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Berlins Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) zum Schuljahresauftakt an einer Grundschule.
© dpa

Die alltägliche Berliner Bildungskatastrophe: Wieso Senatorin Scheeres trotz vieler Probleme im Amt bleibt

Sandra Scheeres hat ein breites Bündnis gegen sich – doch vor dem Wahljahr scheint ihr Posten sicher. In der nächsten Legislatur müssen wohl die Grünen ran.

Einen Moment lang sah es in Berlins erster Schulwoche so aus, als könnte es nochmal brenzlig werden für Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD). Das war am Donnerstag gegen 15 Uhr, als sich ein breites Bündnis von Eltern, Schülern, Schulleitern und Gewerkschaftern mit einer Milliardenforderung für einen „Corona-Bildungspakt“ an die Öffentlichkeit wandte und beklagte, der Senat lasse die Schulen in ihrem Umgang mit der Coronakrise „allein“. Braute sich da was zusammen – wie vor einem Jahr, als die Sozialdemokratin nach harscher Kritik um ihren Job fürchten musste?

Auf den ersten Blick gibt es einige Parallelen: Die unverändert schlechten Leistungsdaten der Berliner Schüler etwa. Dazu der bundesweit dramatischste Lehrermangel, der durch die Corona-Pandemie noch verstärkt wird und der dazu geführt hat, dass ein geschätztes Fünftel der Berliner Lehrerschaft aus Quer- und Seiteneinsteigern besteht. Dann war da noch der angedrohte Schulstreik zum Ferienende und das Eingeständnis der Bildungsverwaltung, dass die Breitbandanbindung der 700 allgemeinbildenden öffentlichen Schulen noch nicht einmal beauftragt wurde.

Dennoch machte Scheeres am Donnerstag im Bildungsausschuss nicht den Eindruck, als stünde sie unter Druck: „Alles wie immer“, notierte ein Abgeordneter, der schon oft erleben konnte, dass die Senatorin auch in Krisenzeiten einen „ruhigen und höchst selbstgewissen Eindruck macht“, wie es einer der langjährigen Beobachter ausdrückte.

Tatsächlich ist es so, dass Scheeres zwar einen Haufen Probleme hat – aber gleichzeitig doch weiß, dass ihr ein Jahr vor der nächsten Wahl zum Abgeordnetenhaus als Senatorin nicht viel passieren kann, solange sich nicht mehr ereignet als die alltägliche Berliner Bildungskatastrophe.

So kurz vor der Wahl zu spät für einen Wechsel

Denn anders als vor einem Jahr ist nicht mehr genug Zeit für einen überzeugenden Wechsel mit der Chance auf einen Neuanfang. Zur Halbzeit der Wahlperiode wäre das eine gute Idee gewesen, sagen führende Genossen. Jetzt sei es zu spät. Im Dezember beginnt der Wahlkampf, voll zugeschnitten auf die künftige Spitzenkandidatin Franziska Giffey. Der Regierende Bürgermeister Michael Müller wird im Hintergrund weiter seine Arbeit machen, halb auf dem Sprung in den Bundestag. Eine durchsetzungsstarke Personalpolitik im Senat ist von ihm nicht mehr zu erwarten.

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Spätestens im Sommer 2019 hätte Müller die Chance ergreifen müssen, und wurde von den eigenen Genossen auch sehr gedrängt, sich für das schwierige Bildungsressort eine Alternative zu zu suchen. Er hat sich nicht getraut, vielleicht fühlte er sich auch verpflichtet, alle sozialdemokratischen Senatsmitglieder bis zur Wahl im Herbst 2021 durchzuschleppen.

Jetzt in einer Hauruck-Aktion die unglücklich agierende und angreifbare Bildungssenatorin auszuwechseln, davor schrecken in einer ohnehin heiklen Phase der innerparteilichen Führungswechsel auch jene SPD-Funktionäre zurück, die von der Genossin Scheeres gar nichts halten. Zumal sich erst einmal jemand finden müsste, der das große Risiko eingeht, wenige Monate vor Beginn eines harten Wahlkampfjahres ein Ressort zu übernehmen, in dem so vieles im Argen liegt.

 Bildungssenatorin Sandra Scheeres ist Krisen gewöhnt. Solange Regierungschef Michael Müller das Sagen hat, gilt ihr Posten als sicher.
Bildungssenatorin Sandra Scheeres ist Krisen gewöhnt. Solange Regierungschef Michael Müller das Sagen hat, gilt ihr Posten als sicher.
© B. von Jutrczenka / dpa

Aus Parteikreisen ist eher zu vernehmen, dass es Ende 2016 ein großer Fehler war, den Linken und Grünen Stadtentwicklung und Bauen sowie die Verkehrspolitik zu überlassen. Als die Bausenatorin Katrin Lompscher (Linke) kürzlich hinwarf, wurde in der SPD sogar kurzzeitig darüber nachgedacht, in einem Ringtausch die Bildung abzugeben. Aber dies war eher ein Gedankenspiel, zu risikoreich und komplex wäre eine solche Aktion gewesen. Bleibt die Frage, wie die SPD-Spitzenkandidatin Giffey das Thema Bildung im Wahlkampf gut verkaufen will, solange es mit Sandra Scheeres verbunden bleibt. „Wir haben eine Wahl zu gewinnen“, denken führende Genossen laut. Doch bis jemand eine bessere Idee hat, bleibt alles, wie es ist.

Der frühere Sparkurs und seine Folgen - bis heute

Das ist es, was der Senatorin durch den Kopf gehen mag, wenn sie in gewohnt entspannter Art im Bildungsausschuss Rede und Antwort steht oder – wie zuletzt am Freitag – öffentlichkeitswirksam einen neuen modularen Schulbau in Betrieb nimmt. Da spielt es dann schon keine Rolle mehr, dass Tausende Schulplätze fehlen, weshalb Klassen systematisch überfüllt werden müssen.

Der Regierende Bürgermeister weiß ebenso gut wie seine Bildungssenatorin, dass nicht sie es ist, die für die größten Probleme der Berliner Schulpolitik verantwortlich zeichnet. Zwar ist sie seit neun Jahren im Amt, aber die entscheidenden Weichen waren da längst gestellt und zwar von Müllers SPD-Vorgänger Klaus Wowereit: Unter ihm hatte der Sparkurs dazu geführt, dass der Mangel an baulicher Unterhaltung die Substanz vieler Schulen zerstörte, bis sogar der sparsame Landesrechnungshof Alarm schlug.

Bildungssenatorin Sandra Scheeres bei der Eröffnung Modularer Ergänzungsbauten für eine Weddinger Grundschule.
Bildungssenatorin Sandra Scheeres bei der Eröffnung Modularer Ergänzungsbauten für eine Weddinger Grundschule.
© Florian Boillot

Das Gleiche gilt für den Lehrermangel: Der Verzicht auf die Verbeamtung gehört ebenso zum Erbe Wowereits wie der Sparkurs der Universitäten, die kein Geld mehr in die Grundschullehrerausbildung stecken wollten.

Zwar profitierte Scheeres ganz gehörig von den Milliardenüberschüssen der vergangenen Jahre, weshalb sie es deutlich leichter hatte als ihre sozialdemokratischen Vorgänger. Aber keine Entlastung hatte sie im Hinblick auf den Lehrermangel: Die Nichtverbeamtung blieb als Problem bestehen, bis der Regierende Bürgermeister unter dem Druck des Mangels einlenkte. Dass Scheeres ihm und der Partei in diesem Punkt bis zum Schluss die Treue hielt, mag ihr bei Müller Punkte eingebracht haben. Manche SPD-Bildungsstadträte, Schulleiter und Lehrer hätten sich allerdings gewünscht, dass Scheeres als zuständige Bildungssenatorin von sich aus aufbegehrt hätte: Die „Vasallentreue“ habe ihrer politischen Karriere genützt, der Berliner Schule aber geschadet, sagen Kritiker.

Beschulung geht vor Bedenkenträgerei

Und doch – für Scheeres scheint die Rechnung aufzugehen. Seit dem Krieg gab es nur einen einzigen Bildungssenator, nämlich Joachim Tiburtius (1951-63), der sich länger im Amt hielt als Scheeres, die inzwischen selbst die fachlich hoch geschätzte CDU-Politikerin Hanna-Renate Laurien (1981-89) hinter sich gelassen hat, was die Länge der Amtszeit anbelangt. So wird inzwischen auch innerhalb der SPD damit gerechnet, dass die gebürtige Düsseldorferin Scheeres am 25. Januar 2021 noch im Amt sein wird – dem Tag, an dem die Bildungsverwaltung seit 25 Jahren in der Hand der SPD liegen würde.

Überdies fährt Scheeres in Bezug auf die Schulöffnung keine wesentlich andere Strategie als die anderen Bundesländer: Alle Bildungsminister sind sich darin einig, dass die möglichst vollständige Beschulung der Kinder und Jugendlichen Vorrang vor den Sicherheits- und Milliardenforderungen der Bedenkenträger aus Gewerkschaftskreisen haben muss, die ein stückweit immer auch Klientelpolitik sind.

Das Fichtenberg-Gymnasium wurde 2015 zum Symbol des Verfalls der Bausubstanz. Seit 2017 wurde saniert.
Das Fichtenberg-Gymnasium wurde 2015 zum Symbol des Verfalls der Bausubstanz. Seit 2017 wurde saniert.
© Doris Spiekermann-Klaas

Dass das Bildungsressort eine weitere Legislatur unter SPD-Führung bleibt – glaubt kaum jemand. Nicht zuletzt das Versagen der Schulaufsicht beim Umgang mit der Staatlichen Ballettschule habe gezeigt, wohin es führt, wenn in einer Behörde ein Vierteljahrhundert lang ein Netzwerk wächst, dass sich aus den immer gleichen parteilichen Abhängigkeiten speise, lautet eine Schlussfolgerung aus der Ballettschulkrise.

„Falls es 2021 wieder auf Rot-Rot- Grün zuläuft, dann müssen sich die Linken oder die Grünen opfern, um diesen Sumpf trocken zu legen“, sagt ein Schulleiter mit SPD-Parteibuch, der es für „demokratieförderlich“ hält, wenn Ressorts mal in andere Hände kommen. Er hofft, „dass die Grünen genügend Mitleid mit den Schulen haben, um das unbeliebteste aller Ressorts zu übernehmen“.

Dem Vernehmen nach sind die Grünen nicht abgeneigt.

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