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Kommunistisch. Der weitläufige Ala-Too-Platz im Zentrum der kirgisischen Hauptstadt wurde 1984 eröffnet.
© privat

Schiller in Zentralasien: Auszeit in Bischkek

Christopher von Deylen ist als Schiller in den Clubs dieser Welt zu Hause. Wenn er Ruhe will, reist er nach Kirgisien.

Ich kann mich noch an mein erstes Foto in Kirgisien erinnern. Das Auto hielt auf einem Hochplateau, ich machte ein Bild von der sanften Berglandschaft um mich herum – und sofort drückte mir die Stille eines schalldichten Panikraums aufs Ohr. Es gab kaum Vegetation, trotz Wind rauschte kein Blatt wie bei uns in Deutschland. Ich hatte noch nie einen Ort erlebt, der dermaßen ruhig ist.

Damals befand ich mich auf der Durchreise. Im Jahr 2000 feierte ich meinen 30. Geburtstag und mein Vater seinen 60., zu diesem Anlass schenkten wir uns eine gemeinsame Autofahrt von London nach Peking. Sechs Wochen lang durch Europa, Zentralasien bis nach China. Ein straffes Fahrprogramm mit wenig Zeit zum Verharren.

Auf der Route lag auch Kirgisien, ein weißer Fleck auf meiner persönlichen Landkarte. Ich erwartete mongolisch aussehende Einheimische und sah strohblonde Menschen. Russen, die seit der Sowjetzeit dort lebten. Ich hatte auf den 4000 Metern Höhe ein Gefühl von Freiheit, Ruhe und Weite. Und wusste: Ich muss an diesen Ort zurück. So wurde Kirgisien der erste und einzige Eintrag auf der Liste von Ländern, die ich nochmal besuchen wollte.

Mit 40 Jahren keine Kinder, was ist passiert?

16 Jahre hat es gedauert, diesen Sommer habe ich es endlich geschafft. Zweieinhalb Monate lebte ich in der Hauptstadt Bischkek, wo fast eine Million Menschen wohnen. Ich habe fast alles so vorgefunden, wie ich es in Erinnerung hatte. Alte Männer mit hohen Filzhüten verkauften Lottoscheine an den Kreuzungen, betagte Frauen saßen mit Kopftüchern und bunten Kleidern auf Schemeln am Straßenrand, verkauften ihr selbst gebackenes Brot, boten Äpfel und Kartoffeln aus ihren Gärten an, verpackt in kleinen Tüten, oder Gulaschsuppen in Plastikbechern. Das wirkte auf mich wie aus der Zeit gefallen, bis sie ihre Smartphones rausholten, um sich gemeinsam über Internetvideos zu amüsieren.

Weltreise. Schiller ist einer der erfolgreichsten deutschen Elektrokünstler. Er gab seinen Wohnsitz auf und zieht seitdem umher.
Weltreise. Schiller ist einer der erfolgreichsten deutschen Elektrokünstler. Er gab seinen Wohnsitz auf und zieht seitdem umher.
© imago

Meine Wohnung habe ich auf Airbnb gefunden. Die 21-jährige Vermieterin hatte gerade geheiratet und war mit Mann und Tochter zusammengezogen. Die Kirgisen heiraten früh, mit spätestens 25 Jahren haben sie Kinder. Wenn man, wie ich, mit mehr als 40 Jahren keine hat, wird man schräg angeguckt: Was ist passiert?

Die Wohnung lag in einem Neubau. Historische Gebäude gibt es kaum, dafür Plattenbauten aus dem Sozialismus und modernistische Glasbauten des neuen Jahrtausends. Manchmal sehen sie gewagt aus, mit Zierrat an den Fassaden, kleinen Türmchen und leicht verschobenen Proportionen – wie eine aus den Fugen geratene Lego-Stadt. Als wollte man etwas bauen, hätte aber nicht alle richtigen Teile dafür. Also im Prinzip ein bisschen wie der Potsdamer Platz in Berlin.

Bischkek ist eine grüne Stadt

Eine meiner ersten Erkundungen führte mich in den nächstgelegenen Supermarkt. Ich liebe es, in fremden Ländern das Sortiment anzugucken, das sagt oft mehr aus als jedes Museum. Über Kirgisien habe ich dort verstanden, dass man sich der westlichen Welt näher fühlt als umgekehrt. Produkte, die eindeutig aus dem Westen stammen, wie Kinder-Schokolade oder Erdnussbutter, werden prominent in der Auslage platziert.

Andererseits legt man Wert auf die eigene Konsumkultur. Es gibt eine unendliche Auswahl an lokalen schwarzen Tees, der traditionell mehr getrunken wird als Kaffee. Ich habe mich schnell an die starken Tees gewöhnt, die in kleinen Boxen als lose Blätter verkauft werden. Es gibt orientalische Süßwaren aus Nüssen, Pistazien und Honig. Und natürlich Fleisch, das ist nach wie vor ein Ausdruck von Wohlstand in Kirgisien.

Als Gelegenheitsvegetarier hat mich das nicht sonderlich gestört. Manchmal habe ich in Restaurants versucht, mir ein Gericht ohne Fleisch zusammenzustellen. Da schauten mich die Kellner irritiert an: Ganz sicher? Es gibt auch wie bei uns Italiener oder Restaurants mit amerikanischer Küche. Eines hieß „Obama“, dort trafen sich die Einheimischen, die etwas auf sich hielten. Auf der Karte standen Hamburger, Pommes frites und Caesar Salad. „Obama“ war jede Nacht ausgebucht.

Bischkek ist eine grüne Stadt. Ein toller Park befindet sich in der Nähe des „Obama“. Wie ein Boulevard, der die ganze Stadt durchzieht, eine Karl-Marx- Allee mit Bäumen und Wiesen. Während ich morgens durch den Park joggte, fielen mir die vielen Trimm-Dich-Pfade auf, an denen Gymnastikgeräte und Kletterstangen standen. Ein bisschen wie am Muscle Beach in Los Angeles, allerdings haben sich in Bischkek fast nur ältere Frauen morgens daran betätigt und ebenso wortreich wie schwungvoll Rumpfbeugen geübt.

Weltspiele der Nomaden

Postsowjetisch. Verkäuferin eines Kiosks mit westlichen Lebensmitteln.
Postsowjetisch. Verkäuferin eines Kiosks mit westlichen Lebensmitteln.
© privat

Nachts ist es stockfinster in der Stadt. Die Straßen sind kaum beleuchtet, daran musste ich mich erst gewöhnen. Abends ging ich immer mit Taschenlampe aus dem Haus. Ich hatte vorher in Reiseberichten gelesen, dass man zwei Möglichkeiten hat: Entweder nachts wie ein Einheimischer ohne Taschenlampe über das Trottoir zu stolpern oder sich mit der Lampe als Ausländer erkennen zu geben und Gefahr zu laufen, ausgeraubt zu werden. Ich entschied mich für letzteres, mir ist jedoch nie etwas passiert, ich empfand es als vollkommen sicher in der Stadt.

Klar, am Flughafen patrouillieren Polizisten mit Maschinenpistolen. Die sehe ich inzwischen jedoch an vielen Orten der Welt. Nach zwei Umstürzen, der letzte war 2010, hat sich Kirgisien stabilisiert. Es ist eine parlamentarische Demokratie geworden. Zuletzt fanden Wahlen im Herbst 2015 statt, seitdem regieren die Sozialdemokraten.

Worauf die Kirgisen besonders stolz sind: Es finden in der Stadt seit einigen Jahren die World Nomad Games, die Weltspiele der Nomaden, statt – ein Großereignis in Zentralasien! Davon hatte ich noch nie gehört. Die ganze Stadt war mit Bannern und überdimensionalen Plakaten geschmückt. Wettkämpfe sind Pferderennen, traditionelles Ringen, wo sich die Sportler an den Gürteln des Gegners festhalten müssen, oder die Dressur von Greifvögeln. Es treten Nomaden aus der Mongolei und Kasachstan an, darauf sind die Kirgisen sehr stolz. Leider fanden die Spiele erst statt, als ich schon wieder abgereist war.

Um neuen Uhr morgens gab es eine Runde Wodka

Einmal habe ich einen längeren Ausflug raus aus der Stadt gemacht. Meine Vermieterin fragte mich, ob ich mit ihrer Familie zum Yssykköl-See fahren möchte, nach dem Kaspischen Meer der zweitgrößte Salzsee der Welt. Ein Naherholungsgebiet, das mit dem Auto vier Stunden entfernt ist. Das Angebot nahm ich gern an, weil es mir vorher einfach nicht gelang, aus der Stadt zu kommen. In Kirgisien werden deutsche Führerscheine nicht ohne weiteres akzeptiert, so dass ich mir kein Auto leihen konnte.

Für eine Woche bin ich zum See gefahren. Ich habe in einem Guest House gewohnt, sehr spartanisch eingerichtet, Bett, Stuhl, Schrank, reichte aber. In dem Haus war ich der Einzige, der Englisch sprach. Die meisten anderen Reisenden waren Kasachen, Kirgisen, Russen, trotzdem kam man ins Gespräch. Um neun Uhr morgens wurde ich zur Flasche Wodka eingeladen. Germanskij? Ein Russe holte sein Smartphone heraus. Plötzlich hatte ich einen Freund von ihm aus Bielefeld am Ohr, der als LKW-Fahrer in Deutschland arbeitet. Mit ihm habe ich mich zur Freude meiner Tischnachbarn auf Deutsch unterhalten.

Am See bin ich gewandert, Rad gefahren, habe morgens im kühlen Wasser gebadet und abends geräucherten Fisch gegessen. Da ich länger als meine Gastfamilie blieb, nahm ich mir für die Rückfahrt ein Taxi – völlig üblich dort. Ich ging zu einer der inoffiziellen Haltestellen und handelte radebrechend einen Preis aus: 30 Euro.

Touristen aus dem Westen sah ich kaum

Den konnte ich halbieren, indem ich mir das Taxi teilte. Ich hatte das Glück, mit einer jungen Kirgisin im Auto zu sitzen, die fließend Englisch sprach. Sie war vor zehn Jahren mit ihren Eltern nach Boston ausgewandert, hatte ihren Ehemann in Bischkek kennengelernt und pendelte nun zwischen den USA und Kirgisien. Sie erzählte mir, wie stolz sie auf die eigene Kultur, die Musik des Landes sei. Sie spielte mir „Kirgisiens Whitney Houston“ vor. War nicht schlechter als das Original, ich habe nur kein Wort verstanden.

Westliche Ausländer sah ich während meiner Zeit kaum. Einmal habe ich das obligatorisch schlecht gelaunte deutsche Rucksackpärchen in einem Café belauscht, das sich über alles beschwerte: das Essen, die Unterkunft, dass irgendjemand nicht richtig Englisch konnte.

Ich möchte auf jeden Fall wieder nach Kirgisien fahren. Noch mehr Natur sehen. Zeit in abgelegenen Gebieten in den Bergen verbringen, wo die Menschen in Jurten wohnen. Bei ihnen für ein paar Tage zu sein, das reizt mich sehr.

Von Schiller ist gerade erschienen: „Zeitreise live“ auf CD, DVD und Bluray

Reisetipps für Kirgisien

EINREISE

Deutsche Staatsbürger brauchen kein Visum. Ein Reisepass, der ab dem Einreisedatum noch wenigstens drei Monate gültig ist, genügt. Wer länger als 60 Tage im Land bleiben will, muss sich beim Staatlichen Registrierungsdienst in Bischkek melden.

ANREISE

Von Berlin geht es am schnellsten mit Turkish Airlines über Istanbul (ab 375 Euro in der Economy) oder mit Aeroflot über Moskau (ab 340 Euro). In beiden Fällen muss man mit etwa elf Stunden Reisezeit pro Strecke rechnen.

ÜBERNACHTUNG

Im Drei-Sterne-Hotel „Futuro“ können Touristen ab 50 Euro im Doppelzimmer wohnen. Es liegt etwa zwei Kilometer außerhalb des Zentrums. Wer den Luxus internationaler Ketten braucht, schläft im „Hyatt Regency“ ab 220 Euro im Doppelzimmer.

INFOS
Das Berliner Konsulat der zentralasiatischen Republik befindet sich in der Otto-Suhr-Allee 146, Tel. 364 11 860.

Protokoll führte Ulf Lippitz.

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