Organisierte Kriminalität: Wie gefährlich sind die Berliner Clans?
Raub, Drogenhandel, Geldwäsche: Arabische Großfamilien gelten in Berlin als besonders auffällig. Wer sind die Clans, was sagen Politik und Behörden, wer ist in Berlin noch einschlägig aktiv?
Seit Jahren gelten arabische Großfamilien in Berlin als besonders auffällig – Polizisten, Sozialarbeiter und Lehrer berichten von fehlendem Respekt für die sonst üblichen Normen, von patriarchalem Herrschaftsanspruch und zuweilen auch von organisierter Kriminalität, der sogenannten OK. Die Angehörigen dieser Clans leben oft in Berlin-Neukölln.
Warum der OK-Vorwurf bei den Clans?
Im engeren Sinn werden unter OK nur Täter subsumiert, die aus Gewinn- und Machtstreben nicht nur systematisch Straftaten verüben, sondern zudem versuchen, Institutionen – vor allem Politik, Verwaltung und Justiz – zu beeinflussen. Anders als in vielen Staaten in Lateinamerika und Asien sowie – regional – in einigen EU-Ländern auf dem Balkan und in Italien, ist der Einfluss arabischer Clans auf die deutsche Politik wohl marginal. Allerdings ist es ihnen offenbar gelungen, Vermögen aus Straftaten in den legalen Wirtschaftskreislauf zu retten. Dies soll über Immobilienkäufe, Restaurants und den Einsatz von Spielautomaten geschehen sein.
Was sagt die Berliner Polizei?
Die Polizei hat 2017 in Berlin 68 größere Verfahren gegen verschiedene, als OK-Banden eingestufte Gruppen geführt. Für 60 der Ermittlungen war das Landes-, für die anderen acht das Bundeskriminalamt zuständig. Als OK-Taten können Raub, Einbrüche, Taschen- und Autodiebstähle genauso gezählt werden wie Drogenhandel, Zwangsprostitution, Fälschungsdelikte und Steuerbetrug – je nachdem, wie zielstrebig und arbeitsteilig die Täter vorgingen.
14 der Ermittlungsverfahren richteten sich gegen Gruppen deutscher Staatsangehöriger. Die meisten davon sollen Justizkreisen zufolge aus Mitgliedern deutsch-arabischer Familien bestehen, die oft deutsche Pässe haben. Auch in den Kriminalitätsstatistiken tauchen Männer aus dem Nahen Osten überproportional häufig auf. Das gilt für jugendliche Intensivtäter, aber auch für Männer, die wegen Verdachts auf Drogenschmuggel, Hehlerei und Geldwäsche aufgefallen sind.
Woher stammen diese Clans?
Zunächst sei erwähnt, dass nicht immer zweifelsfrei feststeht, woher genau eine bestimmte Familie stammt – und auch nicht, wer in der Eltern- und Großelterngeneration mit wem wie verwandt ist. In den 80er Jahren tobte im Libanon ein Bürgerkrieg, unter dem die dort lebenden Palästinenser besonders zu leiden hatten. Viele der in Berlin aufgefallenen Männer stammen aus den sogenannten Palästinenserlagern im Libanon. Zudem waren aus dem arabischsprachigen Süden der Türkei einige Familien in den Libanon ausgewandert, wo sie wie viele Palästinenser keine Staatsbürgerschaft erhielten.
Zahlreiche dieser Familien flohen in den 80ern nach Deutschland. Hier wurden sie nur geduldet. Die in den 90ern geborenen Kinder erhielten dann die deutsche Staatsbürgerschaft. Eine archaisch-patriarchale Tradition in den oft bildungsfernen Familien wird kaum bestritten – allerdings sind die Unterschiede zwischen den einzelnen Angehörigen enorm. Aus mindestens drei der bekannten Berliner „Libanesenclans“ haben junge Männer ein Studium begonnen. Frauen sowieso.
Wie reagieren die Behörden?
Die Ermittlungen in diesem Milieu sind aufwendig – schon weil die Verdächtigen oft verwandt sind. Bei Verhören belasten sie selten Angehörige; dies liefe dem Kodex der Familie zuwider. Zudem wird, je nach Familie, nicht immer Deutsch gesprochen. Das bedeutet, von Beamten abgehörte Gespräche müssen übersetzt werden.
Trotzdem ist das Phänomen in den Fokus von Beamten und Politikern gerückt. Vor drei Wochen kam es zum bislang wohl größten Schlag gegen eine aus dem Libanon stammende Neuköllner Familie. Berlinweit wurden deren 77 Immobilien im Wert von fast zehn Millionen Euro vorläufig von den Behörden eingezogen.
Staatsanwaltschaft und Landeskriminalamt gehen davon aus, dass die Wohnungen, Häuser und Gartenanlagen mit der Beute von Straftaten bezahlt wurden. Angehörigen dieser Familie werden unter anderem ein Einbruch in eine Sparkasse und der Diebstahl der 100 Kilogramm schweren Goldmünze aus dem Bode-Museum vorgeworfen, dazu Hehlerei und Gewalttaten.
Der aktuelle Vorwurf mit Blick auf die Immobilien lautet Geldwäsche. In Justizkreisen gibt es aber erhebliche Zweifel daran, ob die sogenannte Vermögensabschöpfung (das Einziehen von Eigentum durch den Staat) vor Gericht für angemessen erklärt wird. Denn die deutsch-arabischen Eigentümer sollen nun beweisen, dass das Geld nicht aus Straftaten stammt. Bis vor einem Jahr mussten Ermittler nachweisen, dass es umgedreht ist.
Was sagt die Bundespolitik?
Unabhängig von einzelnen Maßnahmen steht fest, dass immer wieder Männer aus den berüchtigten Familien in Haft sitzen. Es ist falsch zu behaupten, bestimmte Clans „kommen einfach davon“. Und auch im Bund befassen sich Beamte mit aus dem Libanon stammenden Familien. Einige der polizeilich auffälligen Männer in Berlin-Neukölln sind staatenlos, weil in Beirut nie Papiere ausgestellt wurden. In Deutschland wird deshalb eine Liste geführt, auf der die Namen von Verurteilten stehen, bei denen die Behörden mittels „Sachbeweisen“ eine libanesische Herkunft nachweisen wollen.
Vor sieben Jahren waren auf dieser Liste rund 200 Personen vermerkt, 90 davon lebten in Berlin. Immer wieder sind sie wegen Betäubungsmittelhandels, Körperverletzung, Nötigung oder versuchten Totschlags verurteilt worden. In Einzelfällen wurden sie in den Libanon gebracht, das Land möchte diese Männer allerdings nicht zurück.
Wer ist in Berlin noch einschlägig aktiv?
Vor allem in bestimmten Kiezen in Neukölln, Schöneberg und Wedding dominieren arabische Männer bestimmte Deliktsfelder. In anderen Stadtteilen sind oft andere Gruppen aktiv. In der Polizeistatistik fallen Männer osteuropäischer Herkunft auf. Eine eigene Szene bildeten seit der Wende militante Rocker-Bruderschaften. Deren Einfluss schwindet gerade. Dies hat auch damit zu tun, dass vor wenigen Jahren der staatliche Kampf gegen die sogenannte Rockerkriminalität intensiviert wurde. Einzelne Mitglieder der großen Motorradclubs Hells Angels, Gremium und Bandidos wurden verurteilt.
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