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Alles nach Plan. Hortleiter Heiko Großer taktet 22 Erzieherkräfte ein.
© Susanne Vieth-Entus

Gehaltsschere in der Berliner Grundschule: Erzieher vermissen Wertschätzung

In der Gesundbrunnen-Schule kann man erleben, was im Ganztag alles möglich ist. Aber Frust gibt es doch.

Ein Skelett hat es sich bequem gemacht neben dem Büro von Heiko Großer. Den fehlenden Kopf haben die Kinder durch eine Holzscheibe ersetzt, die Beine verschwinden unter einer eleganten Robe, während der klapprige Oberkörper von einem St.-Pauli-Shirt zusammengehalten wird. Die feinen Schuhe zerstreuen den letzten Zweifel daran, dass es sich hier um ein weibliches Wesen handelt.

„Das ist Skeletta“, bestätigt Großer den ersten Eindruck. Später wird er ihr Geheimnis lüften, aber erst mal lädt er in sein Büro, um zu erklären, was es bedeutet, Hortleiter in Wedding zu sein.

Zum Einstieg taugt vielleicht ein Blick auf den riesigen Plan, der einen Großteil der rechten Wand einnimmt: Dort kann man sehen, wie, wann und wo die 22 Erzieher eingetaktet sind, die im Auftrag der Stiftung „Pro Gemeinsinn“ zwischen 6 und 18 Uhr für einige hundert Kinder da sind. Ein logistisches Meisterwerk. Aber ziemlich verwirrend. Vielleicht ist es doch besser, erst mal durch die Räume zu gehen und zu sehen, was sich hinter den Türen so alles abspielt.

Zwölf Türen

Tür 1: Die Schneiderei.

Tür 2: Die Holzwerkstatt.

Tür 3: Das Angel-Projekt.

Tür 4: Die Kantine.

Tür 5: Hier wird gerade eine Überraschung für Eda gebastelt, die ihr Praktikum beendet. „Liebe Eda, wir lieben dich“, „du bist die Beste“, haben Mohamed, Yahya und die anderen auf ein großes hellblaues Blatt geschrieben.

Tür 6: Hier sitzt Eda mit ein paar Kindern vor einem Plakat, das mit Zetteln beklebt wird. Auf jedem Zettel hat ein Kind eine Regel notiert. „Wir ziehen unsere Schuhe aus“, „Ich bin aufmerksam“, „Ich ärgere/haue/schubse nicht“.

Mit Stift und Schere: Die Hort-Kinder stellen ihre eigenen Regeln auf.
Mit Stift und Schere: Die Hort-Kinder stellen ihre eigenen Regeln auf.
© Susanne Vieth-Entus

Tür 7: Der Raum für die „Chillis“. So heißen hier jene Kinder, die das Getobe von 600 Kindern auf dem Schulhof nicht aushalten und einen Rückzugsraum brauchen, um nicht auszurasten.

Tür 8, 9, 10: Klassenräume mit größeren oder kleineren Lese- und Spielecken, in denen sich nachmittags ein Teil des Hortbetriebs abspielt.

Tür 11: Die Jungstoilette. Man kann nicht atmen, denn es gibt nur diese eine mit drei Sitzklos und vier Pissoirs für 150 Jungs. Zwei der Pissoirs hängen zu hoch.

Tür 12: Die Mädchentoilette. Vier Sitzklos für 150 Schülerinnen.

Toiletten gibt es nur im Erdgeschoss

Natürlich muss Heiko Großer immer mal wieder erklären, warum es hier nur diese zwei Toiletten im Erdgeschoss gibt und keine in der ersten und zweiten Etage, wo doch die Erst- und Zweitklässler lernen („Geldnot des Bezirks“) oder auch die Frage, warum die Handwerker, die gerade nebenan das Haupthaus der Schule renovieren, nicht anschließend das Nebengebäude von seiner unsäglichen Toilettensituation befreien („Wir sind noch nicht dran“).

Aber das ist nicht Großers Hauptthema. Er berichtet viel lieber von all dem, was gelingt: Von Quereinsteigern, die in ihrem neuen Erzieheralltag ihre vielen beruflichen Erfahrungen einfließen lassen können und die dann eben auch noch Kinderyoga anbieten oder eine AG für Kochen, Schach oder Fußball.

Und Großer erzählt vom Projekt „Faire Chance“, einem Sprachprogramm der Universität Göttingen, das den Kindern im Hort drei Jahre lang eine gezielte Förderung ermöglicht. Er verzählt vom großen Ausflug nach St. Pauli, denn eine Hortgruppe hatte sich erfolgreich darum beworben, „Einlaufkinder“ auf den Platz schicken zu dürfen. Davon künden nicht nur zahlreiche Fotos auf der großen „Kaleidoskop“-Wand im Erdgeschoss, sondern auch Skelettas T-Shirt.

Skeletta ist mehr als nur ein Maskottchen für die Hortkinder in der Gesundbrunnen-Schule.
Skeletta ist mehr als nur ein Maskottchen für die Hortkinder in der Gesundbrunnen-Schule.
© Susanne Vieth-Entus

Ach ja. Skeletta. Alles fing damit an, dass im Keller des Horthauses ein unvollständiges Skelett gefunden wurde – wahrscheinlich ein Überbleibsel aus dem Biologieunterricht früherer Zeiten. Der Rest entwickelte sich irgendwie, jedenfalls haben sich alle darauf geeinigt, dass Skeletta früher mal Deutschlehrerin war und in diesem Sinne fortwirkt. Ihre eine Hand fand den Weg in ein Doppelfenster zwischen dem ersten und zweiten Stock: Dort hält sie ein Buch, dessen Seiten täglich umgeschlagen werden: So haben die Kinder immer etwas anderes zu lesen, wenn sie auf dem Treppenabsatz ein bisschen stehen bleiben möchten. Und eine Facebook-Seite hat Skeletta auch: Dort kann man erfahren, was sich gerade so Aktuelles tut im Hort oder bei der Planung für die Winterferien.

"Fünf Gehaltsgruppen liegen dazwischen"

Nicht zu übersehen auf dem riesigen Plan in Großers Büro: 130 Stunden pro Woche sind die Erzieher im Unterricht eingeteilt und kümmern sich um das Lese-, Schreib- oder Rechentraining. Mitunter sind die Grenzen zwischen Lehrern und Horterziehern fließend – was sich allerdings nicht in der Bezahlung wiederspiegelt: Da gibt es tiefe Gräben.

Bei diesem Thema kann sich Großer ziemlich aufregen: „Fünf Gehaltsgruppen liegen dazwischen“, rechnet er vor. „Alle reden von Wertschätzung, wenn es um die Lehrer geht. Wir aber werden dabei vergessen“, ist Großers Eindruck.

Der Frust hat sich noch dadurch vergrößert, dass die Gehaltskluft weiter wächst: Seitdem die neuen Grundschullehrer 5300 Euro verdienen, liegen zwischen den Anfängergehältern sogar 2700 Euro. Als zusätzlicher Stachel im Fleisch wurden dann auch noch „Pädagogische Unterrichtshilfen“ installiert: Normale Erzieher, die aber mehr verdienen und weniger Anwesenheitspflichten haben. Und schließlich verdienen Berlins Erzieher auch noch rund 350 Euro weniger als die Brandenburger, weil sie zu einem anderen Tarifsystem gehören.

Scheeres setzt auf die Bundesebene

Angesichts der offenkundigen Diskrepanz hatte die rot-rot-grüne Koalition in ihrer Vereinbarung im Herbst 2016 festgeschrieben, dass der Senat eine „sofortige Übergangsregelung“ schaffen müsse, bis zumindest die Unterschiede zwischen den beiden Tarifsystemen überbrückt sind. Davon ist allerdings noch nichts zu hören. Stattdessen vertröstet Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) die Erzieher auf die „kommenden Tarifverhandlungen auf Bundesebene“: Dort werde sie sich „aktiv für eine bessere Bezahlung der Erzieherinnen und Erzieher einsetzen“, sagte sie auf Anfrage.

Die bildungspolitische Sprecherin der SPD, Maja Lasic, stellte am Wochenende in Aussicht, dass monetäre Fortschritte bei den Erzieherkräften "ein Schwerpunkt des nächsten Haushaltes sein sollen", während die GEW meint, dass schon jetzt „der Ball beim Finanzsenator liegt“.

Großer ist es ziemlich egal, wo der Ball liegt: Er möchte Wertschätzung, die sich auch monetär ausdrückt. Allerdings ist der nächste Rückschlag schon in Sicht: Die Lehrer im sozialen Brennpunkt sollen bald einen Zuschlag bekommen. Dann wächst die Kluft noch mehr, denn die Erzieher sollen wieder leer ausgehen – auch wenn sie in einem Kiez arbeiten, der so brennt wie der Wedding: An der Gesundbrunnen-Schule sind vier Fünftel der Familien auf Sozialleistungen angewiesen.

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