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Gut kontrolliert? Am Kölner Polizeieinsatz in der Silvesternacht scheiden sich die Geister.
© dpa

Streit um Racial Profiling in Köln: Wie bitte geht eine normale Debatte?

Wüste Drohungen und Hysterieverdacht: Nach dem Polizeieinsatz in der Kölner Silvesternacht ist die öffentliche Diskussion gründlich entgleist. Mal wieder? Nein, schlimmer als je zuvor. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Johannes Schneider

Vor fast vier Jahren provozierte ein Aufschrei einen Aufschrei über den Aufschrei. Mit dem gleichlautenden Hashtag hatten junge Feministinnen nicht nur eine Debatte über Sexismus im Alltag, sondern gleich noch modellhaft einen ganz bestimmten Diskussionsverlauf in Gang gesetzt. Der sollte sich in den Jahren danach als beispielhaft für alle netzbasierten Debatten über die Güte, Moral und Identität des Menschen erweisen – vom Gaucho-Tanz bis zu Unisex-Toiletten.

Er geht in etwa so: Zumeist junge und zumeist eher linke Menschen kritisieren zumeist Alltagspraktiken als diskriminierend, woraufhin ein vielstimmiger Chor anhebt, der einerseits fragt, ob wir denn keine richtigen Probleme haben, und andererseits vermutet, jemand (im Zweifel immer die Grünen) wolle fortan verbieten, sich in jener angeprangerten Weise diskriminierend zu äußern oder diskriminierend zu handeln. Zugleich wird natürlich vehement in Frage gestellt, ob die mutmaßliche Diskriminierung überhaupt eine solche sei – zumeist von solchen, die sie noch nie erlebt haben. Es gibt dann ein großes Geschrei, das schnell abebbt und meist noch ein paar kluge Texte im Nachgang, die Phänomene besser erklären, differenzieren, abwägen und Lösungsansätze bieten. Aber die werden nur von wenigen gelesen und schon gar nicht von denen, die sie wirklich nötig hätten, auf allen Seiten.

Man hat sich an dieses Schema gewöhnt, auch daran, dass es offenkundig im Zeitalter der Echokammern und Filterblasen kaum durchbrochen werden kann. Die Krise des Diskurses, schrieb Anna Sauerbrey am 31. Dezember 2016 im Tagesspiegel-Leitartikel, beginnt in „dem Moment, in dem wir anfangen, uns und unsere Perspektive als ausreichend zu empfinden, um die Welt in ihrer Gänze zu erfassen“. Bereits im Verlaufe des Neujahrstages zeigte sich, wie tief gespalten das Land Anfang 2017 in diesem Sinn ist: Schon nüchterne Augenzeugenbefunde, die nahelegten, das Polizeihandeln rund um den Kölner Hauptbahnhof in der Nacht zuvor könne zumindest diskussionswürdig sein, zogen wütende Reaktionen nach sich. Auf der anderen Seite wurde der Rassismus-Vorwurf nicht unbedingt für besonders schwere Fälle zurückgehalten, um es mal vorsichtig auszudrücken.

Wer Kritik übt, ist gleich weltfremd

Die einen, so scheint es, verstehen nicht, dass ein wenig Anerkennung für die Nöte der Polizei im Einsatz viele Ordnungsliebende milder stimmen könnte. Die anderen verstehen nicht, dass es den Sensibleren eben nicht nur um das eine Wort „Nafri“ und das Abfangen gewaltbereiter Großgruppen geht – sondern darum, dass die Ungleichbehandlung annähernd jedes dunkelhäutigen Mannes im Bereich, sollte sie wirklich stattgefunden haben, der eigentliche Skandal wäre.

So deprimierend das auch alles ist: Es wäre kaum der Rede wert, träten in der jetzigen Debatte nicht zusätzlich zwei eher neue Phänomene klar wie selten zum Vorschein: Zur stetig wachsenden verbalen Gewaltbereitschaft der Hetzer und Hasser gesellt sich äußerst ungünstig ein paternalistisch-beschwichtigender Ton aus der Mitte der Gesellschaft. Während Grünen-Chefin Simone Peter, die Linken-Politikerin Özlem Demirel und Christopher Lauer (inzwischen SPD) für ihre Kritik am Kölner Polizeieinsatz von rechts aufs Übelste beschimpft und bedroht wurden und dies auch zum Teil öffentlich machten, pfiffen die Leitartikler eher liberaler Medien linke Heißsporne zur Ordnung: Markus Feldenkirchen prangerte bei „Spiegel Online“ die „akute Weltfremdheit“ derjenigen an, die mutmaßliches „Racial Profiling“ der Polizei in Köln hinterfragten. „Süddeutsche“-Innenpolitikchef Heribert Prantl kritisierte im ZDF-Morgenmagazin „Hysterisierungssucht“ und stellte fest: „Man kann sich schon fragen, ob man in diesem Land keine normalen Debatten über innere Sicherheit, über Flüchtlinge, über Ausländer und über Polizeieinsätze mehr führen kann.“ Und „Zeit“-Politikchef Bernd Ulrich schrieb bei Twitter: „Ich finde, die Polizei hat gut gearbeitet. Für die Kollateral-Diskriminierung sind die letztjährigen Täter verantwortlich.“

Die Ausnahme muss Ausnahme bleiben

Ist jetzt die Zeit für dieses „Ist jetzt aber auch mal gut“? Für Unwörter wie „Kollateral-Diskriminierung“ und die Sehnsucht nach einem „normalen“ Diskurs ohne „weltfremde“ Spinner, die auch in gesamtgesellschaftlichen Krisenzeiten nicht von ihrer sturen Grundsatzopposition und nervigen Nachfragen lassen können? Der Verdacht liegt nahe, dass breite Kritik an der Polizei aus der publizistischen und politischen Mitte nur wieder den rechten Rand gestärkt hätte. Insofern ist es bestimmt auch mit Blick auf die kommende Bundestagswahl günstig, wenn Journalisten aus dem von rechts behaupteten linken Mainstream mal ausnahmsweise das gesunde Volksempfinden mitempfinden. Und es ist auch nicht verwerflich: Das Argument, dass Polizisten im Einsatz es eh schon schwer genug haben, mag dem einen oder der anderen etwas plump erscheinen. Es ist aber angesichts der diversen abzuwägenden Bedrohungen und Gefahren ebenso legitim wie der Verweis darauf, dass der Kölner Einsatz zum jetzigen Zeitpunkt durchaus ein Erfolg gewesen zu sein scheint. In einer explosiven Situation ist niemand körperlich zu Schaden gekommen. Das ist - natürlich - eine gute Nachricht.

Wichtig wäre nur, hier nicht stehenzubleiben. Dazu gehört zum einen, die Opfer verbaler Gewalt und ihre Unterstützer nicht auch noch zu verhöhnen, wie es „Welt“-Chefredakteur Ulf Poschardt tat, als er den „Résistance-Bauernstadel, der sich selbst Solidaritätsbekundungen zutweeted“, bei Twitter rundheraus „zum Piepen“ fand. Zuvor hatte hier Christopher Lauer, den man nicht mögen muss, um seinen Wunsch nach unbedrohter Meinungsäußerung zu respektieren, Solidarität eingefordert.

Zum anderen wäre da eine Bitte um gesteigerte Sensibilität dafür, dass die rassistische Behandlung durch Staatsdiener auf Dauer genau die Gesellschaftsverweigerer hervorbringt, die doch alle so gerne los wären. Vielleicht könnte man sich ja darauf einigen: Die Kölner Silvesternacht in diesem Jahr war ein Ausnahmezustand nach dem Ausnahmezustand. Und ebenso wie im letzten Jahr muss nun alles daran gesetzt werden, dass sie sich genau so nicht wiederholt.

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