Erziehermangel: Wenn Kinder von Anfang an am Ende sind
Bundesweit fehlen Betreuungsplätze. Das bedroht Lebenschancen. Dabei wäre es gar nicht so schwer, den Erzieherberuf attraktiver zu machen. Ein Kommentar.
Ein heißer Mai steht Berlin bevor – mal ganz abgesehen vom Tag der Arbeit und der nie so genau vorherzusagenden Randale. Diesmal bringt der Wonnemonat nämlich zusätzlich eine Demonstration von Eltern mit, die gern arbeiten würden, aber nicht können, weil sie keinen Kitaplatz für ihre Kinder finden: Von Tag zu Tag werden es mehr, denn jeden Tag feiern eine Menge Kinder ihren ersten Geburtstag, womit sie den Rechtsanspruch auf Betreuung erwerben.
Nicht nur in Berlin, sondern überall in Deutschland liefern sich die Behörden zurzeit einen Wettlauf mit der wachsenden Zahl von Familien, die hier und jetzt einen Kitaplatz statt eines Warteplatzes wollen und dafür auch bereit sind, vor Gericht zu ziehen. Von Augsburg bis Kiel fahnden – optimistisch als „Taskforces“ bezeichnetete – Arbeitsgruppen nach bebaubaren Grundstücken oder letzten Personalressourcen: Jetzt zeigt sich, wie wichtig es war, einen Rechtsanspruch gesetzlich festzuschreiben. Denn alle Sonntagsreden über die Bedeutung der frühkindlichen Bildung wären ohne diesen einklagbaren Anspruch nichts wert. So aber können die Richter die Kommunen zwingen, Geld und Improvisationsgabe zusammenzubringen, um Kitaplätze zu schaffen.
Keine Anreize für den Erzieherberuf
Das allein wird aber nicht reichen, wenn Geld und Improvisationsbereitschaft an festgezurrten Tarifstrukturen und Gesetzen abprallen: Noch immer entspricht die Bezahlung der Erzieherinnen und Erzieher nicht den Ansprüchen, die an diesen Beruf gestellt werden. Und noch immer gibt es weder eine Ausbildungsvergütung noch ein Aufstiegsbafög für jene, die diesen Beruf ergreifen wollen.
Man mag einwenden, dass es kaum noch eine Profession in Deutschland gibt, die nicht auf dem Weg zum Mangelberuf ist. Dass Handwerker, IT-Fachleute und Altenpfleger ebenfalls unersetzbar sind und entsprechendes Augenmerk verdienen. Nur – es wird für all diese Berufe noch weniger Nachwuchs geben, wenn es nicht gelingt, die steigende Zahl von Menschen aus bildungsfernen Elternhäusern und aus Familien ohne Deutschkenntnisse durch eine exzellente Frühförderung in die Lage zu bringen, einen guten Schulabschluss zu schaffen und überhaupt ausbildungsfähig zu werden.
Mangels Bildung im Sozialtransfer
Kaum jemand weiß das besser als Berlins Bildungssenatorin Sandra Scheeres und als die neue Bundesfamilienministerin Franziska Giffey, die in Neukölln erlebt hat, wie ganze Generationen von Zuwanderfamilien mangels Bildung im Sozialtransfer verharren. Beide Sozialdemokratinnen – die eine auf Landesebene, die andere im Kabinett Merkel – haben sich vorgenommen, für eine Aufwertung des Erzieherberufs einzustehen, damit seine Qualität verbessert und er attraktiver wird für junge Leute, die gerade von allen Branchen umworben werden.
Viel Zeit bleibt nicht, denn im Grunde geht es um mehr als nur ein paar Klagen und ein paar Tausend wütende Eltern auf der Straße. Es geht vor allem um all jene, die ohne einen anregungsreichen Kitaalltag schon vor ihrem ersten Schultag auf die Verliererschiene geraten. Um sie in die Kitas zu holen und dort gut zu fördern, braucht es nicht nur eine Taskforce, sondern eine politische Schwerpunktsetzung, die bislang nur in Macrons Frankreich zu erkennen ist: Wenn die Länder es auch nur ein wenig ernst meinten mit der Frühförderung, würden sie nicht zulassen, dass sogar Kinder ohne Deutschkenntnisse bis zum Schulbeginn einfach zu Hause sitzengelassen werden.
Das aber passiert. Überall. Sogar in Berlin, wo diese Kinder eigentlich gesetzlich zum Kitabesuch oder wahlweise zum Sprachkurs verpflichtet sind.