Petition gegen Schulöffnung in Berlin: Vater will Präsenzunterricht verhindern – das sind seine Ziele
Eine rasche Schulöffnung könnte die Arbeit vergangener Monate zunichte machen, denkt Christoph Podewils. Seine Petition hat mehr als 31.000 Unterzeichner. Ein Interview.
Christoph Podewils ist 46 Jahre alt, Vater, und lebt in Berlin. Er ist in der Öffentlichkeitsarbeit tätig.
Herr Podewils, Ihre Petition „Kein Präsenzunterricht in Berlin, solange Covid-19 nicht unter Kontrolle ist“ auf der Plattform change.org haben seit Mittwoch rund 31.000 Menschen unterzeichnet (Stand Freitag, 14:30 Uhr). Wie sind Sie darauf gekommen, die Petition zu starten?
Ich habe am Dienstag die Ergebnisse der Ministerpräsidentenkonferenz verfolgt, deren Ergebnis es war, dass es einen verschärften Lockdown gibt. Die Begründungen dafür finde ich nachvollziehbar. Der jetzige Senatsbeschluss läuft aber entgegen des Beschlusses der Ministerpräsidentenkonferenz und darüber habe ich mich sehr geärgert – vor allem weil Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) als Vorsitzender der Ministerpräsidentenkonferenz für die Verschärfung des Lockdowns argumentiert hat. Nun argumentiert er aber für einen Beschluss, der damit nicht viel zu tun hat. Das ist ein seltsames Prozedere, das ich für nicht nachvollziehbar halte.
Das Ganze erfolgt in einer mindestens unklaren Situation: Wir haben derzeit hohe Infektionszahlen und können noch nicht sagen, inwieweit die Verschärfung über Weihnachten auf die Zahlen gewirkt hat. Gleichzeitig wissen wir: Schulen sind Infektionsorte und es gibt ein mutiertes Virus, das deutlich ansteckender ist. Auch in Schulen würde es also zu Ansteckungen kommen. Schule ist nicht losgelöst vom Rest der Gesellschaft, sondern sehr tief eingebettet in Bereiche, die derzeit die Lockdown-Maßnahmen ertragen und tragen. Ich habe die Befürchtung, dass die Entscheidung zur Öffnung diese Einschränkungen verlängert und auch zu mehr Toten führen wird. Ich halte das für gefährlich, weil es Menschenleben kosten kann.
Sind Sie als Elternteil auch persönlich betroffen?
Ja, ich bin als Elternteil betroffen und sehe, was Homeschooling ausmacht und halte es nicht für einen besonders glücklichen Weg. Wir sind in die aktuelle Situation gekommen, weil der Lockdown light nicht funktioniert hat. Die Antwort kann nun aber nicht darin liegen, dass der gesamte normale Lernstoff irgendwie in die Köpfe der Kinder reinkommt. Dafür sind die Lernsituationen zu unterschiedlich, um das gerecht zu gestalten.
Also ist doch die Frage: Was macht man denn stattdessen? Natürlich bin ich dafür, dass schulisches Lernen zuhause stattfindet, auch digital. Das muss aber alles gelernt und geprobt werden. Das ist mir zu kurz gekommen. Ich bin nicht der größte Fan des Homeschoolings. Aber es ist ein Opfer, das zugunsten anderer Teile der Gesellschaft gebracht werden muss. Deswegen halte ich es für richtig, das Homeschooling aufrecht zu erhalten.
In Ihrer Petition fordern Sie sogar eine Art kleinen Bildungsumschwung angesichts der Pandemie – Prioritäten sollten anders gesetzt werden.
Ich finde, man muss machen, was möglich ist. Es geht da zum Beispiel auch um die Frage, inwieweit man sich als Klasse in digitalen Räumen trifft. Das, was viele Schulen gerade machen, ist oft noch sehr am Anfang, um es freundlich zu formulieren. Das kann man aber ausbauen und das müssen sich Lehrer und Schüler erst beibringen – technisch gesehen natürlich, es braucht aber auch Ermunterung.
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Dann gibt es natürlich jede Menge an schulischem Stoff, der in Form von Projektarbeiten und Selbststudium geleistet werden kann. Ich bin aber kein Lehrer und kenne Schule nur als Schüler und von außen. Aber ich bin sicher, dass es Experten gibt, die da viele Ideen beisteuern können.
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Sie sagen, eine fundierte Benotung ist unter Lockdown-Bedingungen nicht möglich, aber wie sehen Sie das in Bezug auf die Abschlussklassen?
Da tendiere ich dazu zu sagen, dass das ein Sonderfall ist. Ich glaube nicht, dass eine Absage der Prüfungen der Abschlussklassen Sinn der Sache sein kann. In Großbritannien zum Beispiel verzichtet man darauf, das halte ich für fragwürdig. Aber einfach so zu tun, als ob es keine Pandemie gäbe und die damit einhergehenden auch psychischen Belastungen zu ignorieren, halte ich für falsch. Die müsste man ja erst kennenlernen und anerkennen, um dann zu überlegen, welche Folgen das nach sich zieht.
Ist die Schulöffnung aber nicht gerade für benachteiligte Kinder ein Kompromiss?
Es ist der Versuch, zu helfen. Aber meine Befürchtung ist, dass das Leiden verlängert wird und wir in ein, zwei Monaten wieder am jetzigen Punkt stehen. Die Lehre aus dem erstem Lockdown, dem Lockdown light und der Erfahrung anderer Länder ist doch, dass man konsequenter hätte sein können.
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Natürlich muss man sich fragen, wie man mit den Kindern umgeht, die sozial benachteiligt sind oder in Verhältnissen leben, wo Eltern nicht zu Hause sind und nicht helfen können. Da wünsche ich mir mehr Kreativität. Schulen können solche Kinder und Jugendliche anrufen, man kann Mitschüler und Studierende als Hilfen mit ins Boot holen.
Solche Überlegungen hätte man schon längst anstellen können, denn eine zweite Welle stand an. Vonseiten des Senats habe ich aber keinen großen Plan gehört, wie man sich vorbereitet, viel wird offenbar nach Tagesaktualität entschieden. Aber ich würde mir wünschen, dass man die jetzige Situation auch nutzt, um Sachen auszuprobieren. Dass man nicht hinterher den Eindruck bekommt, das sei verlorene Zeit. Man sollte auch schauen, was man lernen kann und was man auch nach der Pandemie nutzen kann, um sich als Schule oder Schulgemeinschaft weiterzuentwickeln. Dafür müssen aber Ressourcen zur Verfügung gestellt werden und der richtige Spirit herrschen. Das wird auch Geld für Ausrüstung und Personal kosten. Ich meine aber, dass wir uns diese Investition angesichts der Milliarden-Beträge für die Rettung mancher Unternehmen leisten können.