Israel-Tourismus trotz Gaza-Krieg: Warum ich in Israel Urlaub mache
Israel gilt vielen Deutschen nicht mehr als sympathisch. Doch ein Boykott ist der Anfang vom Ausstieg. Dagegen hilft Hinfahren. Ein Kommentar
Über Urlaubsgeschmäcker lässt sich streiten. Zu Beginn der 1980er Jahre habe ich mit einer kirchlichen Besuchsgruppe den Apartheidsstaat besucht, Townships und Homelands inklusive. Damals wäre mir ein reiner Vergnügungstrip wohl anrüchig erschienen. Und Mitte der 1990er Jahre bin ich mal mit Reisejournalisten in Kalkutta gewesen. Damals kam es hierzulande ziemlich zynisch rüber, von dieser wunderbaren Stadt zu erzählen: weil die meisten Leute jene plakativen Magazinfotos des Flüchtlingselends vor Augen hatten, mit denen Kalkutta seit dem Bangladesch-Krieg 1971 ins kollektive Bildgedächtnis eingegangen ist.
Niemand muss Ferien in Gegenden machen, die den eigenen Lebensstil oder die eigene moralische Konsequenz infrage stellen.
Tatsächlich bin ich, seit meinem ersten Israelbesuch 1975, nie aus persönlichen Motiven dort gewesen. Nur zu übergeordneten Zwecken: mit einer völkerversöhnenden Studienfahrt, aus beruflichen Anlässen. Das hatte keine moralischen Gründe – als Urlaubsziel hatte mich das kleine Land einfach nicht gelockt.
2013 änderte sich das. Zuerst war ich dort, um Freunde zu besuchen, das zweite Mal, um am Mittelmeer abzuhängen – und merkte bei der Rückkehr, wie schwer es mir wurde, davon zu erzählen. Die zivilisierten, toleranten, gewiss nicht antisemitisch aufgelegten Berliner, vor denen ich mich als Israelurlauber outete, reagierten verdruckst. Weniger die Verblüffung, dass sich jemand in Gefahr begibt, lag über dem Smalltalk, als Befremdung gegenüber dem Motiv: Ich war ja nicht gefahren, um den Holocaust zu sühnen, sondern um es mir, einmal gar mit Familie, gut gehen zu lassen.
Ein Ingenieur, der im Nachbarland mit Arabern zu tun gehabt hatte, gab zu verstehen, dass er die Leute kennt, „die wirklich leiden“. Eine Juristin meinte angesichts der politischen Situation, auf so etwas hätte sie „keine Lust“. Ein Architekt holte zur berechtigten Kritik über Israels Landschaftsverschandelung aus – ließ aber auf meiner Seite für positive Eindrücke keinen Raum. Ich war begeistert und hatte offenbar was Unanständiges getan, nicht mal besetzte Gebiete inspiziert, wofür seit vergangenem Jahr „Occupation tourism“ angeboten wird.
Am sicheren Berliner Wohnzimmertisch fiel mir nichts mehr ein
Die Stimmung der bürgerlichen Mitte gegenüber Israel wandelt sich. Anhand der leicht steigenden Touristenzahlen lässt sich das nicht beweisen: 254 000 Deutsche reisten im vergangenen Jahr dorthin; über 40 Prozent auf eigene Faust; die Zahl der Partyhopper nach Tel Aviv nimmt zu. Der Umschwung „bei uns“ ist trotzdem spürbar. Israel gilt nicht mehr als sympathisch. Die Boykottbewegung, mit der in anderen Ländern Produkte aus besetzten Gebieten, akademische und kulturelle Kontakte mit israelischen Institutionen geächtet werden, hat hierzulande noch wenig Rückhalt. Aber der emotionale Boykott grassiert. Er resultiert aus der narzisstischen Kränkung des Philosemiten: dass „die Juden“, denen so großes Unrecht zugefügt wurde, keine Opfer mehr sind, mit denen man sich identifizieren mag, weil sie so großes Unrecht tun.
Kritik am Militarismus der israelischen Regierung gehört in der deutschen Gesellschaft längst zum guten Ton – das ist in Ordnung und widerspricht dem feigen Vorurteil, „so etwas“ werde unterdrückt. Unter meinen Berliner Bekannten gibt es niemanden, der die hohe Schutzmauer zur Abschottung der Westbank verteidigt. Als mich Bekannte aus dem Norden Israels besuchten, die vor den Nazis nach Chile geflohen und erst in den 1960er Jahren an der libanesischen Grenze ihr Zuhause gefunden hatten, nahm ich an, sie seien als liberale Zeitgenossen selbstverständlich der gleichen Meinung. Sie verzogen keine Mine und erzählten mir von Freunden, die durch Selbstmordanschläge im Bus zerfetzt worden waren – was, seit die Mauer steht, nicht mehr passiert. Da fiel mir, am sicheren Berliner Wohnzimmertisch, nichts mehr ein.
Dieses subjektive (und natürlich „palästinensisch“ umkehrbare) Erlebnis beweist für politische Rechthaberei nichts. Oder doch: dass zu belastbarer Solidarität kognitive Emotion gehört, persönlicher Kontakt und – im Wortsinn des Mitleidens – Sympathie. Die von der deutschen Kanzlerin proklamierte Sicherheit Israels als Teil unserer Staatsräson wird ohne solche Human-touch-Aspekte zum vergifteten Lippenbekenntnis, im Stil eines angeordneten Antifaschismus. Boykott ist der Anfang vom Ausstieg. Dagegen hilft Hinfahren.
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