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Fahrzeuge fahren an der Galeria Kaufhof Filiale am Ringcenter an der Frankfurter Allee vorbei.
© Paul Zinken/dpa

„Wo bekomme ich jetzt meine speziellen Söckchen her?“: Wie Berlins Kieze auf das Karstadt-Aus reagieren

In Berlin und Potsdam will man sich nicht mit der Schließung der Galeria Karstadt Kaufhof-Filialen abfinden. Geht da noch was? Ein Blick in die Bezirke.

Das Ring-Center am S-Bahnhof Frankfurter Allee böte Soziologen viel Stoff für Milieustudien: Die Gleise der Ringbahn trennen hier das linksalternative Friedrichshain von dem eher kleinbürgerlichen Lichtenberg.

Das ab Mitte der 1990er Jahre beiderseits der Bahntrasse errichtete Einkaufszentrum fungiert als soziales Scharnier, es lässt Menschen aufeinandertreffen, die sich sonst nur selten begegnen würden.

Egal ob erlebnisorientierte Teilzeitanarchistin aus der Rigaer Straße, die nur einen Pflastersteinwurf entfernt ist, oder der Bodybuilder mit tiefergelegtem Golf aus dem Weitlingkiez: Jeder braucht mal ein paar neue T-Shirts, Kaffeetassen oder ein kleines Geschenk für den Kindergeburtstag.

All das und noch viel mehr gibt es – wohl noch bis zum Herbst – bei Galeria Karstadt Kaufhof auf der Lichtenberger Seite des Centers.

Das Warenhaus mit drei Etagen aber ohne Feinkostabteilung zählt zu den kleineren Filialen und ist eines von sechs Häusern, die in drei oder vier Monaten schließen sollen, wie vergangene Woche bekannt wurde.

Der Filialleiter an der Frankfurter Allee trägt Schwarz

Wann genau hier Schluss ist, weiß auch der zuständige Filialleiter offenbar nicht und verweist alle Fragen an die Zentrale in Essen. Ihm ist der Schock der Nachricht noch anzusehen. Und er trägt Schwarz.

Blick in die Damenmode-Abteilung in der Filiale im Ring-Center.
Blick in die Damenmode-Abteilung in der Filiale im Ring-Center.
© Kevin P. Hoffmann

Sorgen bereitet die Nachricht auch den Nachbarn im Center.

Reza Napelyani, Shopleiter bei Coffee Fellows, sieht seinen Laden buchstäblich in einer Sackgasse, wenn bei der ehemaligen Kaufhof-Filiale die Tore schließen. „Laufkundschaft wird fehlen“, sagt er voraus.

Auch Arne Pokral, Leiter des Telekom-Shops nebenan, hofft, dass keine Büros oder gar Wohnungen als Nachmieter folgen.

Das Warenhaus mit drei Etagen zählt zu den kleineren Filialen und ist eines von sechs Häusern, die in drei oder vier Monaten schließen sollen.
Das Warenhaus mit drei Etagen zählt zu den kleineren Filialen und ist eines von sechs Häusern, die in drei oder vier Monaten schließen sollen.
© Kevin P. Hoffmann

Ortswechsel: In der Schuhabteilung bei Karstadt am Tempelhofer Damm bildet sich eine kleine Traube von Kundinnen im Alter zwischen 50 und 70, alle sind empört, sagen sie, seit sie am Wochenende gehört hatten, dass „ihr“ Karstadt schließen wird.

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„Wo soll ich denn jetzt meine speziellen Söckchen herbekommen?“, fragt die augenscheinlich Älteste der Damen in die Runde. Eine rhetorische Frage. „Das Sortiment hier bietet nur Karstadt in der Gegend. Das ist das einzige Warenhaus, das hier noch ansässig ist“, sagt sie. Das könne auch der Tempelhofer Hafen, der ein paar Kilometer weiter südlich liegt mit seinen vielen Shops nicht bieten.

„Immer in dieser Unsicherheit zu leben, ist auch nicht schön“

Eine Verkäuferin kommt hinzu, sortiert Ware. Am 31. Oktober sollen hier die Lichter ausgehen, habe man ihnen gesagt.

Die Filiale von Galeria Karstadt Kaufhof am Tempelhofer Damm in Berlin-Tempelhof.
Die Filiale von Galeria Karstadt Kaufhof am Tempelhofer Damm in Berlin-Tempelhof.
© Tanja Buntrock

Sie sei traurig, einerseits. Anderseits habe sie das alles vor Jahren schon einmal mitgemacht, als die Filiale von der Schließung bedroht war. „Immer in dieser Unsicherheit zu leben, ist auch nicht schön“, sagt sie.

Was sie danach mache? „Keine Ahnung. Es ist schwierig, wenn man um die 50 ist. Vielleicht eine Umschulung, mal sehen.“

[Leider aus der Zeit gefallen: Die Kaufhaus-Kette Galeria Karstadt Kaufhof hat es gründlich verpasst, in die Zukunft zu investieren. Den Preis dafür zahlen die Belegschaften – und die Innenstädte. Lesen Sie hier den Kommentar von Thorsten Mumme.]

Die gebürtige Tempelhoferin Martina Tröber (53) ist Stammkundin, kennt die meisten Verkäuferinnen seit sie jung ist, sie wurde mit ihnen erwachsen. „Wenn Karstadt hier schließt, gehen auch der ‚Hafen‘ und der Tempelhofer Damm den Bach runter“, sagt sie voraus.

Passanten stehen vor der Filiale am Tempelhofer Damm.
Passanten stehen vor der Filiale am Tempelhofer Damm.
© imago images/A. Friedrichs

Ihre Idee: Diese Filiale auf die Waren beschränken, die gebraucht werden: Bekleidung, Kindersachen und Lebensmittel zum Beispiel. Das seien Dinge, die für die hier lebenden älteren Menschen und für die Familien wichtig sind.

„Dieser Karstadt braucht nicht zwingend Haushaltswaren, die kann man im ‚Hafen‘ bei MediaMarkt kaufen. Warum also nicht das Sortiment auf das Wichtigste konzentrieren und so die Filiale erhalten?“

Die Verkäuferin wird derweil immer wieder angesprochen von Kunden, die beteuern, wie traurig sie sind und wie sehr sie das Warenhaus, aber auch die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen vermissen werden.

Pop: „Berlin wird um die bedrohten Standorte und Arbeitsplätze kämpfen“

„Berliner Warenhäuser sind Kiezgestein. Sie prägten die DNA einer Stadt“, hatte Nils Busch-Petersen vom Handelsverband Berlin-Brandenburg am Wochenende gesagt. Wo Karstadt und Kaufhof schließen, müssten auch die umliegenden Händler mit weniger Kunden rechnen.

Auch deshalb ist die Politik alarmiert. „Die angekündigten Schließungen sind dramatisch: die Kaufhäuser sind deutschlandweit für Fußgängerzonen, in Berlin für viele Kieze zentral“, meint Wirtschaftssenatorin Ramona Pop (Grüne). „Berlin wird um die bedrohten Standorte und Arbeitsplätze kämpfen“, kündigt sie an.

Laut Gewerkschaft dürften in Berlin rund 1000 von 2100 Beschäftigten ihre Jobs verlieren. In Brandenburg stehen 210 von 400 auf der Streichliste.

„Wir gehen dazu intensiv in Gespräche mit allen Beteiligten, um Standorte und Arbeitsplätze zu retten“, sagt Pop. Es zeige sich aber auch in aller Deutlichkeit, dass das Modell Kaufhaus modernisiert werden muss, um wieder attraktiv zu werden. Kooperationen mit anderen Akteuren, Öffnung zum Kiez mit Erlebnischarakter, Gastronomie et cetera sind essentiell, um wieder das Interesse der Menschen zu wecken, vor Ort einkaufen zu gehen.

Aufatmen in Spandau, Trauer in Reinickendorf

Während die lokal politisch Verantwortlichen von Lichtenberg bis Potsdam Verlustängste plagen und man in Spandau aufatmet, weil der 1965 errichtete Kaufhaus-Klotz nicht auf der Streichliste gelandet ist, ist man im Rathaus Reinickendorf traurig darüber, dass der Ortsteil Tegel nun doch nicht den bundesweit einzigen Neubau einer Galeria-Karstadt-Kaufhof-Filiale bekommen soll.

Bürgermeister Frank Balzer (CDU) hatte sofort nach Bekanntwerden der Nachricht mit dem Investor für den Umbau an der Gorkistraße, HGHI-Inhaber und Geschäftsführer Harald Huth, telefoniert. Der habe ihm bestätigt, dass es in jüngster Zeit bereits Vorwarnungen gegeben habe.

„Sollten sich die Informationen bestätigten, wäre dies für den Standort Gorkistraße natürlich eine sehr schwierige Situation“, sagt Balzer jetzt. Schließlich sollte Karstadt dort der Ankermieter sein. „Das Bezirksamt wird mit den Beteiligten gemeinsam beraten, was getan werden kann, um die vorhandenen Verkaufsflächen neu zu verplanen und möglichst attraktiv zu nutzen.“

[Wie geht es denn nun konkret weiter mit den Karstadt-Filialen? Reaktionen und Stimmen zu den einzelnen Standorten lesen Sie in unseren Bezirksnewslettern vom Tagesspiegel - in voller Länge und kostenlos hier: leute.tagesspiegel.de]

Viele Menschen hätten „sehnsüchtig“ auf die Rückkehr von Karstadt nach Tegel gewartet, bestätigt der einstige Bezirkspolitiker Tim-Christopher Zeelen, der heute für die CDU im Abgeordnetenhaus sitzt.

Es werde eine Herausforderung, diese große Ladenfläche kurzfristig anderweitig zu vermieten. „Ich bin optimistisch, dass Harald Huth eine gute Lösung findet, diese Fläche zum Wohle Tegels zu bespielen. Er verfügt über viel Erfahrungen und gute Kontakte in diesem Geschäft“, sagt Zeelen.

Karstadt in der Wilmersdorfer Straße: Es liegt wohl am Mietpreis

Nach so viel Zuversicht muss man rund um die Wilmersdorfer Straße in Charlottenburg lange suchen. Karstadt in der Fußgängerzone Wilmersdorfer Straße hat eine längsten Traditionen aller Berliner Warenhäuser.

An gleicher Stelle in Charlottenburg hatte 1906 das Kaufhaus „Graff & Heyn“ eröffnet, aus dem später Hertie wurde, bis dieser Konzern von Karstadt übernommen wurde und 1997 seinen Namen verlor.

Viele Anwohner aus der Umgebung können sich die Straße ohne das Kaufhaus „gar nicht vorstellen“, wie eine ältere Kundin sagt. Die Filiale wirkt gut besucht. Warum soll sie dann schließen?

Es liegt wohl am Mietpreis. Nach Angaben des Betriebsrates gehen 18 Prozent des Umsatzes an die heutige Eigentümerin der Immobilie, die Firma Redevco. Diese gehört (wie auch C & A) zur Unternehmerfamilie Brenninkmeijer.

Der Eingang zur Filiale in der Fußgängerzone der Wilmersdorfer Straße.
Der Eingang zur Filiale in der Fußgängerzone der Wilmersdorfer Straße.
© Cay Dobberke

Üblich sei eine Miete in Höhe von fünf bis sechs Prozent des Umsatzes, sagt Hauptgeschäftsführer Nils Busch-Petersen vom Handelsverband Berlin-Brandenburg. Einen Anteil von 18 Prozent könne „das beste Kaufhaus nicht erwirtschaften“. Der Verkauf des Hauses mit anschließender Anmietung gehöre zum „Mist“, den Thomas Middelhoff als Chef des früheren Karstadt-Mutterkonzerns Arcandor angerichtet habe.

Auf die Frage, wie es für sie beruflich weitergehe, sagt eine Mitarbeiterin: „Vermutlich gar nicht.“

Die Geschäftsleitung habe die Schließung für Ende Oktober angekündigt, sagt eine Mitarbeiterin im hauseigenen Reisebüro. Sie arbeite seit fast 30 Jahren bei Karstadt, „so wie viele hier“. Auf die Frage, wie es für sie beruflich weitergehe, antwortet sie: „Vermutlich gar nicht.“

Im Kaufhausrestaurant finden die Stammgäste Bettina Jeske und Horst Reinert die baldige Schließung „furchtbar“. Im Gegensatz zu vielen anderen Lokalen rundum sei das Restaurant barrierefrei, betont Reinert, der gehbehindert und auf einen Rollstuhl angewiesen ist.

Mitten in der Fußgängerzone: Die Filiale von Karstadt Kaufhof Wilmersdorfer Straße in Charlottenburg.
Mitten in der Fußgängerzone: Die Filiale von Karstadt Kaufhof Wilmersdorfer Straße in Charlottenburg.
© Cay Dobberke

Was aus dem Gebäude wird, weiß niemand. Das Aus für Karstadt komme „sehr überraschend“, sagt der Vorsitzende der AG Wilmersdorfer Straße, Thomas Bong.

Noch im vorigen Jahr habe der Konzern ein bis zwei Millionen Euro in die neue Mode-Etage investiert, für die ein Schild am Eingang wirbt. Damit hatte man auf die Schließung von Peek & Cloppenburg im nahen Kant-Center reagiert.

P&C und C&A sind weg und an der Ecke Goethestraße steht fast ein ganzes Parterre leer

Auch C & A hat die Straße verlassen, ebenso wie ein Frauenfitnessstudio an der Ecke Schillerstraße, dessen Mietvertrag ausgelaufen war. An der Ecke Goethestraße steht fast das ganze Parterre eines schmucklosen Geschäftshauses leer, abgesehen von einem Handyshop. Dessen Mitarbeiter können nicht sagen, wie es mit dem Gebäude weitergeht. Dem Bezirksamt liegt kein Antrag für Um- oder Neubauten vor.

Standort mit Tradition: An gleicher Stelle in Charlottenburg hatte 1906 das Kaufhaus „Graff & Heyn“ eröffnet, aus dem später Hertie wurde, bis dieser Konzern von Karstadt übernommen wurde und 1997 seinen Namen verlor.
Standort mit Tradition: An gleicher Stelle in Charlottenburg hatte 1906 das Kaufhaus „Graff & Heyn“ eröffnet, aus dem später Hertie wurde, bis dieser Konzern von Karstadt übernommen wurde und 1997 seinen Namen verlor.
© Cay Dobberke

Andererseits wird in die Straße investiert. Die Immobilienfirma mrei hat an der Wilmersdorfer Straße 60 einen Neubau mit Büros und Läden errichtet und baut nebenan ein weiteres Haus für Wohnungen und Gewerbe. Und der Centerbetreiber mfi modernisiert die seit 13 Jahren bestehenden Wilmersdorfer Arcaden derzeit grundlegend.

[Behalten Sie den Überblick: Jeden Morgen ab 6 Uhr berichten Chefredakteur Lorenz Maroldt und sein Team im Tagesspiegel-Newsletter Checkpoint über Berlins wichtigste Nachrichten und größte Aufreger. Kostenlos und kompakt: checkpoint.tagesspiegel.de]

In der Nähe kündigt der auf Accessoires, Dekoartikel und Möbel spezialisierte Filialist Butlers für den 25. Juni eine Ladeneröffnung an.

„In jeder Veränderung liegt eine Chance“, findet Thomas Bong. Seine Apotheke hat er aus Altersgründen verkauft, aber er kämpft weiterhin für die Straße.

Aktuell streben die Händler-AG und Bezirkspolitiker die Verlängerung der Fußgängerzone bis zur Bismarckstraße an. Mit Karstadt gehe ein „Magnet“ verloren, bedauert Bong. Aber vielleicht seien ja Onlinehändler wie Amazon oder Zalando, die nach seiner Kenntnis Flächen für stationären Einzelhandel suchen, an dem Gebäude interessiert.

Die Geschäftsführer einiger Filialbetriebe in der Straße hätten ihm jedenfalls versichert, dass „die Kundenfrequenz stimmt“.

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