ARD-Reportage über arabische Clans: Fast so wie in der Serie „4 Blocks“
Freimütig und nicht ohne Stolz geben Mitglieder arabischer Großfamilien einem TV-Team Einblicke in die Parallelwelt der Clans.
Der Riss in der Scheibe des Friseurladens stammt offensichtlich von einer Axt. Am helllichten Tag wurde das Geschäft in der Sonnenallee in Neukölln von 20 Vermummten überfallen. „Mit Äxten, mit Messern, mit Holz. Wenn dich damit jemand schlägt, dann bist du tot“, berichtet der Friseur dem Team des ARD-Politmagazins „Kontraste“. Schutzgelderpressung sei in Neukölln an der Tagesordnung, sagt der Off-Kommentar im Beitrag „Die Clans – Wie arabische Großfamilien in Deutschland herrschen“, der an diesem Donnerstag in der ARD (21 Uhr 45) ausgestrahlt wird. Doch das will der Ladenbesitzer nicht bestätigen. „Nein, Schutzgeld. Schutzgeld nicht“, sagt er mehrfach und schüttelt langsam den Kopf.
Es ist überhaupt schon erstaunlich, dass der Mann vor die Kamera tritt, denn genauso verbreitet wie Schutzgeldzahlungen ist das Prinzip der systematischen Einschüchterung. Nicht nur von Geschäftsleuten, sondern auch von Zeugen. Oder von Mitarbeitern des Ordnungsamtes, die nur anonymisiert in dem TV-Bericht vorkommen wollen.
Über mehrere Monate hat das TV-Team im Milieu der arabischen Großfamilien recherchiert. Berichtet wird auch aus Dortmund und Essen sowie Bremen. In diesen Städten haben die Großfamilien ebenfalls ganze Straßenzüge übernommen und dort eine Parallelgesellschaft aufgebaut, wie ein Staatsanwalt berichtet. "Das Thema ,Arabische Clans' passt hervorragend zur Ausrichtung von ,Kontraste': Es ist politisch bundesweit enorm relevant und hat hohen Diskussionswert", sagte Matthias Deiß, der seit Anfang des Jahres Redaktionsleiter von "Kontraste" ist. Zu den Neuerungen des Politmagazins gehört, dass nun je nach Themenlage entschieden wird, ob eine Sendung monothematisch gestaltet wird oder mit vier, fünf unterschiedlichen Beiträgen.
Von der türkischen Provinz über Libanon nach Deutschland
Für viele der Großfamilien war der Libanon nur eine Zwischenstation, ihre Wurzeln haben sie unter anderem in der türkischen Provinz Mardin, wie die RBB-Reporter herausfanden. „Allah sei Dank hat sich unsere Situation über unsere Kinder in Bremen deutlich verbessert. Sie besitzen jetzt einige Hotels hier, und ich bekomme bei meinen Besuchen in Deutschland ein Gehalt, das sich Sozialhilfe nennt“, erzählt ein Dorfältester.
Haben Sie Lust, jemanden kennenzulernen, der Fragen ganz anders beantwortet als Sie? Dann machen Sie mit bei „Deutschland spricht”. Mehr Infos zu der Aktion auch hier:
Mit großer Offenheit hat ein Mitglied des Miri-Clans dem Kamerateam Einblicke in die Welt der Großfamilien gegeben. „In Neukölln fühlst du dich wie in der alten Heimat. Hier lernst du jeden arabischen Dialekt“, erzählt er. Bei anderen Themen wie Gewalt macht er hingegen dicht. Diese gebe es zwar, so wie überall, aber eben nur als letzten Mittel.
Die Aufmerksamkeit der Reporter hat das Clan-Mitglied merklich genossen. Mit seinem schwarzen Vollbart, der großen Sonnenbrille sieht er hinter dem Steuers seines Wagens so aus, als gehöre er zum fiktiven Hamady-Clan aus der mit mehreren Preisen ausgezeichneten TV-Serie „4 Blocks“ – doch möglicherweise ist es genau andersrum. Neukölln wird seither jedenfalls ebenso mit Clan-Kriminalität gleichgesetzt wie ehedem der Bahnhof Zoo mit Drogen und Prostitution. Das Neuköllner Koks-Taxi, bereits mehrfach in RBB-Reportagen zu sehen, gehört ebenfalls schon zur Berlin-Folklore. Kurt Sagatz