend: alles da, alles top sortiert, korrekt gekühlt (C. erzählt vom neuen Dach, Isolation, Riesenaufwand), das Büro ist schön schlicht, fast ein bisschen hip.

Deutsche Botschaft

Am Abend Einladung zum Sundowner in der deutschen Botschaft. Selten so ein großes Haus betreten, spitze eingerichtet, ein Riesenschuppen, Riesengarten, viele Angestellte, wir sind etwas überwältigt. Botschafter Borsch ist hier Gast auf Zeit, denn das ist die Residenz von der Bundesrepublik Deutschland in Malawi. Na ja, irgendwie gehört mir ja ein winziger Teil hier, weil von meinen Steuern bezahlt.

Sitzen lange zusammen und überlegen: Wie kann man Malawi helfen? Der Botschafter erzählt, dass so wenige Leute wissen, wo Malawi überhaupt ist, was dort die Probleme sind, was fehlt. Stimmt. Ich frage mich, was ein Botschafter in einem so armen Land wie Malawi ausrichten kann? „Malawi gehört zu den am wenigsten entwickelten Ländern der Welt. Auf dem Human Development Index nimmt Malawi Rang 170 von 188 Staaten ein (Stand 2015). Das Land hat wenig eigene Einnahmen zur Finanzierung seiner staatlichen Ausgaben und ist daher in hohem Maß von internationalen Gebern abhängig. (...) In Malawi gibt es kaum direkte Investitionen deutscher Unternehmen. Der deutsche Außenhandel mit Malawi ist schwach entwickelt und sein Volumen weitgehend abhängig von den Ernteergebnissen und Preisentwicklungen bei Rohtabak und Zucker.“ (Quelle: Auswärtiges Amt)

Tikondane

Heute zwei Stationen: Straßenkinderprojekt Tikondane, Frauen-Agrarkooperative. Wir fahren los, es ist warm und sonnig. Am Straßenrand wieder Tomaten, gebratene Mäuse, viele Fahrräder, zu schnelle Kleinbusse, streunende Hunde, spielende Kinder, eine große Werbefläche: „KEEP GIRLS IN SCHOOL“.

Wir sind mitten in Lilongwe. Hinter hohen Mauern ist Tikondane. Eine schwere Eisentür geht auf, wir parken im Hof vor einer weiteren Eisentür. Schwester Anna öffnet. Eine kleine Frau, Brille, wache Augen, kurzes Haar, dicke schwarze Jacke, sie freut sich über unseren Besuch. B. fragt, ob er fotografieren dürfe, ja, aber bitte nicht die Kinder – denn die müssen geschützt werden. Weggelaufene Kinder zwischen fünf und 15, tippe ich. Im Hof spielen sie Fußball, mit einem kleinen Plastikauto als Ball. B. fotografiert die Gebäude: Schlafraum (nur Matten & Moskitonetze, ganz schlicht, freundliche Farben), Klassenzimmer, Küche, Wohnhäuser, alles überschaubar.

Macht das der Glaube?

Jungs führen ein Theaterstück auf.
Jungs führen ein Theaterstück auf.
© Boris Breuer

Wir sitzen mit den Kindern zusammen und mit Anna und ihren Mitarbeitern, heute sind das die superschwangere Tawonga und der gute Redner Mathias. Sie erzählen. Die Kinder sind Gewaltopfer, die Mädchen wurden früh missbraucht, oder es liegt ein „Fluch“ auf ihnen. Dass jemand verhext ist oder selber hexen kann, ist in Malawi Thema. Wenn jemand stirbt und seltsame Dinge passieren, werden schnell Menschen beschuldigt, mithilfe ihrer übernatürlichen Kräfte Böses getan zu haben. Kinder haben dann Angst, zu widersprechen, geben Dinge zu, die sie geträumt, gedacht oder getan haben sollen. Dann werden sie stigmatisiert und laufen fort. Straßenkinder erhoffen sich ein besseres Leben ohne die misshandelnden Eltern, Anna erzählt von Kinderarbeit und Prostitution. Natürlich klappt das alles gar nicht mit dem Straßenleben, natürlich geht das übel schief. Sie sieht ihr Projekt als Übergangslösung für die Kinder. Wichtig sei, dass mit den Eltern oder der Familie Kontakt aufgenommen wird. Das Ziel ist eine Zusammenführung.

Das verstehe ich nicht. Was, wenn die Eltern den Kindern weiter Angst machen, nicht aufhören mit dem Missbrauch? Dann sucht das Team eine andere Lösung, sagt Anna.

Bei Tikondane wird unterrichtet, Bildung ist wichtig, Anna lässt nicht locker, auch wenn es den Kindern schlecht geht. Wir sehen uns alles an. Ob die Kinder uns denn bei der Begehung begleiten müssen, fragen wir, es ist doch arg langweilig, was wir so auf Englisch besprechen. Nein, sagt Anna, die Kinder müssen beaufsichtigt werden! Manche sind verzweifelt, lebensmüde, manche auch verwirrt, aggressiv, auf jeden Fall ist Aufsicht bei den meisten vonnöten. Alle stellen sich namentlich vor und sagen uns, was sie gerne werden möchten: Arzt, Pilot, Anwältin, Soldat, Dozentin, ganz normale Traumberufe. Und wir sollen ebenfalls unseren Namen sagen, unseren tatsächlichen Beruf – und den Vornamen unseres Vaters.

Gibt es auch in Köln Annas?

Während wir mit Anna, Tawonga & Mathias im Büro reden und uns langsam verabschieden, sehe ich die Aushänge mit Infos für die nächsten Wochen. Immer stehen die Rechte der Kinder im Vordergrund, als sei das der Job, der hier eigentlich gemacht werden muss: die Möglichkeiten der Kinder durchsetzen, von denen sie offenbar nichts wissen.

Susann drückt Anna fest, sie weiß mehr über ihre tägliche Arbeit als wir, über die Arbeit mit den Eltern, auf der Straße, wir haben ja keine Ahnung. Wir stehen etwas doof da, wie mit leeren Händen. Action Medeor füllt hier die „Hausapotheke“, Annas Schrank, aber Susann sagt lachend: „Du bist immer so bescheiden!“ Zu C.: „Die will immer nix, die sagt, dass das Wichtigste doch da sei.“ Puh. Ich denke an meine Stadt, an Köln, ob es da auch Annas gibt, die so bedingungslos bescheiden sind, dass es fast schon unnatürlich ist?

Natürlich gibt es in Köln auch Annas! Man erlebt sie nur nicht, es sei denn, man geht mal hin, trifft Leute, die sich engagieren! – Wir sind so baff, weil Anna etwas Selbstverständliches tut, das für uns ungewöhnlich geworden ist. Warum denkt sie so bedingungslos an andere und so scheinbar wenig an sich? Macht das der Glaube?

Frauen-Agrarkooperative

Wir reden nicht viel auf der Fahrt zur nächsten Station, der Frauen-Agrarkooperative. Susann macht wieder Murmel-Murmel-Kommentare, die ich auf der Rückbank nur in Teilen verstehe: „Hoffentlich nicht wieder Schlumpf-hoch-3!“ Befürchtet sie, dass wir hektischen Deutschen hier alles lahm finden? Das tun wir natürlich nicht. Susann denkt vermutlich, dass man nur Projekte mit Bewerbungsveranstaltungen in Musical-Qualität berücksichtigen und unterstützen würde. Aber das ist Quatsch. Wir erleben in diesen wenigen Tagen, dass es schlicht unmöglich ist, hier von heute auf morgen etwas zu ändern. Rang 170 von 188: In Malawi geht es schlicht um den nächsten Tag. Dass der gut wird, dass man zu Essen hat, dass man überlebt.

Wir treffen uns in einer Schule, einem Klassenraum. Oh nein, bitte keine Rede, ich bin ganz schlecht im Redenhalten hier, immer dieses schlechte Gewissen, weil das doch nicht meine privaten 500 000 Euro sind, herrje, dafür habe ich nicht gearbeitet, nur ein paar Witze gemacht und sehr gut: geraten! Egal. Jetzt Begrüßung. Barbara ist ein ziemlicher Chef. Sie erzählt von Eiern und Hühnern, nur wenn sie als Gruppe viel einkaufen und viel verkaufen, haben sie eine Chance, im Supermarkt stattzufinden neben all den großen Marken. Und jetzt sollen wir erzählen: Was wir der Gruppe anbieten können?

C. ergreift das Wort: „Wir können gar nix anbieten! Action Medeor ist ein Medikamentenhilfswerk, wir sind hier, um das Land ein wenig besser zu verstehen. Aber wir haben Ideen. Wie ist hier die Mango-Situation?“ Barbara antwortet fast entschuldigend: „Die Dinger wachsen hier, aber wir brauchen die gar nicht, ein paar werden geerntet, der Rest fällt vom Baum.“ Wir können es nicht fassen! Das ist doch die Chance! C. fragt: „Habt Ihr die Früchte schon mal getrocknet und verkauft?“ Wir spinnen lange miteinander rum, haben viele Ideen, dann ist die Veranstaltung beendet.

Plötzlich ist das unser letzter Abend, und B. kommt zu uns, und er sagt, das sei wieder so ein Afrika-Moment, irgendwann ist alles im Körper angekommen: die Wärme, der Geruch, die Sounds, das Licht, dann erst ist man wirklich hier. Wir müssen los, bald wird es dunkel. Warum sie noch hier seien, fragen wir Barbara, ob sie arbeiten müssten? Nein, sagt sie. „We don’t leave our guests behind.“

Notizen. In dieses Büchlein notierte Anke Engelke ihre Erlebnisse in Afrika.
Notizen. In dieses Büchlein notierte Anke Engelke ihre Erlebnisse in Afrika.
© Boris Breuer

Action Medeor setzt sich seit über 50 Jahren für die Gesundheit der Menschen in Entwicklungsländern ein. Bisher wurden rund 10 000 Gesundheitsstationen in 140 Ländern mit medizinischer Hilfe versorgt. Seit 2003 unterstützt Anke Engelke als Botschafterin diese Arbeit. Spendenkonto: Action Medeor, Sparkasse Krefeld, BIC: SPKRDE33; IBAN: DE 7832 0500 0000 0000 9993; Stichwort: Tagebuch Anke Engelke

Anke Engelke

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