Alarmierende Zahlen: Hunderte Berliner Lehrerstellen noch unbesetzt
Lage nach Einschätzung aus dem Gesamtpersonalrat "noch schwieriger" als in den Vorjahren. Rund 450 Pädagogen wechseln demnach in Bundesländer, die verbeamten.
Das Ausmaß des Lehrermangels in Berlin übertrifft nach Einschätzung des Vizevorsitzenden des Gesamtpersonalrats, Dieter Haase, noch das der Vorjahre. Einer ersten Bilanz der Einstellungen zufolge seien knapp zwei Wochen vor Ferienende noch "einige Hundert Stellen unbesetzt". Rund 450 Lehrer hätten gekündigt, um in andere Bundesländer zu wechseln, wo verbeamtet werde. Die Bildungsverwaltung bestätigte die Zahlen nicht.
Nach bisherigem Stand müssen zum neuen Schuljahr 2500 Vollzeitstellen besetzt werden. Das bedeutet, dass - grob geschätzt - rund 3000 Kräfte benötigt werden, denn viele Lehrer arbeiten nicht die volle Stundenzahl. Das betrifft etwa die Quereinsteiger, die berufsbegleitend qualifiziert werden, aber auch reguläre Lehrer sowie die Studenten, die während des Masterstudiums im Rahmen des Programms "Unterrichten statt Kellnern" arbeiten.
Je nachdem wie viele der neuen Kräfte in welchem Ausmaß in Teilzeit arbeiten, würden jetzt 250, 300 oder auch mehr Pädagogen fehlen, sagte Haase dem Tagesspiegel am Dienstag auf Anfrage. Es gebe zwar im Oktober eine zweite Einstellungsrunde für die frisch ausgebildeten Referendare, so dass dann noch Lücken geschlossen werden könnten. Dennoch ist die Lage laut Haase "noch schwieriger" als in den vergangenen Jahren, als stets fast alle Lücken zum Schuljahresbeginn hatten geschlossen werden können.
Die Bildungsverwaltung will die Einstellungszahlen am 5. August bekannt geben.
Auch Reiseverkehrskaufleute unterrichten
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Problematisch bleibt die Qualifikation vieler Neueingestellter. Wie schon in den Vorjahren sei nur rund ein Drittel ausgebildete Lehrer, sogenannte Laufbahnbewerber, unter den neuen Kräften, hat Haase festgestellt. Zum dritten Mal in Folge ist es auch so, dass selbst Quereinsteiger nicht mehr reichen, um die Lücken zu füllen. Vielmehr müssen auch rund 1000 sogenannte Seiteneinsteiger eingestellt werden, die mangels geeignetem Studienfach keine Chance auf eine feste Einstellung haben und immer nur befristet eingestellt werden, um von Jahr zu Jahr den Mangel auszugleichen. Darunter seien - neben Hochqualifizierten - auch wieder Reiseverkehrskaufleute, Gartenbauingenieure und Menschen mit abgebrochenem Studium: Dies sei "symptomatisch" für die Berliner Schule, findet Haase.
Dass noch größere Lücken entstehen, sei nur dadurch verhindert worden, dass mehr Lehrer als sonst aus anderen Bundesländern nach Berlin gewechselt hätten, berichtet der langjährige Personalrat: Sie behalten beim Wechsel ihren Beamtenstatus und ihr Einkommen, das - auch im Vergleich zu Berliner Beamten - meist höher ist als in Berlin üblich.
Berlin ist das einzige Bundesland ohne Lehrerverbeamtung
Berlin ist inzwischen das einzige Bundesland, das Lehrer nicht verbeamtet. Das sei "ein wichtiger Grund für die Kündigungen", bestätigt Haase die gängige Einschätzung.
Auch Bildungssenatorin Sandra Scheres (SPD) bestreitet inzwischen nicht mehr, dass die Verbeamtung ein wichtiges Mittel sei, um dem Lehrermangel zu dämpfen. Darum spricht auch sie sich seit 2019 für die Rückkehr zur Verbeamtung der Lehrer aus, was aber innerhalb der rot-rot-grünen Koalition bisher nicht mehrheitsfähig ist.
Ob es dabei bleibt, ist zurzeit unklar: Angesichts der vielen Lehrer, die als Corona-Risikofälle im Homeoffice bleiben könnten, blicken viele Schulen mit noch größerer Sorge als sonst ins neue Schuljahr: Der Ersatz dieser Lehrer im Präsenzunterricht ist in den 2500 Stellenbesetzungen noch gar nicht berücksichtigt.
Bayern kann die Lücken weitgehend mit Fachleuten schließen
Zum Vergleich: Bayern hat bereits angekündigt, 800 "Teamlehrer" einzustellen, die die Corona-Lücken schließen helfen sollen. Zudem verkündete das Bundesland vergangene Woche, dass "Dank der verpflichtenden und freiwilligen Maßnahmen die errechnete Bedarfslücke von 1400 Lehrkräften an Grund-, Mittel- und Förderschulen geschlossen werden konnte". In Bayern fängt das neue Schuljahr erst in sieben Wochen an.
Bayerische Oberschullehrer müssen eine ein- bis zweijährige Qualifikation durchlaufen, um fest an Grundschulen unterrichten zu dürfen: Die sensible Phase der Alphabetisierung will man nur Fachleuten anvertrauen. Dagegen sind Berlins Grundschulen schon froh, überhaupt ein paar ausgebildete Lehrer als Ersatz für Pensionäre zu finden - egal welchen Fachs und welcher Schulart. In Berlin kommt es sogar vor, dass Quereinsteiger Klassen leiten.
Der immer wieder vorgebrachten Forderung, den Einsatz von Quereinsteigern in der Schulanfangsphase zu verbieten, kam Scheeres nicht nach - angeblich, um den Schulleitern die Personalplanung nicht noch mehr zu erschweren.