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Gefragter Mann. Bis 2020 braucht Berlin 4800 neue Erzieher. Die Ausbildungskapazitäten sollen erhöht, der Quereinstieg erleichtert werden.
© Thilo Rückeis

Kinderbetreuung in Berlin: Mindestens 2000 Kitaplätze nicht belegt - weil Erzieher fehlen

Berliner Bezirke rechnen wegen des Mangels an Kitaplätzen in diesem Jahr erstmals mit Klagen. Am Freitag beraten sich Jugendstadträte und der Senat.

Der Mangel an Kitaplätzen könnte dieses Jahr erstmals zu Klagen abgewiesener Eltern führen. Damit rechnen mehrere Bezirke. An diesem Freitag wollen Jugendstadträte und Senat das weitere Vorgehen in diesem Fall abstimmen. Es drohen Schadensersatzforderungen von Eltern, die wegen fehlender Betreuungsmöglichkeiten nicht arbeiten können. Fehlende Erzieherinnen verstärken die Notlage.

„Wir könnten 600 Kinder mehr aufnehmen, ohne einen Stein zu mauern“, sagte Neuköllns Jugendstadtrat Falko Liecke (CDU) am Donnerstag im Hinblick auf den Personalmangel im Kita-Eigenbetrieb Südost. Angesichts der vielen Eltern, die zurzeit vergeblich einen Kitaplatz suchen, geht er davon aus, dass absehbar „die ersten Klagen eintrudeln“.

Bis 2020 werden rund 4800 zusätzliche Fachkräfte gebraucht, die man genau wo her bekommen will? Mangels Attraktivität des Erzieher(innen)-Berufs streben doch selbst die fertig Ausgebildeten in andere Berufe oder Bundesländer.

schreibt NutzerIn sinnsucher

"Ein unheimlicher Druck im System"

Ähnlich schätzt die Jugendstadträtin von Mitte, Sandra Obermeyer (parteilos, für die Linke), die Lage ein. „Wir rechnen tatsächlich mit Klagen“, bestätigte sie dem Tagesspiegel ihre entsprechenden Warnungen im Bezirksparlament. Von einem „Wunsch- und Wahlrecht“ könne in Mitte schon länger keine Rede mehr sein: „Jetzt aber geht es darum, dass es überhaupt keinen Platz mehr gibt.“ Daraus resultiere „ein unheimlicher Druck im System“.

Obermeyer hatte das Jugendressort vorher in Lichtenberg verantwortet. Auch dort seien die Plätze knapp gewesen, erzählt Obermeyer, aber in Mitte komme der starke Sprachförderbedarf hinzu. Schließlich haben die Kitas die Aufgabe, die Kinder so zu fördern, dass sie eine Chance haben, in der Schule sprachlich folgen zu können. Dazu benötigen die Kitas aber genug Fachkräfte.

Die Verteilung soll "optimiert" werden

Die Sprecherin der Jugendverwaltung, Ines Brennberger, bestätigte auf Anfrage, dass es bei der Sitzung der Jugendstadträte am Freitag auch um die Versorgung mit Kitaplätzen gehen werde. „Alle Familien sollen versorgt werden. Nicht nur die, die mit Klagen drohen“, betonte Brennberger. Darum müsse die Verteilung der noch vorhandenen Plätze „optimiert werden“. Laut Statistik gab es im Februar noch rund 4400 nicht belegte Plätze, für die Personal vorhanden wäre. Allerdings liegen diese Kitas offenbar in Regionen mit weniger Bedarf, oder die Einrichtungen gelten als unattraktiv.

Daher versuchen die Jugendämter anderweitig und mit hohem Aufwand, Plätze zu finden. „Eine Kollegin macht an zwei Tagen pro Woche nichts anderes, als permanent die Kitas abzutelefonieren“, berichtet Liecke.

1000 Euro Prämie wollte Neukölln zahlen

Der Stadtrat hatte versucht, dem Erziehermangel mit 1000-Euro-Prämien zu begegnen, was ihm aber der Senat untersagte. Das ärgert den Stadtrat, zumal der kürzlich erreichte Tarifabschluss das Problem mit der Konkurrenz zum besser bezahlenden Brandenburg nicht löse. Dort verdienen die Erzieherinnen und Betreuer einige hundert Euro mehr.

Ähnlich ist die Lage in Marzahn-Hellersdorf. Der dortige Jugendstadtrat Gordon Lemm (SPD) hatte erst kürzlich darauf hingewiesen, dass in der neuen Kita „Goldfischchen“ in Marzahn mehr als 70 von 105 Plätzen mangels Erzieherinnen freibleiben mussten. Kita-Leiterin Irene Schapp sagte auf Anfrage, dass „ drei bis vier Erzieherinnen“ fehlen. Die Einrichtung hat 180 Kinder auf der Warteliste – zum Teil schon für einen Platz ab 2018. Schrapp würde auch gerne männliche Erzieher einstellen, zumal schon „mehrfach“ Eltern danach gefragt hätten.

In Pankower Kitas blieben 700 Plätze unbesetzt

Wie viele Plätze mangels Personal nicht besetzt werden können, weiß die Jugendverwaltung laut Bennberger nicht. Tatsache ist, dass erst im Januar Pankower Kitaträger beklagt hatten, fast 700 Plätze mangels Fachkräften nicht belegen zu können. Liecke geht davon aus, dass darüber hinaus alle Kita-Eigenbetriebe vor ähnlichen Problemen stehen wie der Eigenbetrieb Südost mit den genannten 600 nicht belegten Plätzen. Daher ist davon auszugehen, dass insgesamt weit über 2000 Plätze wegen personeller Lücken wegfallen.

Bis 2020 werden 4800 neue Erzieherinnen gebraucht

Es könnten auch mehrere Tausend sein, wenn man zugrundelegt, dass die Differenz zwischen den belegten Plätzen und der Zahl an Plätzen, für die es eigentlich eine Betriebserlaubnis gäbe, bei fast 10.000 liegt: Darauf hatte Liecke gerade in einer Stellungnahme zum Kitamangel an die BVV-Fraktionen hingewiesen. Allerdings wurde von der Jugendverwaltung oder den Bezirken offenbar nicht erhoben, wie viele dieser 10.000 nicht belegten Plätze auf fehlende Erzieher zurückzuführen sind.

Bis 2020 werden rund 4800 zusätzliche Fachkräfte gebraucht. Die von der SPD durchgesetzte Kita-Beitragsfreiheit hat die Nachfrage noch mehr angefacht. „Das fällt der SPD jetzt auf den Fuß“, konstatiert Liecke. Und wohl auch den Eltern.

Mitarbeit: Jana Weiss

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