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Die Beuth-Hochschule will einen Campus am früheren Flughafengelände errichten.
© imago/photothek

„Wir erwarten Milliarden-Investitionen“: Wie es nach der Tegel-Schließung weitergeht

Kein Fluglärm, dafür Studenten, Zuzug und Aufwertung – Reinickendorfs Bürgermeister Frank Balzer sieht in der TXL-Nachnutzung große Chancen für den Bezirk.

Frank Balzer (55) ist Bezirksbürgermeister von Reinickendorf und Vorsitzender des CDU-Kreisverbands. Im kommenden Jahr möchte er für das Berliner Abgeordnetenhaus kandidieren.

Der Flughafen Tegel ist zu was bedeutet das für den Bezirk Reinickendorf?
Viele Reinickendorfer, viele Berliner empfinden da eine gewisse Wehmut. Tegel war ja für Jahrzehnte das Tor zur Welt. Jetzt müssen wir aber die vielfältigen Chancen sehen, die sich aus den Nachnutzungsmöglichkeiten ergeben. Ich glaube, es findet sich in ganz Europa kein Gelände in dieser Größe, das so nahe an der Innenstadt liegt, und geradezu danach schreit, entwickelt zu werden. Das gilt sowohl für die wirtschaftliche Nutzung als auch für den dringend benötigten Wohnungsbau. Und für viele tausend Reinickendorfer ist der Nutzen der Schließung ganz unmittelbar, denn sie sind nun von Fluglärm und Luftverschmutzung spürbar entlastet.

TXL hatte rund 7000 Mitarbeiter. Vermutlich haben außerdem einige tausend Menschen aus der Region auch von diesem Flughafen gelebt. Ist die Schließung ein Rückschlag für den Arbeitsmarkt im Norden Berlins?
Man muss davon ausgehen, dass sich die Arbeitsplätze hin zum neuen Flughafen BER verlagern. Ob die Beschäftigten alle aus dem Norden Berlins kommen, weiß ich nicht. Aber wenn wir diesen Standort entwickelt haben für die Wirtschaft und die Wissenschaft, kann man annehmen, dass mindestens 15.000 neue Arbeitsplätze geschaffen werden. Deshalb gehe ich davon aus, dass das am Ende für die Wirtschaftsentwicklung und die Schaffung neuer Arbeitsplätze eine gute Sache sein wird.

Muss der Bezirk mit den Folgen der Schließung alleine fertig werden, oder gibt es irgendwelche Unterstützung oder Hilfe durch das Land, durch den Senat?
Ich glaube, dass die Vorteile die Nachteile bei Weitem überwiegen werden. Es werden hier Investitionen in Milliardenhöhe sowohl aus öffentlichen als auch aus privaten Kassen erwartet. Alleine im Schumacher-Quartier werden mindestens 5000 Wohnungen in Holzbauweise entstehen. Am Kurt-Schumacher-Platz selbst wird viel gebaut, die Anfragen sind da. In der Cité Pasteur – südlich des bisherigen Flughafens – plant die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben neue Wohnungen in einem wesentlichen Umfang. Also da wird sich viel tun.

Wie viel Mitsprache hat der Bezirk bei all dem, was auf dem TXL-Gelände geschehen wird?
Der Bezirk Reinickendorf war von Anfang an im Aufsichtsrat der Tegel-Projekt GmbH vertreten und hat dort seine Vorstellungen und Anregungen immer mit einbringen können. Wir sind in dem Planungsprozess also durchgängig beteiligt gewesen.

Der Bürgermeister hofft in der Residenzstraße auf Veränderung - Zuzug und andere Geschäfte. Verdrängung will er allerdings vermeiden.
Der Bürgermeister hofft in der Residenzstraße auf Veränderung - Zuzug und andere Geschäfte. Verdrängung will er allerdings vermeiden.
© imago /Jürgen Ritter

Es gibt ja weitere positive Aspekte, einen erwähnten Sie schon: Die Menschen vor allem östlich des Flughafens werden vom Lärm entlastet. Was erwarten Sie für die Entwicklung rund um den Schäfersee?
Ich gehe davon aus, dass das Gebiet um den Schäfersee eine deutliche Aufwertung erfahren wird. Man muss sich einmal vorstellen, dass hier ein Quartier entwickelt werden kann, welches nur sieben oder acht Kilometer von der eigentlichen Innenstadt einer europäischen Metropole entfernt ist. Hier wird die Nachfrage nach Immobilien deutlich steigen.

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Unsere Aufgabe wird es jetzt sein, dafür zu sorgen, dass es in diesem Gebiet keine allzu große Verdrängung gibt. Deshalb ist der Letteplatz jetzt schon ein Milieuschutzgebiet. Und es gibt zwei andere Bereiche, in denen wir laufend überprüfen, ob auch dort ein Milieuschutzgebiet eingerichtet werden muss.

Aber Veränderungen wird es doch wohl auf jeden Fall geben …
Es wird eine Veränderung in der Bevölkerungsstruktur geben. Wir brauchen in der Residenzstraße, in Reinickendorf-Ost, deren Entwicklung ich seit Jahrzehnten, seit meiner Schulzeit, beurteilen kann, andere Geschäfte. Das hat sich dort sehr zum Negativen entwickelt. Aber Veränderung unter der Maßgabe, dass dort keine zu große Verdrängung stattfindet.

Was sind Ihre Erwartungen an die Projekte? Reinickendorf war bisher weder ein Hochschulstandort, immerhin kommen 2000 Studenten der Beuth-Hochschule, noch einer für zukunftsträchtiges Gewerbe.
Ich gehe davon aus, dass Reinickendorf sowohl zum Wohnen als auch zum Arbeiten ein noch attraktiverer Standort wird. Wenn dort künftig so viele Studierende jeden Tag sein werden, hat das Auswirkungen für die Wohnsituation im Bezirk, denn auch Studierende bevorzugen kurze Wege. Die Arbeitsplätze, die dort entstehen, werden qualifizierte Arbeitsplätze sein. Man kann sich durchaus an dem orientieren, was in Adlershof entstanden ist. Das kann ein zusätzlicher Anreiz sein, in Reinickendorf zu wohnen, zu arbeiten und zu leben.

Die Schließung von Tegel schafft für den Bezirk Rechtssicherheit bei Planungen für die Randgebiete – Stichworte Cité Guynemer und Mäckeritzwiesen. Was wird da nun geschehen?
Bei den Mäckeritzwiesen war immer abgesprochen, dass der Bebauungsplan weitergeführt wird, wenn der Flughafen geschlossen ist, und das Gelände in Bauland umzuwandeln. In diesem Prozess befinden wir uns. Die Cité Guynemer ist davon erst einmal nicht betroffen. Dort ist Bauland. Aber der militärische Teil des Flughafens soll noch für eine Dauer von etwa zehn Jahren bestehen, allerdings nur für die Hubschrauberstaffel der Bundesregierung.

Das Autobahnteilstück zwischen dem Abzweig Antonienstraße und dem Kurt-Schumacher-Damm soll aufgehoben werden, sonst wäre die Entwicklung des Schumacher-Quartiers nicht möglich. Sie selbst haben sich für einen Ausbau der Meteorstraße eingesetzt. Gibt es da irgendwelche Signale vom Bund oder vom Land?

Da gibt es ein paar nicht gelöste Probleme. Das Bundesverkehrsministerium besteht darauf, dass eine sehr leistungsfähige Straße entsteht, bevor dieses Autobahnstück aufgegeben wird. Diese Straße muss den Verkehr aufnehmen können, wenn der Flughafentunnel gesperrt ist – und das geschieht ja laufend.

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Deshalb haben wir uns dafür eingesetzt, dass die Meteorstraße zumindest an den Kreuzungen größere Abbiegespuren erhält. Das trifft besonders da zu, wo die Meteorstraße auf den Kurt-Schumacher-Damm trifft.

Sehen der Bund und das Land Berlin das Problem gleich oder zumindest ähnlich?
Der Bund hat da eine klare Erwartungshaltung, und das Land Berlin war eine Zeit lang nicht bereit, diese zu erfüllen. Jetzt ist Bewegung da. Es gibt Gespräche, und aus meiner Sicht ist klar, dass der Bund der Aufgabe der Autobahn nur zustimmt, wenn seiner Forderung entsprochen wird. Und die empfinde ich als nachvollziehbar. Wenn der Rückstau vom Kurt-Schumacher-Damm über die Meteorstraße durch das gesamte Wohngebiet geht, ist den Anwohnern auch nicht geholfen ...

Das heißt, die zuständige Berliner Senatsbehörde muss sich bewegen?
Ja, und da wird es um zwei oder sogar drei Abbiegespuren von der Meteorstraße in den Kurt-Schumacher-Damm hinein gehen, um das Verkehrsaufkommen auch abfließen lassen zu können.

Kann man sagen, dass die Entwicklung des Schumacher-Wohnquartiers im Kern davon abhängt, dass diese Frage gelöst wird?
Wenn diese Frage nicht gelöst wird, kann der Wohnungsbau in weiten Teilen nicht stattfinden. Auch die Erschließung kann nicht stattfinden, denn von der Autobahn gibt es ja keinen Weg in das geplante Baugebiet.

Statt Lärm und Luftverschmutzung werden die Bewohner von Reinickendorf bald die Vorteile der Tegel-Nachnutzung genießen, hofft der Bürgermeister.
Statt Lärm und Luftverschmutzung werden die Bewohner von Reinickendorf bald die Vorteile der Tegel-Nachnutzung genießen, hofft der Bürgermeister.
© Raphael Krämer

Gibt es eigentlich eine Zusammenarbeit mit Spandau? Künftige grenzt die geplante Urban Tech Republic bestehend aus Hochschule, Start-Ups, wissenschaftsnaher Industrie und Forschungsinstituten über den Schifffahrtskanals fast direkt an das von Siemens zu entwickelnde Gelände im Nachbarbezirk.
Über die Senatsverwaltung sind beide Bezirke miteinander im Gespräch, zum Beispiel über Verkehrsfragen, über Verbindungen zwischen beiden Bezirken. Wir sind aber auf dem ehemaligen Flughafen in der ganzen Planung schon deutlich weiter als in Siemensstadt. Ich gehe davon aus, dass die Gespräche zwischen den Bezirksämtern vertieft werden.

Wir erinnern in diesen Tagen an die Gründung Groß-Berlins und die Aufteilung der Stadt in 20 Bezirke vor 100 Jahren. Hatte es Reinickendorf damals eigentlich schwerer als andere Bezirke?
Balzer (lacht): Ich bin deutlich zu jung, um das aus eigener Erfahrung beurteilen zu können. Natürlich war Reinickendorf vor 100 Jahren völlig anders geprägt als heute. Ich kenne Bilder vom alten Teil des Wittenauer Rathauses, vor 110 Jahren, da waren rundherum nur Felder. Es gab nur einige, schon entwickelte Ortsteile, und auch das nur im Kern. Die gesamte verkehrliche Infrastruktur war in Reinickendorf sicherlich viel, viel schlechter als in schon bestehenden Innenstadtbezirken. Aber das hat sich entwickelt, Stück für Stück, und das ist dann ganz gut gelungen.

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