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Die Bildungsplattform „Lernraum Berlin“ bereitet immer wieder große Probleme und ist für Schüler und auch Lehrer oft nicht nutzbar.
© Ulrich Perrey/dpa

Immer Ärger mit dem Lernraum: Warum das Homeschooling in Berlin nicht richtig funktioniert

Probleme beim digitalen Homeschooling sind lange bekannt – und wurden ausgesessen. Ob neue Maßnahmen in Berlin helfen, ist unklar.

Die wohl beste Nachricht des Tages kam für die Administratoren der Lernplattform „Lernraum Berlin“ aus dem Berliner Senat. Stufenweise und unter dem Vorbehalt der Infektionsentwicklung sollen Berlins Schulen ab dem 11. Januar wieder öffnen.

Zunächst in halbierter Stärke in den Abschlussklassen, dann in den Klassen 1 bis 3, später für die Klassenstufen 4 bis 6 und schließlich gemäß des Stufenplans für alle Schülerinnen und Schüler. Warum das die nach dem erneuten Zusammenbruch des Lernraums am Montag unter Hochdruck an der Problembehebung arbeitenden Experten entlastet: Weil mit jedem in den analogen Unterricht zurückkehrenden Kind der Druck auf den Lernraum abnimmt.

Die landeseigene Lernplattform zählt aktuell rund 110.000 registrierte Nutzer. Gewollt ist, dass die Software zur Durchführung von Videokonferenzen oder zum Austausch von Unterrichtsmaterialien noch mehr Nutzer erreicht. Allein: Der Ruf der 2005 und damit im Ländervergleich früh ins Leben gerufenen Plattform hat durch ihre regelmäßigen Zusammenbrüche derart stark gelitten, dass eine umfassende Einführung kaum noch möglich scheint.

Wer sich zum Zustand der Plattform und den Ursachen für die Probleme umhört, erhält vielfältige Antworten. Martin Klesmann, Sprecher der Bildungsverwaltung, bemühte sich am Mittwoch um eine positive Darstellung der Lage. Das System sei bereits am Dienstag wieder reibungslos gelaufen, mit mehr als 65 000 aktiven Nutzern habe es einen Rekord gegeben, erklärte er.

Die Berichte über fortgesetzte Störungen auch am Dienstag ignorierte er dabei ebenso wie den Fakt, dass 65.000 Lernende nur die Hälfte der registrierten Nutzer und einen Bruchteil aller im Bildungswesen Aktiven darstellt. Ob die tatsächlich alternative Wege der Lehr- und Lerntätigkeit abseits der Schulen gefunden hatten oder einfach nur Däumchen drehten?

Priorität besaß der Plattform-Ausbau nicht

Aus dem Lernraum selbst, dessen pädagogischer Bereich von mittlerweile 18 stundenweise freigestellten Lehrkräften gestemmt wird, hieß es am Mittwoch, das Krisenmanagement habe gut funktioniert. Zur Frage, ob und wann die Störungen erneut aufzutreten drohen und ob die im vergangenen Jahr mit 500 000 Euro finanzierte Plattform technisch für den Zugriff Hunderttausender Nutzer überhaupt geeignet sei, wollte sich aus diesem Bereich besser niemand äußern.

Klar scheint: Priorität, so wie von Senatorin Sandra Scheeres und Staatssekretärin Beate Stoffers (beide SPD) zuletzt gleich mehrfach behauptet, besaß der Ausbau der Plattform ganz sicher nicht.

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Nachdem der Lernraum bereits im ersten Lockdown Mitte März unter der im Vergleich zu vorher deutlich gestiegenen Nutzlast zusammengebrochen war, versendete die Bildungsverwaltung Tage später eine Rekordmeldung. „Mittlerweile greifen täglich weit mehr als eine Million Schülerinnen und Schüler sowie Lehrkräfte auf den Lernraum Berlin zu“, erklärte die Behörde. Dabei gibt es in Berlin nur 375.000 potenzielle Nutzer. Die Verwaltung verwies darauf, dass sich seit Inkrafttreten des ersten Lockdowns mehr als 27.000 neue Nutzer angemeldet hätten.

„Das digitale Lernen erhält dadurch einen neuen Schub“, erklärte Senatorin Scheeres damals. Seitdem wird sie dafür kritisiert, eben diesen Schub weder finanziell noch personell ausreichend zu untersetzen. Die Attacken kamen dabei nicht aus der Opposition allein.

System stößt an Grenzen der technischen Machbarkeit

Was seitdem passiert ist? Nicht sonderlich viel. Selbst die Bildungsverwaltung erwähnt in ihrer Antwort auf einen Fragenkatalog vom Mittwoch lediglich Maßnahmen aus dem Dezember. So seien vertragliche Grundlagen geschaffen worden, um eine Erweiterung der Nutzungskapazitäten auf 120.000 Nutzerinnen und Nutzer umzusetzen. Aktuell sollen in einem zweistufigen Verfahren der laufende Betrieb gesichert und die Erhöhung der Kapazität durch Anpassungen der dem Programm zugrundeliegenden Moodle-Architektur ermöglicht werden.

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Allerdings räumt die Bildungsverwaltung ein, dass „die Moodle-Architektur mit den geforderten 110.000 bis 150.000 Nutzerinnen und Nutzern an die Grenzen der technischen Machbarkeit stößt“. Eine Optimierung von Komponenten und Skalierung von Ressourcen müsse „kurzfristig vorgenommen werden“.

Warum dieser Experten zufolge absehbare Schritt nicht bereits Monate zuvor, beispielsweise während der Sommerferien, vorgenommen wurde, blieb unklar. Ebenso wie die Frage danach, warum der nun für die „kommenden Wochen“ angekündigte Ausbau des Lernraums für gegebenenfalls alle Schülerinnen und Schüler inklusive Lehrkräfte in Berlin erst jetzt „konzeptionell erarbeitet und in den nächsten Wochen parallel zum laufenden Betrieb umgesetzt“ werden soll.

Zu oft wurde das Problem ausgesessen

Kritische Beobachter dürften diese Ankündigungen – finale Termine fehlen völlig – kaum beruhigen. Zu oft hat die Behörde von Scheeres das Problem ausgesessen. Als exemplarisch gilt die bis heute nicht eingelöste Zusage einer sogenannten Positivliste, einer Aufzählung der von den Schulen bedenkenlos nutzbaren Programme. „Daran wird gearbeitet“, erklärte Klesmann am Mittwoch.

Unklar ist, wie es kurzfristig weitergeht. Zwar stellt die Bildungsverwaltung den Schulen ab sofort frei, auch den kommerziellen Anbieter „itslearning“ zu nutzen und verhandelt aktuell die Konditionen. Ob die Plattform wirklich hilft und der Lernraum darüber hinaus überhaupt eine Zukunft hat, scheint offen.

Bernd Schlömer, fraktionsübergreifend anerkannter IT-Experte der FDP-Fraktion, plädiert wie zuletzt auch Dirk Stettner (CDU) für eine „Kehrtwende“ hin zu einer cloudbasierten Lösung wie der vom Hasso-Plattner-Institut entwickelten Lernplattform HPI-Cloud.

Diese läuft aktuell an rund 100 Berliner Schulen und arbeitet dem Vernehmen nach zumindest sicherer als der Lernraum. Allerdings hakte das im Nachbarland Brandenburg flächendeckend eingesetzte System im Dezember beim dortigen Start des Heimunterrichts ebenfalls – genauso wie „itslearning“ und andere Systeme wie „Mebis“ in Bayern.

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