Israel: Dann geh doch in die Wüste
Tel Aviv und Jerusalem muss man gesehen, wohl auch im Toten Meer gebadet haben. Im Negev aber kommt man in Israel wirklich an.
Der Beduine spricht nur wenige Brocken Deutsch, die aber ständig. Sein Lieblingswort lautet: „Hoppala“. Das ruft Ali Elatrache jedes Mal, wenn wir in unserem Landrover ordentlich durchgeschüttelt werden. Kurve links: „Hoppala“. Buckel rechts: „Hoppala“. Eine halbe Stunde geht das so, beim Offroadtrip durch die judäische Wüste. Bis es plötzlich hinten knallt. Der Jeep bremst ab, Ali Elatrache ist kurz mal still. Ein unvorsichtiger Tourist ist mit seinem Quadmobil zu dicht aufgefahren und uns ins Heck gekracht. Zum Glück hat sich keiner verletzt, und auf einen Kratzer mehr oder weniger kommt es bei unserem Wagen auch nicht mehr an.
„Alles versichert“, sagt der Beduine, diesmal auf Englisch – und dass er mit dem Quadfahrer nachher im Basislager sicher noch schimpfen wird. Jetzt aber erst mal weiter „Hoppala“ und noch tiefer hinein in die Wüste. Ab und zu sieht man Akaziensträucher, ansonsten wirkt die Landschaft karg und arg lebensfeindlich. Als es dämmert, halten wir in der Mitte einer weiten Ebene. Keine Anzeichen von Zivilisation, so weit wir schauen können. Ali Elatrache steigt aus und breitet eine bunt gemusterte Decke auf dem Sandboden aus, erst jetzt wird klar: Der gute Mann ist die ganze Zeit barfuß gefahren. „Schuhe sind in Israel ziemlich teuer“, behauptet er. Wahrscheinlich hat er mit diesem Scherz schon ein paar Touristengruppen vor uns zum Lachen gebracht.
Ali Elatrache hat Datteln in einer Plastikbox mitgebracht plus eine große Thermoskanne mit schwarzem Tee. Nun zückt er sein Smartphone und zeigt ein verwackeltes Foto herum. Das Helle dort, das sei ein wilder Esel, sagt er. Elatrache hat ihn selbst fotografiert, gar nicht weit von hier. Sicher sei dies eines der ausgewilderten Tiere. Wie die ganzen Strauße und die Oryx-Antilopen mit ihren schwarz-weißen Gesichtern. Die leben jetzt alle wieder in Israel. Eingekauft aus Nachbarstaaten oder gezüchtet.
Zebra Cherry könnte 2014 ein Hit werden
Das Schicksal dieses Landes wird sich in der Wüste entscheiden, hat Ben Gurion, der erste Ministerpräsident, vor einem halben Jahrhundert gesagt. Sollte heißen: Gelingt es nicht, auch die unwirtlichen Gebiete zu besiedeln und nutzbar zu machen, ob nun für Landwirtschaft oder Tourismus, kann Israel nicht überleben. Denn der größte Teil des Staatsgebietes ist Wüste. 60 Prozent nimmt allein der Negev im Süden ein. Anderthalb Tage lang haben wir ihn durchquert, zwischendurch angehalten, um Steinböcke zu fotografieren oder in der kleinen Planstadt Mitzpe Ramon zu rasten. Die liegt am Rand eines gigantischen Kraters, der von Einheimischen gern mit dem Grand Canyon verglichen wird. Bloß dass Touristen hier auf Kamelen durchs Tal reiten können.
An diesem Abend in der judäischen Wüste, auf unserem Teppich und mit Datteln in der Hand, schwören wir uns gegenseitig, bald wiederzukommen und dann genau an dieser Stelle zu übernachten. Was wollt ihr in eurem Sterne-Hotel, fragt der Beduine, dort oben am Himmel funkeln doch zigtausende.
Die Israelis haben sich alle Mühe gegeben, zumindest Teile der Wüstenareale nutzbar zu machen. Wer durch den Negev reist, entdeckt gelegentlich kleine Plantagen. Dort wächst Gemüse in Reih’ und Glied, mit Netzen geschützt gegen gefiederte Räuber und Insekten. Hier kommen die Cherrytomaten her, die Deutsche so gern auf Cocktailspieße stecken. Weil sich die Miniaturtomaten zum Exportschlager entwickelt haben, forschen die Landwirte des Negev in speziellen Zuchtzentren gemeinsam nach neuen Arten. Die zweifarbige Zebra Cherry zum Beispiel ist halb hell-, halb dunkelrot. Sie könnte 2014 ein Hit werden.
Ein Spa im Kibbuz
An manchen Orten muss das Wasser viele hundert Meter tief aus dem Boden gepumpt werden. Anderswo herrscht offenbar Überfluss: In der nördlich gelegenen Oase En Gedi zum Beispiel, nicht weit vom Westufer des Toten Meeres, ist der Boden feucht. Trinkwasser wird in Plastikflaschen abgefüllt und in andere Landesteile transportiert. 1500 Jahre lang war dieser Flecken unbewohnt, erst durch die Einrichtung eines Militärpostens wurde es 1949 ein wenig lebendig.
Kurz darauf entstand hier ein Kibbuz, der heute als einer der bekanntesten des Landes gilt, 800 Menschen wohnen dauerhaft in einer Gemeinschaft. Einer davon ist ein Deutscher: Daniel Thiese, 35, lebte bis vor zwei Jahren noch in Wuppertal. Weil sein Freund in der Nähe arbeitet, zog er nach En Gedi.
„Die gesamte Kibbuz-Bewegung hat sich verändert“, sagt Thiese. Bei der Gründergeneration stand der Kollektivgedanke im Vordergrund, oft wurde gar Sozialismus geprobt. Heute erinnert En Gedi eher an eine überdimensionierte Baugruppe zwischen Palmen. Die Halle, in der früher zusammen gekocht und gegessen wurde, ist längst geschlossen. Dafür haben sie eine noble Schwimm- und Sauna-Anlage für Touristen gebaut. Ein Spa im Kibbuz? „Ja, das war nicht jedem Altmitglied recht“, sagt Thiese. Das musste mühsam und zeitraubend ausdiskutiert werden.
Touristen bleiben im Durchschnitt zehn Tage an diesem Ort, viele kommen aus Deutschland oder Frankreich. Weil der Kibbuz auf einem Felsplateau liegt, können sie an klaren Tagen über das Tote Meer bis hinüber nach Jordanien blicken.
„Kennen Sie Menschen aus dem Libanon oder Ägypten?“
Ob Thiese manchmal im Toten Meer schwimmt? Er schüttelt den Kopf. Wegen des Salzgehaltes von knapp 30 Prozent lässt sich darin zwar hübsch Zeitung lesen, aber kaum kontrolliert schwimmen. Ständig werden einem die Beine zur Oberfläche hochgedrückt. Das Tote Meer ist eher etwas für Touristen und Kurgäste mit Neurodermitis. Plus alle, die Angst vor Haien oder Quallen haben: Die einzigen Lebewesen, die hier dauerhaft existieren können, sind nämlich Algen und bestimmte Bakterienarten.
Gelegentlich ruft Daniel Thieses Mutter aus Wuppertal an und sorgt sich. Vor allem, wenn sie im Fernsehen wieder Bilder neuer Unruhen im Nahen Osten gesehen hat. Mit seinem Alltag in En Gedi habe das nun aber überhaupt nichts zu tun, beschwichtigt Thiese dann. Das sei glatt so, als rate man von einem Urlaub an der Atlantikküste ab, weil in den Pariser Banlieues gerade wieder Autos brennen. „Verdammt idyllisch ist es hier, geradezu paradiesisch“, sagt Thiese. Wenn überhaupt, könnte man sich über die Ruhe beschweren.
Wer in dieses Paradies gelangen will, muss allerdings einige Strapazen auf sich nehmen. Da ist, zum Beispiel, der berüchtigte Sicherheitscheck am Flughafen. Wer noch nie das Vergnügen hatte, hier die Kurzform: Bereits vorm Einchecken in Berlin-Schönefeld wird jeder Passagier einzeln vor ein schwarzes Stehpult gebeten, um bohrende Fragen über sich ergehen zu lassen, bei denen einem ständig ein patziges „Geht Sie gar nichts an!“ auf der Zunge liegt. Es sind Fragen wie: „Warum wollen Sie einreisen?“, „Wie genau haben Sie sich über Israel informiert? Welche Bücher haben Sie vorab gelesen“ oder auch der Klassiker: „Kennen Sie Menschen aus dem Libanon oder Ägypten?“
Mit etwas Pech wird man dann ins Nebenzimmer gebeten, wo die Security das Handgepäck einer Spezialbehandlung unterzieht. Natürlich zusätzlich zu allen später folgenden Handgepäckkontrollen. Die Sicherheitskräfte hier sind Israelis. Sie wissen, dass deutsche Passagiere solche Sorgfalt nicht gewohnt sind. „Hoffentlich war das Gespräch nicht zu unangenehm?“, fragt die Beamtin am Schluss. Natürlich war es das.
Jesus, David und „Guns ’n’ Moses“
Mindestens so anstrengend ist auch der Besuch von Jerusalem. Vom Ben-Gurion-Flughafen dauert die Autofahrt bloß eine halbe Stunde durch die Berge. Ausgerechnet in der Stadt des Glaubens, der heiligen Stadt von Judentum, Islam und Christentum, muss man sich ständig fragen: Was darf ich hier eigentlich glauben? Da ist zum Beispiel das Grab von Jesus Christus: Es gibt mehrere. Die Protestanten besuchen eine Freiluftanlage nördlich der Altstadt, dort ist nicht mehr als ein Loch in einer Felswand zu sehen.
Die Orthodoxen und Katholiken dagegen glauben, dass Jesus an jenem Platz beigesetzt wurde, auf dem heute die Grabeskirche steht. Die Armenier, Kopten und die Angehörigen zweier weiterer kleiner Konfessionen vermuten das ebenfalls, bloß sind sich die sechs Parteien nicht einig, wie genau das Grab in Ehren gehalten werden soll. Deswegen haben sie, bis zur Klärung aller strittigen Fragen, den Schlüssel des Haupttors einem bekannten Moslem zur Aufbewahrung gegeben. Das war vor mehreren hundert Jahren, inzwischen passen dessen Ururururenkel auf den Schlüssel auf.
Genau genommen existiert in Jerusalem noch ein dritter Ort, der als Jesus’ Grab infrage kommt, aber diese Theorie ist selbst unserem Guide zu abwegig. Also weiter durch die Altstadt, zwischen Touristengruppen und Souvenirläden hindurch. Eine Menge Motto-Shirts werden hier verkauft, der Aufdruck „Guns ’n’ Moses“ gehört aktuell zu den beliebtesten.
Unsicherheit herrscht auch, was den Verlauf des Kreuzwegs betrifft. Also Jesus’ Leidensweg zur Kreuzigung. In den meisten Reiseführern wird die Via Dolorosa als einzig gültige Strecke beschrieben, doch das ist fraglich, schon allein deshalb, weil sich die Straßenverläufe Jerusalems in den vergangenen zwei Jahrtausenden mehrfach verändert haben. „Denken Sie, dass dies der echte Kreuzweg ist?“, fragt man einen Händler in der Gasse. Er antwortet pragmatisch: „Man kann es nicht ausschließen.“
Alle warten auf den Erlöser
Spannend ist auch die Ausgrabungsstätte südlich der Klagemauer. Seit vergangenem Jahr wird dort gebuddelt, weil es Anzeichen dafür gibt, dass hier König David Spuren hinterlassen haben könnte. Das wäre enorm wichtig, denn was in Deutschland niemand weiß: Bis heute ist nicht geklärt, ob David, der sagenhafte Herrscher über das Königreich der Israeliten vor 3000 Jahren, überhaupt existierte.
Wer Jerusalem bisher nur aus der „Tagesschau“ kannte, wird überrascht sein, wie klein die Alstadt tatsächlich ist. Mit einem Quadratkilometer Fläche geradezu absurd klein für einen Ort, um den so erbittert gestritten wird, der als Mittelpunkt einer der drängendsten Menschheitskonflikte gilt. Die Rivalität zwischen den Religionen wirkt hier über den Tod hinaus. Auf dem Ölberg östlich der Altstadt liegen tausende Gräber von Juden, die darauf hoffen, nach der Ankunft des Messias erweckt zu werden.
Laut Altem Testament wird der Erlöser durch das Tal schreiten, dann zum Tempelberg hinaufklettern, um dort schließlich ein neues Gotteshaus zu errichten. Da wollen die Wiederauferstandenen dann dabei sein und helfen. Am gegenüberliegenden Hang, direkt vor dem Tempelberg, liegen allerdings weitere Gräber. Diesmal von Moslems. Die haben ebenfalls Pläne: Sie hoffen, dass der jüdische Messias auf dem Weg zum Tempelberg über ihre eigenen Gräber steigen muss und dadurch seine Kraft verliert. So dass er, oben angekommen, zu geschwächt ist für einen Tempelbau.
Wer halbwegs entspannt durch die Altstadt spazieren möchte, sollte am besten in den Abendstunden herkommen, wenn die Touristenhorden aus aller Welt weg sind und die historischen Bauten in warmem Licht angestrahlt werden. Und sich dann an der Klagemauer auf einen der Plastikstühle setzen und den Orthodoxen in Ruhe beim Abendgebet zusehen. Herrlich ist das. Längst nicht so beeindruckend wie ein Abend auf einem ausgebreiteten Teppich mitten in der Wüste. Aber sicher das Besinnlichste, das ein Deutscher auf Durchreise in dieser hektischen Stadt erleben kann.
Sebastian Leber
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