Bezirkspolitik: Womit Berlins AfD-Stadträte bisher aufgefallen sind
Die AfD stellt sieben Stadträte. Einige sind in ihrem Amt vor allem mit sich beschäftigt. Für einen Politiker gibt’s Lob, ein Kandidat ist noch nicht gewählt. Ein Überblick.
In Reinickendorf wird der neue AfD-Stadtrat von seinen Kollegen gelobt, in Treptow-Köpenick scheint der neue Mann überfordert, in Lichtenberg wird der neue Stadtrat von seinen Kollegen ausgegrenzt, und in Pankow ist der Kandidat noch nicht einmal gewählt. Ein halbes Jahr nach den Berlin-Wahlen sind einige der neuen AfD-Stadträte noch mit sich selbst beschäftigt. Die ersten Schritte und Entscheidungen in den neuen Positionen haben unsere Bezirksexperten vor allem in den Leute-Newslettern begleitet und aufgeschrieben. Die wichtigsten Beobachtungen haben sie hier in einer Zwischenbilanz zusammengefasst.
MARZAHN-HELLERSDORF
Die Stimmung im neuen Bezirksamt? Da lässt Thomas Braun sich aus der Reserve locken. Der AfD-Stadtrat – stets freundlich, aber meist unverbindlich – schwärmt bei einer Pressekonferenz im Januar von der linken Bürgermeisterin als „Verwaltungsprofi und Politprofi“ und den „Kolleginnen und Kollegen“, die er auch menschlich schätze. Ganz so entspannt geht es in Marzahn-Hellersdorf inzwischen nicht mehr zu. Verwaltungschefin Dagmar Pohle hat ihren Kollegen jüngst öffentlich gerüffelt – ausgerechnet für das erste Vorhaben, das Braun anpackt. Er möchte die drei Bürgerämter des Bezirks in einem neuen zusammenlegen, woran schon sein Vorgänger scheiterte.
Die Initiative ist schlecht vorbereitet. In der Bezirksverordnetenversammlung verteilt Braun ein buntes Papier mit Bildern und Tabellen, aber manchen Lücken. Er sagt, er wolle erst mal eine Diskussion anstoßen, fordert aber eine Grundsatzentscheidung bis Ende April - und schweigt dann in der Sitzung selbst. Seine nachgereichte Begründung überrascht: „Laut der Geschäftsordnung der BVV wird die Debatte von Mitgliedern der BVV geführt.“ Dabei können Bezirksamtsmitglieder jederzeit zur Tagesordnung sprechen. Eine Einladung für Pohle: „Ich fürchte, der Bezirksstadtrat selbst hat sich noch nicht ausreichend mit der Arbeit der Bürgerdienste befasst.“ Bürgerdienste – das ist, neben Wohnangelegenheiten, Brauns Ressort.
Brauns politische Konturen sind noch unscharf
Der AfD-Mann hat einige Verwaltungserfahrung, leitete einst das Jugendamt in Leipzig und das Sozialamt in Friedrichshain-Kreuzberg, bis er im Personalüberhang der Senatsgesundheitsverwaltung strandete. Trotzdem hat er noch keine souveräne Stimme gefunden. Anfang März wirft die Linkspartei ihm vor, er stelle Flüchtlingen mit subsidiärem Schutz aus politischen Gründen keine Wohnberechtigungsscheine aus. Das sei „nicht gesetzeskonform“, lässt sich der Stadtrat zunächst zitieren. In der BVV hingegen teilt er mit, in diesem Jahr noch gar keinen Antrag abgelehnt zu haben.
Die entscheidenden Sätze sagt er erst auf dem Flur: „Ich habe alles eins zu eins von meinem SPD-Vorgänger übernommen, es gibt keine neue Dienstanweisung. Letztes Jahr um diese Zeit war dieses Verfahren noch in Ordnung.“ Braun war einmal Sozialdemokrat, verließ die Partei wegen Schröders Agenda-Politik. Jetzt fungiert er auch als stellvertretender Bezirksbürgermeister, weil seine neue Partei bei der Wahl im September mit mehr als 23 Prozent zweitstärkste Kraft wurde.
Während seine politischen Konturen noch unscharf sind, hat Braun sich bisher der öffentlichen Kommunikation als unfähig erwiesen. Entweder ist der 60-Jährige gehemmt, rein formalistisch – oder trägt zu dick auf. Bei seinem ersten Auftritt beschwört er mit Pathos das Grundgesetz – „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus“ – und verschreibt sich den „Grundsätzen der Verantwortungsethik“. In seinem Dreiteiler wirkt Braun in diesem Augenblick etwas verloren. „Ich will kein Ankündigungsstadtrat sein“, sagt er heute. Aber ein Argumentationsstadtrat, das wäre doch mal ein Anfang. Ingo Salmen
NEUKÖLLN
Er sei für viele der „Paradiesvogel“ der AfD, sagt Bernward Eberenz über sich. Tatsächlich sticht sein Lebenslauf unter seinen Parteikollegen heraus. Eberenz ist offen homosexuell, spricht Russisch und Türkisch, hat mal in Istanbul gelebt und unterrichtete bis vor Kurzem Klavier und Deutsch als Fremdsprache. Seit dem letzten Sommer ist er in der AfD, seit Ende Januar – nach drei BVV-Sitzungen und sechs Wahlgängen – Stadtrat für Umwelt und Natur.
Im Vergleich zu seinen Bezirksamts-Kollegen ein Mini-Ressort. „Es ist schwer, mit diesem Amt überfordert zu sein“, heißt es aus der SPD-Fraktion. Dort nimmt man Eberenz als fleißigen, aber auch nervigen Stadtrat wahr. „Er hat null Verwaltungserfahrung und geht seine Themen manchmal zu germanistisch an“, sagt ein BVV-Verordneter. Eberenz ist trotzdem nicht unzufrieden.
Im Rathaus behandle man ihn auf Augenhöhe, und zu seinen Mitarbeitern habe er ein enges Verhältnis. Nur in den BVV-Sitzungen werde er „ideologisch“ angegangen. Ein gutes Verhältnis ist auch Bezirksbürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) wichtig. „Das Bezirksamt Neukölln hat in der Vergangenheit als Kollegialorgan konstruktiv zusammengearbeitet und viele gute Projekte in Neukölln auf den Weg gebracht. Das muss auch mit einem AfD-Stadtrat möglich sein“, sagt sie und betont, dass es bisher keine Probleme gegeben habe. Felix Hackenbruch
TREPTOW-KÖPENICK
Bernd Geschanowski, gelernter Schiffsbauer, zuletzt in einer Elektrofirma tätig, kam als einer der ersten AfD-Stadträte ins Amt. Ihm wurde das Ressort Umwelt- und Naturschutz überlassen. Geschanowski gilt als höflich, freundlich, pünktlich und sehr zurückhaltend. So sehr hält er sich zurück, dass seine Anwesenheit kaum auffällt. Fragt man ihn nach konkreten Vorhaben, verweist er auf seine kompetenten Mitarbeiter, die würden das fachlich korrekt ausarbeiten.
Und was macht er? Nach Einschätzung von Linken und der SPD wenig bis gar nichts. Im Streit um das Naturschutzgebiet Müggelsee bezogen alle maßgeblichen Politiker im Bezirk Position, nur der fachlich zuständige Geschanowski meldete sich nicht.
„Sehr schwach“ beschreibt die Vorsitzende des Umweltausschusses, Claudia Schlaak von den Grünen, die Performance von Geschanowski. Politische Akzente? Fehlanzeige. Die Freiwillige Feuerwehr allerdings lobt den Stadtrat. Vier Stunden habe er sich ihre Argumente angehört, warum ein Stück Wald weichen müsse, damit die Rettungswache in Rauchfangswerder einen Hubschrauberlandeplatz bekomme, sagte Wehrleiter Christian Rößler. Geschanowski habe sich sogar gegen die Position seiner Mitarbeiter gestellt. Damit schwenkte er allerdings auf die Position des restlichen Bezirksamtes ein. Thomas Loy
REINICKENDORF
Der 47-jährige selbstständige IT-Berater Sebastian Maack aus Hermsdorf wurde im Bezirksamt Reinickendorf mit der Zuständigkeit für Bürgerdienste und Ordnungsangelegenheiten betraut. Das Ressort gilt als ausgesprochen schwierig, weil es im Bereich Beurkundungen etwa bei Todesfällen oder Personenstandsänderungen in den vergangenen Jahren teilweise peinliche, über Monate währende Verzögerungen gegeben hatte. Nach einigen Monaten im Amt wird Maack nun von Kennern der Reinickendorfer Verwaltung ein korrektes, sachorientiertes und zupackendes Auftreten bescheinigt. Die von ihm eingeleiteten Maßnahmen zur Abarbeitung der Rückstände seien nachvollziehbar und erfolgreich, ist zu hören, ein Konzept hinter seinem Handeln sei erkennbar. Bei seinen Auftritten in der BVV ist er ruhig.
Dass er ein sehr konservatives Weltbild hat, spielt bei seinen Äußerungen dort keine Rolle. Diskussionen gab es allenfalls darüber, dass er die sehr beliebten, sogenannten Außentrauungen bis auf Weiteres gestrichen hat. Dabei konnten sich Heiratswillige auch außerhalb des Standesamtes etwa auf Schiffen oder in Gaststätten trauen lassen. Wegen des akuten Personalmangels findet das nun nicht mehr statt. Gerd Appenzeller
Spandau, Lichtenberg und Pankow
SPANDAU
In Spandau hat sich der ehemalige Bundeswehr-Offizier Andreas Otti als Mitglied des Bezirksamtes lautlos etabliert. Mit dem Ressort Facility Management, Umwelt- und Naturschutz haben ihm SPD und CDU, die im Bezirksamt mit je zwei Posten das Sagen haben, keine strategisch bedeutsamen Bereiche zugestanden. Zuständig für die Liegenschaften des Bezirks zeigt er sich bemüht, den langjährigen Disput zwischen dem Bezirksamt und der Wohnsiedlung Hakenfelde mit ihren zum Teil illegal erweiterten Lauben gütlich zu beenden.
Bei der Beantwortung von Anfragen in der BVV oder deren Ausschüssen wirkt der neue Stadtrat manchmal etwas hastig und unpräzise, muss sich erst mit den Gepflogenheiten vertraut machen. Aus dem parteipolitischen Geplänkel hält sich Otti heraus und betont, dass er sich für eine sachliche Zusammenarbeit mit allen Parteien und eine bürgernahe Verwaltungsarbeit einsetzt. Rainer W. During
LICHTENBERG
In Lichtenberg hat der AfD-Stadtrat Frank Elischewski eher ein Mini-Amt inne, nämlich nur ein einziges Ressort, das der „regionalisierten Ordnungsaufgaben“. Falschparker, entlaufene Hunde und Katzen. Jüngst hat Elischewski die Anschaffung von fünf Elektroautos für seine Mitarbeiter beantragt. Viele sagen, die AfD solle in Lichtenberg ausgegrenzt und Elischewski kaltgestellt werden und SPD und Linke hätten sich zu einem Pakt gegen die Partei zusammengeschlossen. Elischewski selbst hatte direkt nach der Wahl gesagt, dass er sich mehr Verantwortung wünsche. Im Vergleich zu einigen seiner Parteikollegen agiert er eher zurückhaltend, freundlich und distanziert.
Er war nie bei Pegida oder einer ähnlichen Veranstaltung, finde diese Kundgebungen aber gut, solange sie friedlich bleiben, sagt er. Das einzige, was dem ehemaligen BND-Mitarbeiter und Schatzmeister der AfD vonseiten linker Aktivisten vorgeworfen wird, ist die Parteizugehörigkeit. Anfang des Jahres wurde sein Haus von mutmaßlich Linksextremen aufgesucht und beklebt. Sein Vorgänger Wolfgang Hebold, gegen den wegen Volksverhetzung ermittelt wird und von dem sich Elischewski nur halbherzig distanziert hat, wurde als Stadtrat nicht gewählt. Elischewski schaffte es im zweiten Wahlgang.
Zusammenarbeit im Bezirksamt ist noch nicht in Sicht
Beim Bezirksbürgermeister Michael Grunst hat er sich nicht persönlich vorgestellt, wie es üblich ist, berichtete dieser. Dafür beschwerte er sich noch Wochen nach seinem Amtseintritt über sein Büro: Vonseiten des Bezirksamts habe man es ihm nicht leicht gemacht, in den Job zu kommen. Das Büro sei kaum ausgestattet gewesen.
Das Bezirksamt begründet das mit den normalen Umstellungen, die man zu bearbeiten hatte. Mittlerweile hat er es sich gemütlich gemacht, doch Zusammenarbeit ist noch lange nicht in Sicht: Bürgermeister Grunst sagte, er traue Elischewski durchaus mehr zu, allerdings sei er Teil einer Partei, die „ein erhebliches Problem zur Abgrenzung zum Rechtsradikalismus“ habe. „Sofern dieses Thema nicht bewältigt ist, wird es nicht den Hauch einer Zusammenarbeit geben, davon gehe ich aus.“ Bei der SPD und den Linken sieht man das ähnlich. Karsten Woldeit, Sprecher des Bezirksverbandes und Mitglied im Abgeordnetenhaus, fordert trotzdem mehr: „Ein Stadtrat ist mit B4 besoldet und sollte dahingehend auch die Verantwortung für dieses Salär tragen.“ Robert Klages
PANKOW
Auch in Pankow, wo die AfD mit 13,3 Prozent der Stimmen bei der Bezirkswahl gut abschnitt, steht der Partei ein Stadtrat zu. Das Ordnungs- und das Umweltamt sollen hier an die AfD gehen. Doch mehr als fünf Monate nach der Wahl ist der Stadtratsposten noch immer unbesetzt. Nachdem AfD-Kandidat Nicolas Seifert, der keine Verwaltungserfahrung aufweisen konnte und darüber hinaus im Herbst 2015 einen als Clown verkleideten Fernsehreporter die Maske vom Kopf gezogen hatte, in sieben Wahlgängen durchgefallen war, versucht die Partei jetzt ihr Glück mit einem neuen Kandidat: Daniel Krüger.
Der war früher in der SPD, dann mehr als 20 Jahre in der CDU und von 2011 bis 2016 Baustadtrat in Tempelhof-Schöneberg. Nach der Wahl verlor er das Amt, jetzt winkt ein neuer Job. Finanzielle Gründe habe der Wechsel aber nicht. „Das ist vollkommen abwegig“, sagt Krüger. Es sei vielmehr ein „üblicher Entfremdungsprozess“ mit seiner alten Fraktion gewesen, von der er sich nicht ausreichend unterstützt fühlte.
In die AfD will er erst einmal nicht eintreten, vorstellen kann er es sich aber. „Das ist eine bürgerliche Partei“, sagt er. Radikalität könne er bei der Pankower AfD nicht feststellen. Zu umstrittenen Aussagen von Björn Höcke oder Beatrix von Storch will er sich nicht äußern. Ob es seine Chancen für die Wahl erhöht? „Wer sein Parteibuch nach Belieben wechselt, verdient keinen Vertrauensvorschuss“, sagte der Fraktionsvorsitzende der Pankower SPD, Roland Schröder. Der nächste Wahlgang soll am 5. April stattfinden - der sechsten BVV-Sitzung seit der Wahl. Ulrike Scheffer/Felix Hackenbruch
Tagesspiegel-Autoren