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Ein Mann, ein Einbaum. Wie ihre Vorfahren paddeln die Menschen raus auf den Malawisee. Dort werfen sie ihre Netze aus. Doch immer weniger Fische verfangen sich darin.
© AfriPics.com / Alamy Stock Photo

Malawi zwischen Tradition und Moderne: Die Fischer hoffen auf ein besseres Leben für ihre Kinder

Am Ufer des Malawisees stehen luxuriöse Lodges, gebaut für Touristen. In den Dörfern erleben sie Alltag der Afrikaner: Die Ressourcen des Landes reichen nicht mehr für alle; es gibt nie genug, von nichts.

Am Ortsrand von Kasankha ragt ein großes, stabiles Gebäude aus einem Meer aus Hütten heraus. Aber es steht leer. Was ist das für ein Haus, Justice?

Justice Sumaili begleitet uns durch die Dörfer am Malawisee. Er übersetzt uns Afrika. Doch die Geschichte dieses Hauses erzählt der 36-Jährige nur zögerlich. Er arbeitet in einer Lodge. Die Betreiber dieser Lodge haben dieses Haus gebaut – und sich einen Anfängerfehler geleistet. Lasst uns eine Schule für das kinderreiche Dorf stiften, hatte sich der erste Manager der Lodge gedacht.

Eine gute Idee. Aber die Lodgebetreiber hatten sich nicht mit den Dorfältesten abgesprochen. Einer von ihnen befand, diese Schule stehe zu weit weg von seinem eigenen Haus. Die Schule wurde nie eingeweiht. Jetzt hingegen, erzählt Justice, unterstütze die Lodge eine Ziegelei. Mit dem Segen aller drei Dorfältesten funktioniere das gut.

Der Malawisee erstreckt sich von Nord nach Süd, zwischen Tansania, Malawi und Mosambik. Wir besuchen Menschen in zwei Dörfern im Süden des Sees. Am Abend sitzen wir auf der Terrasse einer Lodge, am Himmel schimmern die Sterne, und wie ein Spiegel zeigt sich der Malawisee: tiefschwarz, gepunktet mit Lichtern. Von der Anhöhe könnte man das Gefunkel für eine Stadt halten, die sich in der Ebene ausbreitet. Doch es sind Fischerboote.

Malawi ist eins der bevölkerungsreichsten Länder Afrikas

Der Anblick wird den Besuchern durch zweierlei Umstände beschert. Zum einen gibt es im Dorf unterhalb der Lodge keinen Strom, also auch kein Licht. Die Schwärze der Nacht kann sich ausbreiten. Und zum anderen gibt es in den Dörfern Kasankha und Chimphamba auch sonst nicht viel. Keine Jobs, kaum fruchtbaren Boden. Deshalb fahren die Männer wie ihre Vorfahren nachts mit den Fischerbooten hinaus. Nur ist eben vieles nichts mehr so, wie es zur Zeit ihrer Väter war.

Einladend: die Pumulani-Lodge.
Einladend: die Pumulani-Lodge.
© promo

Von den 37 Angestellten des Hotels kommen 33 aus Kasankha, jeder von ihnen ernährt eine vielköpfige Familie. Bei der Fahrt durchs Land sieht man kaum ein Fleckchen Erde, auf dem keine Hütte steht, keine Straße, an der sich nicht eine Kolonne von Menschen von irgendwo nach irgendwo aufgemacht hat. Das kleine Land ist eines der bevölkerungsreichsten Afrikas. Während im westlich angrenzenden Sambia 15 Einwohner pro Quadratkilometer gezählt werden, sind es in Malawi statistisch gesehen 120 Einwohner.

Zuvor arbeitete Justice Sumaili bei einer dänischen Nichtregierungsorganisation (NGO) im Umweltschutz. Aber Gelder verschwanden, Dänemark beendete die Zusammenarbeit. Verständlich, sagt Justice. Nun stapeln sich bei ihm zu Hause Broschüren, die niemand haben möchte. In den Heften geht es um nachhaltige Landwirtschaft, um Solaröfen.

Während er das erzählt, kommen Frauen ins Dorf, auf ihren Köpfen tragen sie Bündel von Holz. „Solaröfen wären schon eine gute Idee“, sagt er. Ebenso wie ein neues Schulgebäude. In den beiden ebenerdigen Klassenzimmern der Dorfschule sitzen jeweils mehr als hundert Kinder auf dem Betonboden. Beim Besuch der Fremden springen sie auf, zeigen ihre Hefte, in die sie abschreiben, was auf der Tafel steht: Amayi akuphika nsima – Mutter kocht Mais. Eine dritte Klasse hat sich im Schulhof versammelt; Die Kinder sitzen unter einem Jacarandabaum. „Wenn es regnet, haben sie keinen Ort zum Lernen“, erklärt der Lehrer.

Wahrscheinlich behalten die Lehrer die Geschenke für die Kinder

Wir haben Stifte mitgebracht. Justice überreicht sie den Lehrern. Später sagt er, die Lehrer würden diese wahrscheinlich behalten, weil sie selbst keine Stifte haben. Als wir weitergehen ins Dorf, drängen sich einige mutige Kinder heran, schüchtern schiebt sich eine Hand in die Hand der Mzunga, der Weißen. In den Dorfstraßen stehen, sitzen, spazieren überall Menschen. In der Mitte des Dorfes versammeln sich Frauen an einer Maschine. Sie tragen Schüsseln mit Mais, Hauptspeise zu jeder Tageszeit.

Die dieselbetriebene Mühle gehört einem jungen Mann. Er trägt eine lange Hose, gelbe Turnschuhe, ein weißes T-Shirt, und trotz der Hitze Weste und Schal. Er besitzt mehr Kleidung als andere, und das zeigt er. Einmal mahlen kostet 200 Kwacha, etwa 40 Cent.

Der Mann sortiert das Geld in dicken Bündeln. Er unterbricht seine Arbeit, das Geldzählen, und zeigt auf eine alte Frau, die auf dem Boden sitzt. Sie trägt ein blaues Tuch um die Hüften und ein blau gestreiftes Poloshirt, sie hat keine Schuhe, kaum Zähne. Der junge Mann sagt: Die alte Frau hat kein Geld, kannst du ihr die 200 Kwacha geben? Und was sagen dann die anderen Frauen? Der Mann sagt: „Die sind jung und kräftig, für die ist das okay.“ Wenn man nur immer wüsste, wie man sich verhalten soll. Was rät Justice? Er sagt, das gehe in Ordnung.

Warum hat der Mühlenbesitzer die alte Frau nicht einfach umsonst ihren Mais mahlen lassen? Fragen in Afrika.

Jobs, egal welcher Art, sind das kostbarste Gut in Malawi

Freude über Besucher.
Freude über Besucher.
© Barbara Schaefer

In der Lodge arbeitet eine junge Kellnerin. In ihrer Freizeit kümmert sie sich um 20 Waisenkinder. Sie bringt ihnen Papiermachen, Schnitzen und Malen bei. „Alles, was ich als Kind bei einer finnischen NGO gelernt habe, möchte ich weitergeben“, sagt sie. Sie finanziert ihr Waisenprojekt mit dem Verkauf des Kunsthandwerks und mit Spenden. Mit gut hundert Euro im Monat ernährt sie die Kinder. Die Kleinen nennen sie Amayi, Mutter.

Einmal waren ihr vier Geschwister aufgefallen, die alleine durchs Dorf stromerten. Sie hat sie gefragt: Warum geht ihr nicht in die Schule? Der älteste Junge hat geantwortet: „Wir müssen den ganzen Tag irgendetwas arbeiten, um Essen zu bekommen.“ Nun versorgt sie auch diese vier Waisen. Aber sie hat ihnen eingeschärft: „Ihr müsst Lesen und Schreiben lernen, damit ihr einen Weg heraus findet.“

Am Dorfrand gehen junge Frauen, eine hinter der anderen, an der Straße entlang. Jede von ihnen trägt zehn Ziegelsteine auf dem Kopf. „Wir nutzen die Frauen aus“, sagt Justice.

Wir fahren weiter, ins Fischerdorf Chimphamba. Justice erzählt, „als Kinder bekamen wir eimerweise Fische geschenkt. Es gab Fisch im Überfluss.“ Wir treffen Andrew John Masiye, den „Chef der örtlichen Fischer“. Es sei beileibe nicht so, dass jeder einfach mit seinem Boot hinausfahre, erklärt er, während er uns zur Fischer-Kooperative bringt.

Die Fischer sitzen unterm Vordach eines Ziegelhauses. Sie sind am Morgen vom See nach Hause gekommen, haben die Fische ausgenommen, zum Räuchern aufgeschnitten, verkauft. Und nun warten sie, bis es Abend wird und sie in ihren Einbäumen wieder hinauspaddeln werden. Je zehn Mann bilden eine Crew, manche fischen mit sogenannten Longlines, manche mit Schleppnetzen, wieder andere mit Strandsandnetzen.

Heute gehen alle Kinder zu Schule

Wir fragen nach Chambo. Vom Chambo reden hier alle. So groß, die Männer halten die Arme weit auseinander, so groß ist der Chambo. Ein guter Fisch. Ein Buntbarsch, der bevorzugte Fisch aus dem Malawisee. Und fast Legende geworden. „Früher haben wir mit einem Zug 50 Chambo im Netz gehabt“, sagt einer der Männer. Und heute? Vor zehn Jahren hat der Letzte von uns einen gefangen. Sie zeigen auf einen Mann mit gelbem Poloshirt, er war’s. Der Mann lächelt. Das Fischereiministerium hat die Erträge untersucht. In den 1980er-Jahren war fast die Hälfte der Fische in den Netzen Chambo, 2012 waren es noch zwei Prozent.

„Manche Fische sind bereits ausgestorben“, erklärt Masiye. Mit ihren Netzen ziehen sie nur noch wenig an Land, „zu viele Menschen“, so benennt Andrew John Masiye das Problem. Da der See die Anwohner immer reich beschenkt hatte, habe sich kaum Landwirtschaft entwickelt. Und so fahren die Männer eben weiterhin hinaus. Die Netze werden feinmaschiger, und die Fische immer weniger.

Segeln zum Sonnenuntergang.
Segeln zum Sonnenuntergang.
© promo

Und was sagen die Fischer, die schon als Kinder hinausfuhren, wie soll das weitergehen? Der Mann im gelben Poloshirt zuckt mit den Schultern. „Wir sind zu viele, es gibt keine Arbeitsplätze, ein paar Lodges, sonst nichts.“ Und jeder hat vier oder gar acht Kinder. Da sind sie sich einig: „Unsere Söhne sollen keine Fischer werden.“ Er sei als Kind kaum zur Schule gegangen, „jetzt gehen alle! Kinder dürfen nicht mehr in die Boote, da ist die Regierung strikt.“

Am Strand liegen aufgereiht blau bemalte Einbäume. Ein paar Knirpse spielen Fußball im Sand, der Ball ist – einigermaßen rund, zusammengeschnürt aus Stoff und Papier. Im Dorf überall immer noch mehr Kinder, sie umringen die Besucher, rufen laut Mzungu, Weiße! und lachen sich scheckig. Sie schleppen Baby-Geschwister heran, die aufs Foto sollen. Ein Junge hat sich aus Tetrapaks einen Lastwagen gebaut, Kronkorken sind die Räder, er zieht ihn an einer Schnur hinter sich her. Der stolze Daniel Düsentrieb von Chimphamba.

Justice Sumaili fährt uns zurück in die Lodge. Es sei mit den Fischen so wie auch mit den Stiften, wie mit allem hier: es gibt nie genug, von nichts.

"Für die Menschen hier zählt nur die Gegenwart"

Alex Eigner aus Kapstadt führt die Lodge Pumulani und ist damit der größte Arbeitgeber am Südufer des Malawisees. Er sagt, er kümmere sich um den See, „auf meiner Seite des Zauns“. Die Lodge liegt in einem Nationalpark, einem dschungelartigen Wäldchen am Ufer, und das scheint nur auf den ersten Blick eine schlechte Idee. „So können wir aufpassen, dass niemand Holz schlägt“, erkärt Eigner. Und in einer hundert Meter breiten Ufer-Schutzzone ist Fischen verboten.

Die Lodge hat Patrouillenboote für den Nationalpark gekauft, die Regierung habe dafür kein Geld. In Ufernähe haben sie Anti-Netz-Haken im Wasser versenken lassen und Schilder aufgestellt. „Wer hier fischt, riskiert, dass er sein Netz verliert.“ Der See müsse vor Überfischung geschützt werden, sagt Eigner und fügt an: „Aber ich kann leicht reden, ich muss keine fünf Kinder satt kriegen“.

Monatlich lädt Eigner Dorfälteste und Nationalpark-Ranger zum Gespräch, er wolle Zukunftsperspektiven vermitteln. „Aber für die Menschen hier zählt die Gegenwart. Warum an eine Rente denken? Oder an den See von morgen? Ich werde eh keine 50 Jahre alt“, das sei die Haltung. Jobs, egal welcher Art, „sind das kostbarste materielle Gut in Malawi“. Wer in einer Lodge arbeitet, kann aufsteigen, kann Gärtner und Kellner werden, Englisch lernen, den Führerschein machen. Täglich bekomme er Briefe aus den Dörfern, erzählt Eigner: „Dear Manager...“

Der Cocktail zum Sonnenuntergang ist das wichtigste afrikanische Getränk. Jedenfalls für Urlauber. Dafür lässt man sich in den Lodges etwas einfallen. Am Malawisee werden bei einer Dhau-Cruise Segel gehisst. Wir nehmen auf bunten Leinenkissen Platz, das Holzboot fährt auf den roten, tiefstehenden Ball der Sonne zu. Justice serviert Gin and Tonic. Und beschert uns so einen wundervollen Afrika-Moment in Ruhe und Gelassenheit.

Die Lampen der Lodge flackern auf, und als wir zurücksegeln und uns auf das Dinner auf der Terrasse freuen, stoßen von den Ufern des Malawisees die Einbäume ab, Männer paddeln zur Arbeit. Wieder werden sich in der Nacht ihre Lichter als Gefunkel auf dem See ausbreiten.

Moderate Temperaturen von Mai bis Oktober

REISEZEIT
Während des afrikanischen „Winters“ von Mai bis Oktober betragen die Temperaturen immer noch 14 bis 24 Grad. In den heißen Monaten von November bis April steigen die Temperaturen auf 19 bis 32 Grad. Die Wassertemperatur des Malawisees liegt ganzjährig bei angenehmen 25 Grad.

ANREISE
Mit Ethiopian Airlines von Frankfurt/Main über Addis Abeba nach Blantyre (Malawi) ab rund 1000 Euro.

ÜBERNACHTEN
Die Pumulani-Lodge, bestehend aus zehn Villen, wird von Robin-Pope-Safaris betrieben. Eine Übernachtung kostet ab 250 Euro pro Person mit Vollpension.

PAUSCHAL

Der Veranstalter Abendsonne Afrika hat verschiedene Malawi-Reisen im Programm. Eine zwölftägige individuelle Tour kostet ab 2649 Euro (exklusive internationaler Flug).

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