Grünen-Politiker verteidigt Antidiskriminierungsgesetz: „Wir leben nicht im Polizeistaat - wir schreiben Rechtsgeschichte“
Mehr Kontrolle und Transparenz: Der Abgeordnete Benedikt Lux über Innenpolitik unter Rot-Rot-Grün und den Unmut in der Berliner Polizei.
Der Streit über das Antidiskriminierungsgesetz eskaliert kurz vor dem Beschluss im Abgeordnetenhaus in dieser Woche. Warum braucht Berlin das Gesetz?
Wir setzen EU-Recht um, damit Menschen, die von Diskriminierung durch Behörden betroffen sind, Schadensersatzansprüche gegen das Land Berlin geltend machen können. Wir schreiben damit in dieser Legislatur zum dritten Mal Rechtsgeschichte – nach Mobilitätsgesetz und Mietendeckel. Es geht darum, Menschen noch besser vor Diskriminierung zu schützen. Niemand soll wegen Herkunft, Religion oder der sexuellen Identität benachteiligt werden.
Was müssen Betroffene tun?
Sie müssten darlegen, dass ihnen aufgrund von Diskriminierung durch eine öffentliche Stelle eine ungerechtfertigte Benachteiligung widerfahren ist. Dann können sie auf Schadensersatz klagen. Es muss einen Schaden oder einen Nachteil geben, der ausgeglichen werden soll.
Bund und andere Länder sehen keinen Bedarf. Warum Berlin?
Weil Berlin Vorreiter sein will bei der Antidiskriminierung.
Sie rechnen mit nur wenigen Fällen durch das Gesetz. Warum?
Das ist die Erfahrung mit dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz. Die Verwaltung handelt in den allermeisten Fällen rechtmäßig und professionell. Es gilt schon ein Diskriminierungsschutz gemäß Grundgesetz.
Wozu dann das Gesetz?
Wir schließen eine Lücke. Bislang konnten Betroffene Diskriminierung durch Behörden vor dem Verwaltungsgericht feststellen lassen, bekamen aber keinen Schadensersatz. Zwar gibt es Staatshaftung, wenn die Behörde mir vorsätzlich einen Schaden zugefügt hat. Das kann man aber an einer Hand abzählen.
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Polizeigewerkschaften sprechen von Beweislastumkehr. Ist Ihr Gesetz Ausdruck von Misstrauen?
Nein. Ich habe die Kritik der Gewerkschaften als Sorge verstanden, dass Beamte durch Behauptungen unter Rechtfertigungsdruck kommen. Aber in einem Rechtsstaat kann jedes Verwaltungshandeln vor Gericht überprüft werden. Es gibt keinen Generalverdacht. Gerade sind Personalratswahlen in der Polizei, die Gewerkschaften wollen Kante zeigen. In ein bis zwei Jahren werden wir sehen, ob Korrekturen nötig sind.
Und die Beweislast?
Die bloße Behauptung einer Diskriminierung reicht durch das neue Gesetz nicht. Man muss Tatsachen glaubhaft machen, sodass ein Gericht es zu über 50 Prozent, also überwiegend für wahrscheinlich hält, dass jemand diskriminiert wurde. Erst dann muss die Behörde sich rechtfertigen.
Das wurde wohl nicht ausreichend erklärt.
Ich habe auch unterschätzt, wie viel Unmut hochkommt. Viele Polizistinnen und Polizisten, die täglich einen harten Job machen, fühlen sich hin und wieder missverstanden und sehen sich bei berechtigten Festnahmen Diskriminierungs- und Rassismusvorwürfen ausgesetzt.
Eine weitere Sorge: mehr Papierkram, penibel dokumentieren, um sich abzusichern.
Das kann ich verstehen, das wird aber nicht kommen. Es wird klare Regeln geben. Meines Wissens gibt es Vorschläge für entsprechende Vereinbarungen mit dem Personalrat. Ich bin guter Hoffnung, dass sich die Wogen glätten. Schon jetzt ist jeder schuldhafte Dienstpflichtverstoß ein Fall für das Disziplinarrecht.
Das Antidiskriminierungsgesetz - ein grünes Projekt
- Justizsenator Dirk Behrendt und das Gesetz - bundesweit eine Premiere.
- Gesamtpersonalrat und Gewerkschaften - breite Ablehnung in der Polizei.
- Gespräche zum neuen Gesetz - Justizsenator brüskiert Polizei-Berufsverbände.
- Was sagt die Oppostion? Die CDU hält das Gesetz für überflüssig.
- Ärger in Bundesländern: Brandenburgs Innenminister nennt Gesetz "unanständig".
- Bundesinnenminister kritisiert Gesetz: "Im Grunde ein Wahnsinn"
Die Koalition bereitet ein Gesetz für einen Polizei- und Bürgerbeauftragten vor. Der soll beim Parlament angesiedelt und mit umfangreichen Rechten ausgestattet werden, etwa mit Zugriff auf Ermittlungsakten. Wozu noch mehr Kontrolle jener, die den Rechtsstaat schützen sollen?
Das ist wie bei guten Freunden. Will ich Freunde, die alles toll und richtig finden, oder solche, die auch Kritik üben? Das Vertrauen in Polizei und Rechtsstaat ist groß. Aber jemand, der in eine ungerechtfertigte Kontrolle kommt, ist schnell für den Rechtsstaat verloren. Deshalb stärken wir Kontrolle und Transparenz. Der Beauftragte wird auch Anlaufstelle für Polizisten sein. Das stärkt den Rechtsstaat.
Rot-Rot-Grün ist schnell bei mehr Kontrolle der Polizei, bei der Reform des veralteten Sicherheitsgesetzes aber nicht. Wann ist es so weit?
Ich bin optimistisch, dass wir noch im Sommer eine weitreichende Reform des Polizeigesetzes vorlegen. Wir haben lange daran gefeilt. Natürlich wird es einen bürgerrechtlichen Schwerpunkt haben: Es dient der Beschränkung polizeilicher Befugnisse, wir leben nicht in einem Polizeistaat. Es gibt aber auch mehr Ermittlungsbefugnisse, etwa bei der Telefonüberwachung zur Gefahrenabwehr.
Wie sieht es mit dem Schutz für Opfer häuslicher Gewalt aus?
Sie sollen besser geschützt werden. Wir stärken die Opferrechte, haben aus Fällen gelernt, in denen die Polizei nach Hinweisen auf eine schwere Straftat spätere Opfer nicht gewarnt hat. Unschöne Fälle …
… die Hells Angels, der Wettbüro-Mord …
Ja. Da haben wir Regeln eingezogen, auch zur Anonymisierung von Opfern in Akten.
Kommt die Bodycam? Die Sorge vor dem Antidiskriminierungsgesetz wäre passé.
Die Bodycam kommt, zunächst befristet.
Andere Projekte, wie beispielsweise der Taser, blieben im Modellprojekt stecken. Warum ist es jetzt anders?
Die Bodycam kommt flächendeckend. Datenschutzrechtliche Probleme haben wir gelöst. Nach einiger Zeit überprüfen wir den Einsatz. Bis jeder Polizist eine Bodycam trägt, dauert es ein paar Jahre.
Haben Sie, als das Bundesinnenministerium erklärte, die Polizeiführung Berlin sei gegen das Antidiskriminierungsgesetz, bei der Polizeiführung nachgefragt?
Ich habe den Innensenator gefragt, der hat reagiert.
Der hätte das Gesetz, Zitat, nicht gebraucht, verteidigt es aber, Koalitionsräson. Und zuweilen wird der politischen Führung von behördlichen Hierarchien auch nur gesagt, was sie hören will.
Den Eindruck mögen Sie haben.
Am Ende sagte Polizeipräsidentin Barbara Slowik, sie werde ihre Mitarbeiter vor unberechtigten Vorwürfen schützen.
Das ist ihr Job. Ich führe regelmäßig offene Gespräche mit ihr. Sie kämpft für bessere Ausstattung, bessere Besoldung. Diese Koalition investiert hier wie keine andere. Das Antidiskriminierungsgesetz war kein Thema.
Ein Problem hat auch R2G nicht gelöst – die Rigaer Straße. Polizeigewerkschaften fordern härteres Einschreiten. Hilft das?
Die Angriffe rund um die Rigaer Straße sind hinterhältig und sehr schwer aufzuklären. Die Strafverfolgung kommt hier an ihre Grenzen. Würde man Tätern, die Steine auf Polizisten werfen, dies nachweisen können, würden sie vor Gericht deutliche Strafen bekommen.
Einfach reingehen, härter durchgreifen?
Das wäre im Einzelfall rechtlich möglich, aber taktisch nicht sinnvoll. Solidarisierung und Eskalation würden folgen.
Wie groß ist das Problem des Rechtsextremismus in der Polizei? 2019 gab es 17 Fälle.
Die allermeisten Polizistinnen und Polizisten stehen fest auf dem Boden des demokratischen Rechtsstaats. Sie müssen nicht Linksliberale, Grüne, Bürgerrechtler sein. Wir brauchen aber einen Konsens vom demokratischen rechten Lager bis zum demokratischen linken Lager. Klassisch ist Polizei mittig, auch konservativ geprägt. Gerade diese Leute sind gefragt, schwarze Schafe auszugrenzen. Das gelingt zunehmend, ist aber ein gutes Stück Arbeit, weil sich die Gesellschaft radikalisiert.
Sie hatten dazu Studien gefordert.
Die kommen, auch umfassende Konzepte, um die Polizei besser vor rechtsextremistischer Unterwanderung zu schützen. Ein erster Schritt ist, dass Disziplinarverfahren wegen rechtsextremer Umtriebe statistisch erfasst werden.
Welche Konzepte wird es geben?
Polizistinnen und Polizisten müssen die Möglichkeit bekommen, begründete anonyme Hinweise zu geben. Zudem brauchen wir ein strengeres Disziplinarrecht, das die mittleren Vorgesetzten mehr in die Pflicht nimmt, wenn es Hinweise auf rechtsextremes Gedankengut gibt.
Sollten die Grünen stärkste Kraft werden 2021 – werden Sie lieber Innensenator oder wieder Abgeordneter?
Die Frage stellt sich jetzt nicht. Ich fühle mich sehr wohl als Abgeordneter.
Was würden Sie gern noch schaffen?
Berlin soll eine freie und sichere Stadt bleiben. Polizei, Feuerwehr und Rettungsdienste müssen nachhaltig aufgestellt sein. Sie sollen gerade die Rechte der Schwächeren sichern. Sicherheit ist eine soziale Frage, kein Selbstzweck. Die Polizei hat großes Potenzial für eine ökologische Transformation: mehr Fahrradstaffeln, Elektroautos, Klimaschutzkonzepte. Wir brauchen mehr Frauen in Schutzpolizei und Führung. Dass jüngere, internationaler aufgewachsene Leute zur Polizei gehen, ist eine Riesenchance. Meiner Partei sage ich: Wir sind bei der inneren Sicherheit gefordert, mehr Verständnis für Polizisten, Feuerwehrleute und Rettungskräfte zu zeigen. Wir müssen Brücken bauen.
Benedikt Lux, 38, ist Jurist und lebt mit seiner Familie in Steglitz. Seit 2006 ist er für die Grünen Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses und innenpolitischer Sprecher der Fraktion.