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Gleich kommen die Urlauber und streiten um den schönsten Sonnenplatz. Ein Fuchs, wer sich den schon vor Ferienantritt reserviert hat.
© imago/Winfried Rothermel

Handtuchkrieg am Pool: Liegen und Liegen lassen

Im Kampf um den Platz an der Sonne ist den Deutschen jedes Handtuch recht. Bislang mussten sie dafür früh aufstehen. Nun können sie ihre Pool-Position buchen.

Ein Handtuch-Erlebnis hatte ich mal in einer Berliner Sauna, im Liquidrom. Einige Minuten vor dem Aufguss betraten drei muskulöse Russen die bereits gut gefüllte Schwitzkabine und legten dort auf einer der letzten freien Stellen in grimmigem Schweigen drei Handtücher ab. Danach verließen sie den Raum, um nach einer Weile, gemeinsam mit dem Aufgießer, zurückzukehren. Natürlich wurde im Kreise der Schwitzgemeinschaft gemurrt und gelästert, es fiel auch der Satz „In Deutschland tut man das nicht“. Die Russen beeindruckte dies nicht im Geringsten. Sie sahen kaum so aus, als ob mit ihnen gut Kirschen essen wäre.

In Deutschland tut man das nicht? In der Sauna vielleicht. Anderswo schon. Die Deutschen sind in der Völkerfamilie geradezu verrufen dafür, morgens am Pool die Ersten zu sein, die sich mit Handtüchern Liegestühle reservieren. Danach gehen sie frühstücken. Britische Boulevardzeitungen berichten im Hochsommer fast so gern darüber wie über das Ungeheuer von Loch Ness, nein, noch lieber. Das Ungeheuer ist medial durch, und im Gegensatz zum Ungeheuer ist die Existenz der Deutschen und ihrer Handtücher wissenschaftlich bewiesen.

Was genau ist das Problem? Ein italienischer Bademeister hat es mir einmal erklärt. Die Kapazitäten reichten nicht. Er sagte: „Wir haben am Pool nicht genug Platz, um mehr Liegen aufzustellen.“

Das Belegen der Stühle ist ein Territorialverhalten

Tatsächlich. So war es. Die Ressourcen sind endlich. Es gibt nicht unendlich viel Öl, und es gibt auch nicht unendlich viel Platz für Liegen. Für das Öl kann man Ersatz finden, erneuerbare Energien, den Ersatz für einen Liegestuhl aber hat noch keiner erfunden. Die Lösung für dieses Problem wäre, wie so oft, gerechte Verteilung. Jeder, der den Liegestuhl nicht mehr braucht, steht auf, nimmt das Handtuch und geht. Dann wäre der Stuhl allerdings erst mal verloren, und ob der nächste Benutzer ebenfalls sozialdemokratisch denkt, ist fraglich. Es wäre unklug, darauf zu vertrauen.

Psychologen sagen, das Belegen der Stühle mit Handtüchern sei eine Art Territorialverhalten, ähnlich dem Markieren von Bäumen mithilfe von Urin, wie Hunde es tun. Die Evolution habe dieses Verhalten in uns verankert.

Es könnte, so meine Theorie, auch einfach mit Menschenkenntnis zu tun haben und mit Philosophie. Nietzsches pessimistisches Menschenbild, verstehen Sie? Amboss oder Hammer sein! Die Deutschen, sagen die Engländer, stehen am Morgen früher auf als sie und eilen sofort zum Pool. So what? Steht doch einfach noch früher auf. Man kann nicht alles haben, eine Liege am Pool und einen langen Schlaf im Bett. Lest Nietzsche.

Es gab schon etliche Schadensersatzprozesse

Juristisch ist die Lage klar. Es ist überall in der Europäischen Union und vielleicht sogar in Taka-Tuka-Land legal, ein Handtuch von einer seit Längerem verwaisten Liege zu entfernen, sofern man das Handtuch nicht achtlos beiseitewirft, sondern zusammenfaltet und ordentlich ablegt. Um Streit zu vermeiden, sollte man allerdings besser das Hotelpersonal darum bitten, diese Aufgabe zu übernehmen. Trinkgeld kann da helfen.

Überhaupt – das Geld. Es gab schon etliche Schadensersatzprozesse. Reisende forderten vom Hotel Geld zurück, weil sie am Pool keinen Platz vorfanden. Solche Klagen sind nicht sehr aussichtsreich. Ein Hotel mit mehreren 100 Betten kann unmöglich mehrere 100 Liegen bereitstellen, so die gängige Rechtsprechung. Wenn ein Hotel von 200 Zimmern nur drei Liegestühle an den Pool stellt, stehen die juristischen Chancen gut, aber in welchem Resort gibt es das noch?

In diesem Sommer nimmt der Liegestuhlkonflikt eine Wende, und zwar eine politisch und philosophisch interessante. Das – ausgerechnet – englische Reiseunternehmen Thomas Cook, zu dem auch die Marken Neckermann und Öger Tours gehören, bietet erstmals an, Poolliegen vorab für den gesamten Urlaub zu reservieren. Die Reservierung muss sechs Tage vor Urlaubsantritt eintreffen und kostet pro Woche 25 Euro. Für manche Hotels kann man sich sogar am Computer die Wunschliege aussuchen.

Der kalte Neoliberalismus triumphiert

Ist das ein Fortschritt? Die reservierten und bezahlten Liegen werden womöglich meistens unbenutzt dastehen, während die deutschen Besitzer mit Hunnen-Cocktails bewaffnet auf dem Balkon stehen und sich an ihrer Liegenschaft und am Anblick unglücklicher Engländer erfreuen. Wieder einmal, könnte man sagen, haben die Idee der Verteilungsgerechtigkeit und die Sozialdemokratie eine Niederlage erlitten, und der kalte Neoliberalismus triumphiert auch unter südlicher Sonne.

Hätte man dies nicht auch anders regeln können, menschlicher, unter besserer Ausnutzung der Ressourcen, gemeinschaftlich und fair statt mit der Sprache des Mammons?

Nun, wir hatten die Chance, lange genug. Thomas Cook wurde 1841 gegründet, um „Menschen mit Menschen und Menschen mit Gott zu verbinden“ und um auch Arbeitern Urlaubsreisen zu ermöglichen. Cook, der Erfinder der Pauschalreise, war ein Geistlicher und leidenschaftlicher Alkoholgegner, bei seinem ersten Reiseangebot waren eine Tasse Tee und ein Schinkenbrot inklusive. Wir alle haben unsere Chance, eine bessere Welt zu schaffen, auch an den Swimmingpools, vertan.

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