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Hang zum Kitsch. Von den Hügeln oberhalb des Hafens kann man den Sonnenuntergang über dem Saronischen Meer betrachten.
© mauritius images

Griechenland: Auf Hydra klingen Kirchenglocken heller

Wer dem Großstadtlärm entkommen will, kommt nach Hydra. Statt Autos gibt es Esel, statt TV schaut man in die Bucht, und sogar Plastikstühle sind streng verboten.

Und dann rumpelt plötzlich ein rostiger Lastwagen durch die engen Gassen. Einer von der Sorte, die weder Abgasnorm noch Tüv bestehen würden. Aber wer sollte sich darum kümmern? Es gibt hier schließlich keine Werkstatt, so wie es auf der Insel Hydra sowieso keine Autos gibt. Offiziell jedenfalls. „Das? Ach, das ist unsere Müllabfuhr. Die hat eine Ausnahmegenehmigung“, sagt der Kellner, dem der irritierte Blick des Gastes nicht verborgen blieb, und stellt das Frühstück auf die weißblaue Tischdecke.

Nicht das, was die Insel hat, macht sie so besonders. Sondern das, was sie nicht hat. Fahrzeuge sind per Gesetz verboten, ebenso Leuchtreklamen. Plastikstühle. Weiße Kästen an den Hausfassaden, die als Klimaanlagen dienen. Satellitenschüsseln auf den Dächern. Seit den 1960er Jahren steht die Insel unter Denkmalschutz. Einerseits, um ihre Geologie, andererseits, um die einzigartige Landschaft zu erhalten. Selbst Fahrräder sind illegal. Tennisplätze und Swimmingpools auch. Beschlossen haben das nicht die Hydrioten, das war die Regierung in Athen.

So sind also die Stühle in den Tavernen aus Holz, was auch schöner aussieht. Wer schwimmen will, muss ins Meer gehen, und statt Tennis wird hier Fußball gespielt oder gewandert. Ein Kunstrasenplatz ist das einzige Zugeständnis an die Moderne. Der dient obendrein als Landeplatz für Rettungshubschrauber, falls sich jemand auf der Insel so schwer verletzt, dass er nicht auf ein Schiff warten kann. Es gibt weder ein Krankenhaus noch einen Flughafen. „Offiziell dürfte der Pilot die Landung übrigens verweigern, denn Helikopter sind auf der Insel auch verboten“, sagt George Koukoudakis, der ständig das Hafen-U auf und ab läuft, als wäre er der Bade- und nicht der Bürgermeister.

Das Leben spielt sich am Hafen ab

Hydra gehört zu den Saronischen Inseln. 65 Kilometer südlich von Athen, bloß 64 Quadratkilometer groß, das meiste davon einsames, felsiges Ödland. Steiles Ödland. Lediglich im Norden der Insel befindet sich ein Städtchen, das ebenfalls Hydra heißt. Kaum 2000 Einwohner leben hier. Und die bewegen sich zu Fuß durch die verwinkelten Straßen. Oder per Esel und Maultier.

Davon gibt es reichlich auf Hydra. Mindestens 200 sollen es sein. Die werden morgens, wenn die Sonne gerade aufgeht, bergab getrieben, unter lauten Rufen ihrer Besitzer, dem Klappern der Hufschläge auf Kopfsteinpflaster, begleitet vom Läuten der Kirchenglocken, die hier heller klingen, schneller schlagen und überhaupt irgendwie kraftvoller, nicht so träge wie ihre deutschen Pendants, die bloß faul von links nach rechts zu schwingen scheinen. Eine angenehme Art, früh geweckt zu werden. Und paradox, wo hier doch sonst alles gemächlicher geht. Die Tiere warten dann Kopf an Kopf und Hintern an Hintern im Hafen auf fußfaule Touristen und schwere Lasten, die sie die Hügel hinauf tragen. Während man selbst sich am Morgen noch müde zum Café am Hafen geschleppt hat, um den Fischern von der Theke aus bei ihrer Arbeit zuzuschauen.

Praktisch das gesamte Inselleben spielt sich auf dem kaum 400 Meter langen U ab, das den Hafen formt. Restaurants, Tavernen, ein Tabakwarenladen. Hier kaufen die Hydrioten ein und treffen sich anschließend zum Kaffee, Touristen warten auf die Fähre, Fischer parken ihre Boote und Hochzeitsgesellschaften kommen zum Fotoshooting vorbei.

Es lohnt sich, ein paar Tage zu bleiben

Im Hafen kommen sie alle an. Die reichen Yachtbesitzer, die sich am Morgen zu gern dabei zuschauen lassen, wie sie es ohne Hilfe der Crew nicht fertigbringen, ihre nörgelnden Kinder in den Griff zu bekommen. Rentner, denen es so gut gefiel, dass sie vor 20 Jahren einfach beschlossen, zu bleiben, um von vormittags bis nachmittags eine Selbstgedrehte nach der anderen zu rauchen. Junge Paare, die händchenhaltend der tiefblauen See dabei zusehen, wie sie sich am Abend so rot färbt wie der Campari in ihren Gläsern. Viele Touristen machen den Fehler, als Tagesbesucher herzukommen. Gibt ja kaum was zu sehen. Es lohnt sich jedoch, ein paar Tage zu bleiben, um sich dem langsamen Puls des Ortes anzupassen.

Immer wieder hat es Prominente hergezogen, das vergisst kein Hydriote zu erwähnen. Leonard Cohen hatte in den Hügeln ein Haus, in dem er einige Sommer lang gekifft und komponiert und seine Freundin Marianne Ihlen geliebt hat.

Sie zahlen einen hohen Preis

Ihr Huf eilt ihnen voraus. Im Hafen warten Esel und Maultiere darauf, Lasten und Touristen zu transportieren. Autos sind auf der Insel verboten.
Ihr Huf eilt ihnen voraus. Im Hafen warten Esel und Maultiere darauf, Lasten und Touristen zu transportieren. Autos sind auf der Insel verboten.
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Nur wenige 100 Meter vom Wasser entfernt, entlang der engen Gassen den Hang hinauf, befinden sich Tavernen, die kaum besucht werden, die im Schatten der Fassaden und Bäume liegen. Ein guter Ort, um der nun brennenden Mittagssonne bei Moussaka oder Souvlaki zu entgehen. Leichter schmeckt der frische Tintenfisch. Die Gassen sind hier oben so eng, es kann sein, dass einem beim Vorbeitrödeln ein Esel seinen Schweif ins Gesicht schwingt. Das mindert den Appetit, die anderen Gäste finden das aber lustig.

Für Urlauber ist der Lebensstil eine angenehme Abwechslung, insbesondere für jene, die Großstadtlärm und Feinstaub gewohnt sind. Die Hydrioten blicken etwas nüchterner auf die Angelegenheit. Sie zahlen einen hohen Preis, so sehen sie das jedenfalls. „Wir dürfen keine Windräder bauen, der Strom kommt deshalb vom Festland. Die Lebensmittel werden mit Schiffen hergebracht. Wenn wir unsere Häuser renovieren müssen, ist das richtig teuer“, klagt Bürgermeister Koukoudakis. Denn wenn die Eingangstür verwittert, darf sie nicht durch billiges Plastik ersetzt werden, sondern nur durch massives Holz, gefertigt in Handarbeit. Wegen des Denkmalschutzes. „Wir zahlen die gleichen Steuern wie alle anderen Griechen auch, aber die Kosten sind viel höher“, sagt Koukoudakis. Er war von Beruf Historiker, bevor er in die Politik ging. Eine hilfreiche Qualifikation, denn die Insel zu verwalten, ist vergleichbar mit dem Job eines Museumswärters.

Immer mal wieder gab es einzelne Versuche von Hydrioten, Autos hier zu etablieren. Bisher weitgehend vergeblich. Zumal man der Idee, die Stufen und Kurven ernsthaft für den motorisierten Verkehr freizugeben, ohnehin eine gewisse Blödsinnigkeit attestieren muss.

Die Hydrioten wollen am liebsten ihre Ruhe haben

Auf Hydra zu wohnen, ist auch eine Haltung. Eine, die zeigt: Wir entsagen allen Versuchungen, auch wenn es unbequem ist. Jenen Versuchungen, die das Leben bequemer machen könnten. Es lässt die Insulaner nur sympathischer dastehen, dass sie manchmal beide Augen zudrücken bei all den Regeln. Das alles klingt zwar mühsam, macht aber für Urlauber den Reiz der Insel aus. Nizza, Mallorca, Toskana – die Bilder dieser Orte kommen einem plötzlich vor wie Panoramen liebloser Industriegebiete.

Rund um den Hafen stehen auf den Anhöhen alte Kanonenrohre. Aufs Meer gerichtet sehen sie aus, als wollten sie die moderne, hektische Welt mit Gewalt fernhalten. Über eine dieser Kanonen hat eine junge Frau ihren Bikini zum Trocknen in die Nachmittagssonne gehängt. Die Hitze ist jetzt einer angenehmen Wärme gewichen. Eine gute Zeit, um die Hügel hinaufzuspazieren, wo die Hydrioten, die am liebsten ihre Ruhe haben, vor ihren Häusern sitzen und ansonsten nichts tun. Einige von ihnen arbeiten im Tourismus, manche haben kleine Läden, sind Fischer oder Handwerker.

Gespräche mit den Einwohnern laufen meist nach einem ähnlichen Muster ab: Fragt man sie zum ersten Mal, wie es sich so lebt, betonen sie ihren Stolz darauf, besonders zu sein. Bei der zweiten Nachfrage klingen sie etwas genervt und beklagen, dass schon alles ziemlich anstrengend sei. Beim dritten Nachhaken geben einige zu, sich auf ihre Art mit den Regeln arrangiert zu haben: Weil Clubs verboten sind, werden irgendwann die Türen der Tavernen verschlossen und die Stühle hochgestellt, um Platz zum Tanzen zu schaffen. Wer sich in den Gassen umschaut, findet vereinzelt Satellitenschüsseln, die gut versteckt sind. Und vor so manchem Hauseingang lehnt ein klappriges Fahrrad.

Hoch oben versteckt parken dann doch ein paar Bagger

Noch ein bisschen weiter den Hang empor, dort, wo die Maultiere nachts schlafen und ansonsten nur ein Friedhof liegt, steht man plötzlich vor einem Fuhrpark. Höchstens ein paar Einheimische und wenige Wanderer kommen vorbei. Man kann von dort oben wunderbar den Hafen überblicken, doch von unten sieht man nicht, was hier parkt. Der Ort hat den Charme einer Raucherecke. In einer Mulde stehen ein Kleintransporter, zwei Bagger und – treffendes Wort – ein paar Laster.

„Manchmal müssen wir Dinge die Hügel hochtragen, die selbst für die Esel zu schwer sind. Dafür brauchen wir die Autos. Und für die Müllabfuhr und die Feuerwehr“, sagt ein Barkeeper in einem der Hafencafés am Abend, während er die Tische zusammenräumt. Es ist fast Mitternacht, gleich hat er Feierabend. Dann wird er weiterziehen in eine benachbarte Bar, die nur wenige Meter entfernt am Hafen-U liegt. Eine von denen, die nach Mitternacht die Stühle hochstellt. Dort wird er tanzen bis früh um sechs, so wie die meisten jungen Leute auf der Insel.

Am nächsten Morgen, nach vielen Gläsern Ouzo und wenigen Stunden Schlaf, wird er sein Café wieder aufschließen, gemächlich die Tische rausstellen, sich an die Fassade lehnen und den Eseln und Maultieren dabei zusehen, wie sie Bretter, Zementsäcke und Touristen den Hang hochschleppen. Denn nur, weil er am Abend zuvor für eine Weile aus dem schläfrigen Rhythmus der Insel ausgebrochen ist, heißt das nicht, dass deren Spielregeln nicht mehr gelten würden.

Die haben sie nur kurz ein bisschen zurechtgebogen.

Reisetipps für Hydra

Hinkommen

Flüge gehen von Berlin nach Athen, zum Beispiel mit Aegean Airlines, Hin- und Rückflug in der Hauptsaison ab circa 120 Euro. (aegeanair.com)

Von dort fährt der Bus X96 nach Piräus zum Hafen in etwa 90 Minuten. Tickets kosten 6 Euro. Mit dem Taxi ist man schneller, das kostet jedoch 50 Euro. Von Piräus nach Hydra setzt mehrmals täglich eine Fähre über. Zwei Stunden Fahrzeit, 28 Euro pro Strecke. Die Schiffe sind nicht besonders pünktlich.

Unterkommen

Das Botique Hotel Orloff liegt nur wenige Meter vom Hafen entfernt. Zwar ohne Aussicht aufs Wasser, dafür mit vielen gemütlichen Sitzecken und nicht zu hoch gelegen, so dass die steile Hanglage Hydras kaum auffällt. Doppelzimmer ab 150 Euro. (orloff.gr)

Rumkommen

Für Geschichtsinteressierte lohnt sich ein Besuch im Historical Archives Museum of Hydra. Im Sommer geöffnet von 9 bis 16 Uhr und von 19.30 bis 21.30 Uhr.

Mehr Infos unter hydra.gr und unter visitgreece.gr.

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