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Der Bezwinger. Vor vier Jahren übernahm der Stadtplaner, einstiger Leipziger Baudezernent und Staatssekretär im Bund den Posten, an dem so viele vor ihm scheiterten.
© imago images/Jürgen Heinrich

Lütke Daldrup macht den Abflug: Wer wird der neue „Drängelbert“ am BER?

Er hat den neuen Berliner Flughafen eröffnet, das Monster besiegt. Nun geht Engelbert Lütke Daldrup. Wer auch immer folgt, wird es nicht leicht haben.

Er wäre vielleicht mit einer Skulptur verewigt worden, wer weiß. Doch die Ahnengalerie in der Schönefelder Flughafenzentrale gibt es schon einige Jahre nicht mehr. Die gediegenen Schwarz-Weiß-Fotografien mit den Berliner Airportchefs, es waren viele, sehr viele, hatte schon sein Vorgänger entfernen lassen.

Und nun hat auch der Mann seinen Abflug verkündet, der mit der Eröffnung des BER das schaffte, woran vor ihm alle scheiterten: Chefmanager Engelbert Lütke Daldrup, 64 Jahre, kurz „ELD“, Spitzname „Drängelbert“, will die Flughafengesellschaft Berlins, Brandenburgs und des Bundes (FBB) im September 2021 verlassen.

Er habe um „die vorzeitige Auflösung“ seines Anstellungsvertrages gebeten, verkündete das Unternehmen am Mittwoch. In einem Brief an Aufsichtsratschef Rainer Bretschneider hatte Lütke Daldrup zuvor darauf verwiesen, seine Arbeit mit der Inbetriebnahme des BER sowie der Vorlage des neuen Businessplans 2021 erledigt zu haben. 

„Wenn ich die Arbeit der letzten vier Jahre Revue passieren lasse, sehe ich meine damals übernommen Aufgaben im Wesentlichen als erfüllt an“, sagt er.

Erledigt. Abgehakt. Der trockene Abgang, den er parallel in der „Berliner Morgenpost“ platzierte, passt zu Lütke Daldrup. Zu seiner pflichtbewussten Art, die er zu inszenieren versteht, zu ihm als Perfektionisten, der immer alles unter Kontrolle, hundertzwanzigprozentig im Griff haben will, weshalb er als schwieriger Chef gilt: Ein selbstbestimmter Rückzug.

Die Bilanz des „Mister BER“ übertrifft alle fünf Vorgänger

Gerade noch. Denn auch der Rücktritt ist eine Kunst, die nur wenige Alphatiere beherrschen. Der Zeitpunkt ist schnell verpasst. Sein Vertrag, schon einmal gegen Widerstände verlängert, läuft im März 2022 aus. Ein Jahr vorher, so ist es Usus, müssen sich beide Seiten verhalten. Eine Verlängerung kam nicht in Frage. Das war klar.

Also geht er. Und tatsächlich übertrifft seine Bilanz die seiner fünf Vorgänger, die seit dem BER-Baubeginn 2006 an der Fertigstellung des neuen Flughafens der Hauptstadtregion scheiterten, von den unzähligen Technikchefs zu schweigen.

Viel Feind, viel Ehr. Doch selbst Gegner und Kritiker können nicht bestreiten, dass erst unter seiner Ägide dieser „Fluchhafen“, der „Schrottbau zu Schönefeld“ am 30. Oktober 2020 tatsächlich in Betrieb genommen werden konnte, was keinesfalls klar war.

Ausgerechnet er, der anfangs als letztes Aufgebot galt, war das beste. Er hat den „Kladderadatsch“, die „Baukatastrophe“, wie er es nannte, beseitigt. Nebenbei erledigte der Sozi den politischen Job, Tegel zu schließen, was nach dem erfolgreichen Berliner Volksentscheid mindestens so unsicher war wie ein BER-Start.

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Im März 2017 hatte Lütke Daldrup, Professorentitel, damals „Mister BER“ und rechte Hand des Regierenden Michael Müller (SPD) im Roten Rathaus, vorher Stadtplaner, Baudezernent in Leipzig, Staatssekretär im Bund, den mit einem Jahressalär von gut einer halben Million Euro gut bezahlten Schleudersitz übernommen.

Er musste ran, und wollte es auch, nachdem Vorgänger Karsten Mühlenfeld auf Druck Müllers – und von ihm selbst – brachial vor die Tür gesetzt worden war. Der hatte in letzter Verzweiflung Technikchef Jörg Marks zu feuern versucht, um den BER doch noch 2017 irgendwie zu eröffnen. So war es, und doch sind das längst alte Kamellen.

Er räumte die Baustelle der 100.000 Mängel systematisch auf

Wie ihm das „Wunder von Berlin“ gelang? Die Kurzversion: Er verschaffte sich Zeit, ließ den Eröffnungstermin mit Puffern gleich auf 2020 verlegen. Er ließ die Baustelle der 100.000 Mängel fortan systematisch und permanent scannen, holte dafür mit einem Millionen-Auftrag den TÜV ins Boot, der für die späteren Abnahmen ohnehin gebraucht wurde.

Er nahm die Firmen, die sich vorher dumm und dämlich am Nicht-Fertig-Werden verdienten, an die kurze Leine – und stellte sie öffentlich an den Pranger. Nie vergaß Lütke Daldrup in dieser Phase zu erwähnen, wer da am BER baute, Siemens, Rom, Bosch. Auch das verfehlte seine Wirkung nicht.

Als er sich von Marks trennte, stellte er sich diplomatischer an. Denn gerade auf der explosiven Politikbaustelle des Staatsunternehmens konnte Lütke Daldrup all seine Erfahrung ausspielen: Wie kein FBB-Manager vor ihm beherrscht er die politische Landschaftspflege, Auftritte im Bundestag, in den BER-Ausschüssen Berlins und Brandenburgs.

Erst vor ein paar Tagen war er Zeuge im Berliner Untersuchungsausschuss. Ein Kreuzverhör hätte, vielleicht, sein Rückzugsdrehbuch gefährden können. Man konnte ihm ansehen, wie er sich da entspannte: Keine Gefahr!

Nun geht er, zu einem Zeitpunkt, wo der BER fertig, aber sonst nur noch das „blanke Grauen“ (ein Ex-Aufsichtsrat) ist. Mit dem durch den BER verursachten Milliardendefizit, das mit dem Luftverkehr-Totaleinbruch im Zuge der Corona-Krise noch größer geworden ist, enden seine Möglichkeiten. Mit der FBB-Sanierung kann man nicht gewinnen.

Folgt Aletta Massenbach auf Lütke Daldrup?

Und nun? Ausgerechnet Lütke Daldrup, der sich ohne Rücksicht auf anderen FBB-Manager meist als Solist inszenierte, versucht, Finanzgeschäftsführerin Aletta von Massenbach ins Spiel zu bringen.

Die war 2020 vom Frankfurter Airport zum BER geholt worden, war vorher Chefin kleinerer Fraport-Flughäfen in Bulgarien und der Türkei, hat also auch operative Erfahrung. „Die FBB, die die Pandemie überwindet und den BER erfolgreich betreibt, braucht eine andere Führung als die FBB der letzten Jahre, die aus der ewigen Baustelle einen modernen Flughafen gemacht hat“, schrieb Lütke Daldrup in seinem Abschiedsgesuch.

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„Und trotzdem sollte in dieser kommenden Phase der Neustrukturierung des Unternehmens in der Führung personelle Kontinuität für den mehrjährigen Restrukturierungsprozess angestrebt werden. Dafür geeignete Persönlichkeiten sind im Unternehmen vorhanden.“ Das stimmt. Aus seiner Feder eine vergiftete Botschaft?

Die knappe Zeit bis September, das Finanzdesaster, sprechen für Massenbach, die als Powerfrau gilt, deren Profil passen würde. Aber wie immer am BER liegen die Dinge komplizierter. Im Juni geht auch Rainer Bretschneider, der Aufsichtsratschef, womit fast beide Schlüsselpositionen zu besetzen sind.

Der Aufsichtsrat könnte halbiert werden

Lütke Daldrup kam auf Berliner Ticket, Bretschneider auf Brandenburger. Bleibt diese Tektonik so? Bringen die Grünen, die in beiden Ländern und womöglich bald auch im Bund mitregieren, vielleicht den früheren Kölner Flughafenchef Michael Garvens als Nachfolger ins Spiel? Deren Versuch, ihn in den Aufsichtsrat zu schicken, hatten 2019/2020 in Brandenburg SPD und CDU abgeblockt.

Oder ist für den neuen BER-Poker eine aktuelle Brandenburger Personalie ein Vorzeichen? Ab Freitag wird das Land im Aufsichtsrat auch von Katja Rex vertreten, 44 Jahre, bisher Chefin der Brandenburger Elektrostahlwerke.

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Und dann ist da auch noch der Sanierungsfall, der Rotstift, mit dem die FBB nur noch 1600 Mitarbeiter haben wird. Da die 2000er-Schwelle der paritätischen Mitbestimmung deutlich unterschritten wird, könnte der Aufsichtsrat halbiert werden, der Arbeitsdirektor entfallen, und drei Manager sind ohnehin nicht mehr vermittelbar.

Die Karten werden von Berlin, Brandenburg und dem Bund in den nächsten Monaten neu gemischt. Brandenburgs Finanzministerin Katrin Lange (SPD) sagt zum Abgang Lütke Daldrups zumindest das: „Man muss mit der Nachfolge nichts über das Knie brechen. Wir können in Ruhe überlegen, wie es weitergeht“.

Und sie fügt hinzu: „Es geht dabei nicht nur um Personen, sondern auch um Strukturen.“ Der Flugplan für die Ära nach ELD ist also völlig offen.

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