„Im Grunde ein Wahnsinn“: Seehofer kritisiert Berliner Antidiskriminierungsgesetz
Rot-Rot-Grün will stärker gegen Diskriminierung durch Amtsträger vorgehen. Der Bundesinnenminister warnt davor, Polizisten unter Generalverdacht zu stellen.
Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) hat die Pläne der rot-rot-grünen Berliner Koalition für ein Antidiskriminierungsgesetz scharf kritisiert. Das Gesetz, mit dem Bürger Schadenersatz für Diskriminierung durch staatliche Stellen einklagen können, „ist im Grunde ein Wahnsinn“, sagte Seehofer am Mittwoch dem Tagesspiegel. „Wir müssen hinter der Polizei stehen und dürfen sie nicht unter Generalverdacht stellen.“
Das von Berlins Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne) angeschobene Gesetz, das nächste Woche mit rot-rot-grüner Mehrheit vom Abgeordnetenhaus beschlossen werden soll, sieht eine Beweislastumkehr vor. Landesbedienstete müssen dann nachweisen, dass sie Bürger nicht diskriminierend behandelt haben - unabhängig davon, ob es strafrechtlich relevant ist. Die FDP im Abgeordnetenhaus erwägt, dass Gesetz mit einer Normenkontrollklage verfassungsrechtlich überprüfen zu lassen.
„Es gehört zum Alltag in unseren Behörden, dass individuelles Fehlverhalten geahndet wird“, sagte Seehofer. „Es gibt aber keine Rechtfertigung dafür, die Integrität unserer Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten so strukturell in Frage zu stellen.“ Eine solche Schuldvermutung sei „unserer Rechtsordnung bislang fremd und zeugt von einem fragwürdigen Staatsverständnis“. Damit werde Vertrauen zerstört.
„Wir haben in Deutschland in den vergangenen Jahrzehnten in Bund und Ländern moderne Polizeien entwickelt und eine offene Fehlerkultur ermöglicht. Ich bin nicht bereit, das jetzt aufs Spiel zu setzen“, sagte der Bundesinnenminister. „Unsere Polizeibeamtinnen und Beamten brauchen gerade in der jetzigen Zeit ein klares Bekenntnis der Politik, dass sie hinter ihnen und ihrer schwierigen Arbeit steht.“
Folgen für Kooperation von Bundespolizei und Berliner Polizei
Ein Sprecher ergänzte, das Bundesinnenministerium habe den Gesetzentwurf „mit großer Besorgnis zur Kenntnis genommen“. Die Auswirkungen auf die Zusammenarbeit zwischen Bundespolizei und Berliner Polizei seien noch nicht abschließend absehbar und würden noch geprüft, „können jedoch gravierend sein“. Angesichts möglicher Folgen für Bundespolizisten, seien Unterstützungseinsätze künftig nur bei „größtmöglicher Rechtssicherheit“ für die Beamten der Bundespolizei möglich.
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Die vorgesehene Beweislastumkehr sei zudem geeignet, jegliches Verwaltungshandeln ohne Rücksicht auf seine Rechtmäßigkeit dem Verdacht der Rechtswidrigkeit auszusetzen. „Insbesondere für die Bundespolizei führt diese Beweislastumkehr zu einer kaum hinnehmbaren Rechtsunsicherheit im Rahmen von Unterstützungseinsätzen“, sagte der Sprecher.
Das Bundesinnenministerium müsse Sorge zu tragen, dass Bundespolizisten bei ihren Einsätzen „keinen in der Praxis nicht überprüf- und widerlegbaren Anschuldigungen ausgesetzt“ werden.
„Soweit hier bekannt ist, hat auch die Berliner Polizei große Bedenken gegen den Gesetzentwurf und sieht den Handlungsspielraum im Einsatz stark eingeschränkt“, sagte der Sprecher des Bundesinnenministerium. Dort war auch Barbara Slowik tätig, bevor sie 2018 in Berlin Polizeipräsidentin wurde.