Urlaub in Israel: Innere Unsicherheit
Wenn deutsche Reisende nach Israel flogen, ärgerten sie sich über harsche Kontrollen. Seit Europa vom Terror betroffen ist, zeigen viele plötzlich Verständnis.
Es beginnt schon in Schönefeld. Wer von Berlin aus mit der Fluglinie El Al nach Israel möchte, muss in Halle D vor ein Stehpult treten und eine Reihe merkwürdiger Fragen beantworten. Zum Beispiel: „Verreisen Sie oft? Warum ausgerechnet Israel?“ Es wird noch persönlicher: „Wo leben Sie in Berlin? Haben Sie arabische Freunde? Welche Personen kennen Sie in Israel?“ Die naheliegendste Antwort auf jede dieser Fragen wäre „Das geht Sie gar nichts an!“, aber da man ja die Reise antreten will und ahnt, dass der Mann im dunklen Anzug genau das verhindern könnte, bleibt man höflich. Sogar dann noch, als der Fragensteller verlangt, einem auf dem Smartphone in die Liste der Facebookfreunde zu schauen. Frechheit. Oder?
Wer statt El Al eine deutsche Linie bucht, muss die Fragen erst bei Ankunft am Tel Aviver Flughafen Ben Gurion beantworten. Und dann noch einmal, besonders intensiv, vor der Abreise. Heimkehrer erzählen davon, als hätten sie im Urlaub die Eiger-Nordwand bezwungen.
Geheimdienstler erkennen potenzielle Terroristen anhand ihres Verhaltens
Seit Jahrzehnten ist Israel für seine rigiden Sicherheitskontrollen berüchtigt – manche hält es gleich ganz von der Reise ab. Und doch hat sich zuletzt Erstaunliches getan: Veranstalter wie Latour Reisen, Gebeco, Israel Tours & Travel und SKR berichten, dass der Unmut deutscher Israelurlauber über die dortigen Sicherheitsmaßnahmen stark abgenommen habe – und vielfach Verständnis gewichen sei. Nicht etwa, weil die Maßnahmen gelockert wurden, sondern weil sich die Einstellung der Urlauber verändert habe.
Dafür gibt es eine Erklärung, sagt der Münchner Nahost- und Terrorexperte Michael Wolffsohn: Jetzt, da der islamistische Terror Europa erreicht hat, ändere sich die Sicht der Deutschen. „Es wächst die Erkenntnis, dass die vielen Vorsichtsmaßnahmen keine Touristen gängeln sollen und auch kein Zeichen für einen Überwachungsstaat sind, sondern tatsächlich Leben retten.“
Die Männer hinter den Stehpulten in Schönefeld sind keine gewöhnlichen Fluglinienangestellten, sondern vom israelischen Inlandsgeheimdienst Schin Bet ausgebildet. Bei den vermeintlich unverschämten Fragen geht es den Spezialisten nicht wirklich darum zu erfahren, welche Orte ein Tourist in Israel besucht und wann er in welchem Hotel übernachtet. Bietet man zum Beispiel an, seinen ausgedruckten Reiseplan mit allen Buchungen und Adressen aus der Tasche zu ziehen, lehnt der Interviewer dankend ab. Kein Interesse.
Wichtiger als die tatsächliche Route ist ihm, wie sein Gegenüber auf unangenehme Fragen reagiert. Das Verfahren heißt „Behaviour Pattern Recognition“ – Verhaltensmuster-Erkennung. Es wurde in den frühen 1970er Jahren von Psychologen entwickelt und beruht auf der Annahme, dass sich Terroristen unter Druck anders benehmen als arglose Touristen. Es geht um Wimpernzucken, Körperhaltung, Wortwahl. Ein israelischer Sicherheitsexperte, der früher für die staatliche Betreibergesellschaft des Flughafens arbeitete, sagt: „Wir versuchen nicht, die Bombe zu finden, sondern den Terroristen.“ Deshalb wird auf Nacktscanner verzichtet, die Schuhe müssen nicht ausgezogen werden. In Europa geltende Regeln wie das Verbot von Mineralwasser im Handgepäck hält der Israeli für unsinnig, ja schlimmer: für gefährlich, denn ihre Überwachung binde Kapazitäten.
Seit 1972 ist kein Anschlag auf eine El-Al-Maschine gelungen
Die Taktik der Psycho-Kontrollen hat eine Vorgeschichte. Als Erfinder der modernen Flugzeugentführung gelten die Kubaner. In den 1960er Jahren kaperten sie reihenweise US-Maschinen und zwangen deren Piloten, Havanna anzusteuern – teils als politisches Statement im Kalten Krieg, teils bloß deshalb, weil sie zurück in ihre Heimat wollten und keine andere Möglichkeit sahen, da die USA den Seeweg blockierten. Innerhalb von fünf Jahren wurden 130 Maschinen entführt, die dann der Castro-Regierung einzeln abgekauft werden mussten. Die Fluggesellschaften reagierten. Neben schärferen Kontrollen statteten sie ihre Cockpits mit Listen spanischer Vokabeln aus. So konnten sich die Piloten im Ernstfall mit den Entführern verständigen.
In den späten 1960ern übernahmen palästinensische Terrorgruppen das Konzept der Flugzeugentführung. Nach mehreren vereitelten Aktionen gelang es einem Kommando der „Volksfront zur Befreiung Palästinas“ im Juli 1968, eine Maschine der El Al auf dem Weg von Rom nach Tel Aviv zu kapern und nach Algier umzulenken. Im Austausch für die Geiseln musste Israel 19 inhaftierte Terroristen freilassen. Um künftige Entführungen zu verhindern, beauftragte die Regierung Wissenschaftler, effektivere Sicherheitsmaßnahmen zu entwickeln.
Seit 1972 ist Terroristen kein Anschlag mehr auf ein Flugzeug von El Al oder den Tel Aviver Flughafen gelungen. Dutzende Attentatspläne wurden vereitelt. Auch ein deutscher El-Al-Passagier fiel bei einer Sicherheitsbefragung auf, 1979 am Flughafen von Zürich. Es stellte sich heraus, dass der Mann eine Bombe im Gepäck hatte. Er selbst dachte allerdings, er würde Diamanten schmuggeln.
Der Flughafen Ben Gurion gilt heute als einer der bestbewachten der Welt. Rund 1200 Menschen sind für die Sicherheit zuständig. Dabei zählt er im internationalen Vergleich zu den kleineren Flughäfen. 16 Millionen Passagiere werden hier jedes Jahr abgefertigt, das sind fünf Millionen weniger als in Tegel.
Überall auf der Straße stehen Wachen
Kritiker werfen Israel „racial profiling“ vor. Muslimische Araber würden viel strenger kontrolliert, pauschal verdächtigt, schikaniert. Menschenrechtsgruppen sammeln Berichte von 13-stündigen Befragungen. Israel bestreitet systematische Diskriminierung. Der Sicherheitsexperte, der früher für die Betreibergesellschaft des Flughafens gearbeitet hat, sagt: Es gibt eine lange Liste von Kriterien, mit Hilfe derer das Personal nach Verdächtigen sucht. „Sicher wird der 25-jährige, alleinreisende Ägypter gründlicher befragt als ein Rentnerpaar aus Berlin. Aber es wäre riskant, nur auf Herkunft oder Religion zu achten.“ Wer etwa für einen Langstreckenflug kein Gepäck aufgebe, wer sein Ticket kurz vor Abflug gekauft und bar bezahlt habe, wer auffällig schwitze oder dem Personal verhuschte Blicke zuwerfe, der verdiene Aufmerksamkeit.
Auch nach der Ankunft in Israel fallen dem deutschen Urlauber Sicherheitsmaßnahmen auf, die in der Heimat undenkbar wären. Am Eingang jedes Einkaufszentrums, vor jedem Kino und den meisten Sehenswürdigkeiten stehen Wachen, die in Rucksäcke schauen und einen mit dem Metalldetektor absuchen wollen. Ständig sieht man Soldaten.
Freitagabend in Jerusalem, auf dem Vorplatz der Klagemauer. Hunderte Menschen sind gekommen, um zu beten und zu singen. Ein deutsches Ehepaar steht vor dem Brunnen am Eingang und diskutiert, ob sich auch Christen hier die Hände waschen sollten. Der Mann sagt, er sei aus Troisdorf bei Köln, und die Klagemauer wirke kleiner als im Fernsehen. Seine Frau sagt, sie sei überrascht, wie viele junge Frauen und Männer in Uniform mit ihren Waffen durch die Altstadt laufen. Sogar im Café hätten sie die Gewehre dabei. „Vorhin habe ich welche damit tanzen gesehen.“ Ein paar Meter weiter steht eine Gruppe junger Soldaten. Einer heißt Asaph. Er sagt, er leiste seit sechs Monaten Wehrdienst und sei heute nicht auf Patrouille, sondern privat hier. Und das Gewehr, das um seinen Hals baumelt? „Das nehme ich sogar mit ins Bett“, sagt er. Das sei ihm in der Ausbildung so beigebracht worden. „Es liegt unterm Kopfkissen.“
Ende 2016 kamen eine Million Urlauber nach Israel, das ist Rekord
Für Deutsche ist das eine irritierende Vorstellung. Die vielen Wachen finde er richtig, sagt der Troisdorfer. Aber würde man jedem Bundeswehrsoldaten eine Knarre in die Hand drücken und erlauben, damit shoppen zu gehen, gäbe es sicher böse Unfälle: „Die würden Quatsch machen und sich gegenseitig in den Fuß schießen.“ Asaph sagt, das traute sich in Israel kein Soldat. Jedenfalls nicht in der Öffentlichkeit, zu groß wäre der Gesichtsverlust. „Es passieren Unfälle. Aber eher zu Hause in der eigenen Wohnung. Wenn es keiner mitkriegt.“
Außerdem gibt es das hier, sagt der Soldat neben ihm. „Wir nennen es Mek-Porek.“ Er zeigt auf einen orangenen Plastikstift, der seitlich im Patronenlager seines Gewehrs steckt. Die Waffe ist eine M16, US-Fabrikat. Bei dem Stift handelt es sich um einen Sicherheitsbolzen, der herausgezogen werden muss, bevor geschossen werden kann.
Der Tourismus in Israel hat zuletzt deutlich zugenommen. In den letzten vier Monaten des Jahres 2016 besuchte eine Million Menschen das Land, das ist Rekord. Die Zahl deutscher Touristen stieg um zehn Prozent. Beim staatlichen Verkehrsbüro heißt es, Beschwerden über Kontrollen gebe es kaum noch.
Einer, der beide Seiten kennt, sagt: „Es ist kein Wunder, dass Deutsche früher befremdet waren.“ Arye Sharuz Shalicar, 39, ist Abteilungsleiter im Büro des Ministerpräsidenten, davor war er Sprecher der israelischen Armee. Geboren wurde er aber in Deutschland, seine Jugend verbrachte er in Wedding, mit 23 wanderte er aus. Shalicar sagt, die Skepsis der Deutschen vor Überwachung und zu großem Sicherheitsapparat sei historisch bedingt. „Es gab die Gestapo, später die Stasi. Klar fürchtet man dann den Polizeistaat.“
Die Israelis wollen nie wieder Opfer sein
Israelis verbänden Soldaten und Sicherheitsdienste traditionell mit einem Plus an Freiheit: „Weil die es ermöglichen, dass ich mit meiner Familie im Park picknicken kann und heil nach Hause komme.“ Deutsche fühlten sich unsicher, wenn in der Fußgängerzone oder bei einer Sportveranstaltung plötzlich schwerbewaffnete Security aufmarschiere. Bei Israelis sei es umgekehrt. Die würden nervös, wenn auf einer Feier kein Sicherheitspersonal sei. Genauso beim Einkaufen. „Wir wollen, dass jemand unsere Tasche kontrolliert. Weil es bedeutet, dass alle anderen Kunden auch kontrolliert werden.“ Er erlebe, dass Europäer diese Sichtweise mehr und mehr übernähmen.
In der Vergangenheit hat Shalicar viel mit Deutschen diskutieren müssen. Mit solchen, die Israel nach ihren Erlebnissen „Überwachungsstaat“ nannten. Und solchen, die allen Ernstes argumentierten, gerade das Volk, das den Holocaust erlitten habe, müsse sich vor Überwachung fürchten. „Wenn überhaupt, ist es anders herum“, sagt Shalicar. Die Deutschen wollten nie wieder Täter sein. Die Israelis nie wieder Opfer.
Er hofft auch, dass der Anschlag am Berliner Breitscheidplatz die Deutschen jetzt nicht im Zeitraffer zu Sicherheitsfanatikern mache. „Man muss jede einzelne Maßnahme diskutieren dürfen.“ Das fange bei der Frage an, ob Weihnachtsmärkte in Deutschland künftig mit Betonpollern abgesperrt werden. Klar seien die Poller sinnvoll, sagt Shalicar. Aber vorher zu diskutieren sei es auch.
Reisetipps für Israel
ANREISE
Von Schönefeld fliegt El Al mit seiner Billiglinie Up nach Tel Aviv. Reisende sollten wegen der Sicherheitskontrollen vier Stunden vor Abflug am Flughafen sein. Wer sich die Befragung ersparen möchte, fliegt mit Air Berlin von Tegel und sollte 90 bis 120 Minuten vor dem Start dort sein. Bei der Ausreise aus Israel müssen allerdings alle Passagiere die langwierige Sicherheitsprozedur ertragen: Aufgegebene Koffer und Handgepäck durchsuchen die Beamten penibel. Vier Stunden vor der Abflugzeit am Terminal sein.
EINREISE
Deutsche Touristen brauchen einen noch sechs Monate gültigen Reisepass.
INFO
Das israelische Fremdenverkehrsamt ist zu erreichen unter goisrael.de.
Sebastian Leber
- bbbbbb
- Brandenburg neu entdecken
- Charlottenburg-Wilmersdorf
- Content Management Systeme
- Das wird ein ganz heißes Eisen
- Deutscher Filmpreis
- Die schönsten Radtouren in Berlin und Brandenburg
- Diversity
- Friedrichshain-Kreuzberg
- Lichtenberg
- Nachhaltigkeit
- Neukölln
- Pankow
- Reinickendorf
- Schweden
- Spandau
- Steglitz-Zehlendorf
- Tempelhof-Schöneberg
- VERERBEN & STIFTEN 2022
- Zukunft der Mobilität