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Getürmt. Die Luccheser vertrieben Puccini wegen seines außerehelichen Verhältnis’, erst viel später setzten sie ihm ein Denkmal.
© mauritius images

Puccini in der Toskana: Zu groß für Lucca

Sie gilt als arbeitsam, verschlossen und traditionalistisch. Giacomo Puccinis Heimat in der Toskana hat es dem großen Komponisten nicht leicht gemacht.

Die Wohnung ist geräumig, gemessen an der Zahl der Zimmer, jedes einzelne von ihnen aber klein: Einen richtigen Salon gibt es nicht, und der Flügel wirkt wie hineingequetscht in einen der Räume. Und dabei ist es doch genau der Flügel, an dem Giacomo Puccini seine letzte Oper komponiert haben soll, die unvollendete „Turandot“. Auf diesem Flügel spielt heute Abend Fabrizio Datteri vor einer klitzekleinen Besucherschar in der museal genutzten Wohnung der Puccini-Familie und begleitet die Sopranistin Rossella Bevacqua, die einige Arien zum Besten gibt. Vor allem aus „La Bohème“, dieser wohl bekanntesten, meistgespielten Oper des Maestro aus dem toskanischen Städtchen Lucca.

Nein, ein Städtchen ist es nicht, das wäre eine Beleidigung; auch wenn heute 9 000 Einwohner innerhalb der gewaltigen Stadtwälle leben. Die Umwandlung der Altstadt in eine Nahezu-Fußgängerzone, so wird behauptet, habe einen spürbaren Fortzug in die Außenbezirke zur Folge gehabt. Dabei dürfte es sich tatsächlich wohl um die übliche Wanderungsbewegung weg aus den alten Stadtzentren in komfortablere Neubauwohnungen gehandelt haben, die überall in Italien zu beobachten ist, diesem an historischen Orten so gesegneten Land.

100 Kirchen soll es hier geben

Lucca besitzt einen völlig erhaltenen Stadtkern, vor Veränderungen geschützt durch eben die mächtigen Wälle, die zuletzt in napoleonischer Zeit umgemodelt worden sind und seither in Frieden daliegen. Im Inneren des nicht ganz regelmäßigen Vierecks hat sich das römische Straßenraster erhalten. Aber auch das nicht strikt; und das macht ja gerade den Charme dieser Stadt aus, dass sie prinzipientreu und lässig zugleich ist.

Die Hauptstraße mit ihrer endlosen Reihe kleiner, feiner Ladenlokale ist eben nicht gänzlich gerade. Mal schiebt sich ein Haus, ein Palazzo etwas vor oder weicht ein wenig zurück. Für größere Unregelmäßigkeiten und damit wunderschöne Durchblicke sorgen das römische Amphitheater, das in seinem Grundriss vollständig vorhanden ist, und die zahlreichen Kirchen mit ihren Vor- und Nebenplätzen. 100 soll es geben – oder gegeben haben –, manche groß und mächtig wie die Hauptkirche San Michele mit ihrer prächtigen Westfassade aus Marmor, andere klein wie ein Einfamilienhaus.

Puccini hatte kein gutes Verhältnis zu seiner Vaterstadt

Doch zurück in die Spur, dem größten Sohn der Stadt auf den Fersen.

Das ist insofern nicht leicht, als Puccini kein gutes Verhältnis zu seiner Vaterstadt hatte; oder vielmehr, sie nicht zu ihm. Erst dem weltberühmten Komponisten öffnete sie sich und spendete Applaus, aber da war Puccini längst schon ein Weltmann und überall zu Hause. Nicht einmal begraben ist er in Lucca, sondern weiter westlich in Torre del Lago am Massaciuccoli-See gleich hinter dem offenen Meer.

Da besaß Puccini eines seiner Landhäuser und zog sich während zweier Jahrzehnte monatelang zum Komponieren hierhin zurück. Der Ort hinterlässt, jedenfalls außerhalb der Sommersaison, keinen Eindruck, und den Lago di Massaciuccoli behält man vorwiegend dadurch in Erinnerung, dass an seinem Gestade, ganz in der Nähe des etwas landeinwärts liegenden Sommerhauses, die Seebühne mit ihren 3500 Plätzen steht, auf der in diesem Jahr das nun schon 64. Festival der Fondazione Pucciniano seit dem Gründungsjahr 1930 stattfindet. Anders als in Bregenz nicht mit einer saisonal durchgespielten Inszenierung, sondern mit einem vollen Repertoire, das jeweils versetzt zur Aufführung kommt.

Zum Eröffnungskonzert am 6. Juli ist Andrea Bocelli angesagt; Carlo Bernini dirigiert das Orchestra del Festival Puccini. Der Komponist hatte angeblich immer den Wunsch, seine Werke im Rahmen eines eigenen Festivals aufgeführt zu sehen; der Mann wird von Wagner und dessen Bayreuther Wunscherfüllung gewusst haben.

Der Maestro und seine „Madame Butterfly“

Türme. Vom Torre Guinigi lässt sich in Richtung Süden die Altstadt von Lucca mit ihren gewaltigen Mauern gut überblicken.
Türme. Vom Torre Guinigi lässt sich in Richtung Süden die Altstadt von Lucca mit ihren gewaltigen Mauern gut überblicken.
© imago/Frank Brexel

Beim Besuch regnet es, und zwar jenen Landregen, der einem auch die schönste italienische Landschaft vermiesen kann, und diese hier ist nicht einmal eine der schönsten. Das ist am nächsten Tag ganz anders, da geht es nämlich von Lucca hinaus in die Berge, in die herben Ausläufer des Apennin, und dass dies noch die Toskana sein soll, glaubt man allenfalls der Landkarte. Nach einigen Kilometern im Tal des Serchio zweigt eine Straße ab, die sich alsbald zum Sträßlein verengt und die immer steileren Hügel hinaufwindet. Das Ziel heißt Celle, ein Ortsteil der Gemeinde Pascaglia und selbst ein Dorf mit derzeit noch 34 Einwohnern. Aber einem Dorfkern, der – auch dank der hervorbrechenden Frühlingssonne – all die (positiven) Vorurteile über Italien bestätigt, mit einer leicht gekrümmten Straße zwischen aneinandergeschmiegten Häusern. Darunter ist auch das einstige Haus eines Zweigs der Familie Puccini.

Seiner Schwester schickte er Bildpostkarten

Hier finden sich also in den wahrlich bescheidenen Stuben der verwinkelten und mit steiler Stiege bis unters Dach reichenden Wohnung etliche Autografen, Briefe, in großzügiger Handschrift gewidmete Opernpartituren. Ach, und hier hat der Maestro auf dem etwas deplatziert wirkenden Klavier komponiert, die „Madame Butterfly“. Ein Flügel hätte erst recht keinen Platz gefunden. Man könnte glatt vergessen, dass Puccini weit ins 20. Jahrhundert hineinragt, als strahlender Stern der letzten großen Operngeneration Italiens. Zumindest das etwas ramponierte Grammofon, das hier bewahrt wird, erinnert daran; es ist übrigens ein Geschenk des Erfinders Edison.

Vor seiner Abreise nach Brüssel im Oktober 1924, wo Puccini der Krebstod ereilte, hatte er Celle ein letztes Mal besucht und die Ehrenbürgerwürde entgegengenommen. Gelebt hat Puccini in Celle nie. Zu seiner Schwester Ramelde hielt er postalisch Kontakt. Er schickte Bildpostkarten, auf denen er jeweils einen Tick zu modisch gekleidet wirkt; früher hätte man wohl „stutzerhaft“ gesagt.

Gleich nebenan liegt ein Restaurant, das naturgemäß „Puccini“ heißt und von der Familie Feichter bewirtschaftet wird, Einwanderern aus Südtirol. Das Menü der Feichters allerdings – mit Nockerln (!) vorneweg und Hirschschmorbraten als Hauptgang – ist vorzüglich und lässt solche ketzerischen Gedanken alsbald verfliegen.

Die Luccheser haben ihn vertrieben

Essen ist ein großes Thema in Lucca, wo sich ein Hort, ja geradezu ein Bollwerk der einheimischen Traditionen ausgerechnet nicht im engeren Altstadtbereich befindet, sondern am angebauten Bezirk in der Via del Fosso: das Ristorante Il Mecenate. Da herrscht der Padrone, Stefano De Ranieri, der ein unverständliches Toskanisch oder genauer Lucchesisch nuschelt und erklärt, was Teller auf Teller vorgesetzt wird, sehr kräftig, fleischern, mit Beilagen von hergebrachten Gemüsen, die es immer noch und jetzt wieder gibt.

In den schmalen, von hohen Häusern und mächtigen Palazzi gesäumten Straßen stört nun auch der Nieselregen nicht mehr, er scheint vielmehr zur Grundstimmung der Stadt zu passen, die als arbeitsam, verschlossen, traditionalistisch im guten wie im weniger guten Sinne beschrieben wird. Die weniger gute Seite hat Puccini zu spüren bekommen. Ihm haben die Luccheser sein außereheliches, aber dann doch lebenslanges Verhältnis zur verheirateten Elvira – die er selbst erst 1904, nach dem Tod ihres Ehemannes, ehelichen konnte – sehr übel genommen, um nicht zu sagen: Sie haben ihn vertrieben. Aber das war ihm im Grunde wohl recht – als freischaffender Komponist aus Lucca hinaus in die ganze Welt.

In Lucca, vor dem Haus der Familie am Plätzchen Corte San Lorenzo, sitzt er, in Bronze gegossen, als der, der er schließlich wurde: ein Zigarette rauchender Weltmann, ein Schoßkind der Musik.

Reisetipps für Lucca

Hinkommen

Easyjet fliegt ab Schönefeld in zwei Stunden nonstop bis Pisa, ab 130 Euro. Von Tegel aus zum Beispiel mit Swiss via Zürich nach Florenz, ab etwa 190 Euro.

Unterkommen

Das Hotel Ilaria liegt zentral in der Altstadt von Lucca. Eine Übernachtung im Doppelzimmer ab etwa 150 Euro (hotelilaria.com).

Rumkommen

Traditionelle Küche in Lucca wird serviert im Ristorante Il Mecenate (ristorantemecenate.it).

Um dem Komponisten näherzukommen, lohnt sich ein Besuch im Puccini-Museum (www.puccinimuseum.org/en).

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