Wie geht es mit dem Unterricht weiter?: Bei den Schulen droht das große Durcheinander
Vor den Lockdownberatungen preschen viele Länder mit eigenen Vorschlägen für die Schulen vor. Die Debatte wird immer hitziger geführt.
Zwar zeichnet sich inzwischen ab, dass der aktuelle Lockdown über den 10. Januar hinaus verlängert wird – doch wie dann mit den Schulen verfahren wird, ist noch nicht geklärt.
Die Debatte darüber ist heftig, befeuert noch durch Meldungen, dass die Virusvariante aus Großbritannien sich auch unter Kindern schneller verbreitet. Die politische Gemengelage ist unübersichtlich. Möglich ist auch, dass Deutschland bei den Schulen auf ein großes Durcheinander zusteuert. Die wichtigsten Fragen und Antworten im Überblick.
Wird es eine bundesweite Entscheidung bei den Schulen geben?
Das ist noch nicht klar. Zwar trifft sich die Kultusministerkonferenz schon am Montag, um über das Thema zu beraten. Letztlich werden aber die Ministerpräsidenten und die Bundeskanzlerin bei ihrem Treffen am Dienstag entscheiden, wie es mit den Schulen weitergeht und ob es überhaupt ein bundeseinheitliches Vorgehen geben wird.
Das Kanzleramt dürfte dabei gegen die Öffnung der Schulen argumentieren, auch Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hat sich bereits dagegen ausgesprochen.
Die Stimmung bei den Ministerpräsidenten ist noch uneinheitlich. Während Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) vor einer „überstürzten Öffnung von Schulen und Kitas“ warnte, zeigten sich Hamburgs Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) und Niedersachsen Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) zurückhaltender. Weil will generell erst einmal wissen, auf welche Datengrundlage der Bund seine Position bei Lockdown und Schulschließungen stützt, wie er dem Tagesspiegel sagte.
Die Kultusministerinnen und Kultusminister würden die Schulen am liebsten so schnell wie möglich wieder öffnen. „Präsenzunterricht ist natürlich das, was sich viele Eltern, Schüler und Lehrkräfte wünschen“, erklärt etwa Bayerns Kultusminister Michael Piazolo (Freie Wähler) auf Anfrage.
Die Minister berufen sich auf die Erfahrungen des ersten Lockdowns, als gerade bildungsfernere Schülerinnen und Schüler wochenlang vom regelmäßigen Lernen abgehängt wurden. Mantraartig wiederholen sie trotz der inzwischen anderslautenden Studien ihre Einschätzung, dass Schulen kein Treiber der Pandemie seien.
Halten die Kultusminister auch deswegen daran fest, um davon abzulenken, dass sie die Schulen nur unzureichend auf einen infektionssicheren Unterricht vorbereitet haben? Das werfen ihnen Kritiker vor. Heinz-Peter Meidinger, Präsident des Lehrerverbandes, sprach zuletzt von einem „Versagen“ der Kultusminister, diese würden ihre Fürsorgepflicht verletzen. Meidinger fordert einen verbindlichen „Hygienestufenplan“, wann welche Form von Unterricht zu verantworten ist, um Schulen die Planung zu erleichtern – und einen „Masterplan“, wie mit Lernrückständen und der Förderung der stärker abgehängten Schüler und den Abschlussprüfungen umgegangen wird.
Auch der Realschullehrerverband fordert klare Regeln für Unterricht je nach Inzidenz. Der Verband schlägt Präsenzunterricht bis 50, Wechselunterricht ab 50 und Fernunterricht ab 100 als Richtwert vor.
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In der Elternschaft wiederum dürften die Meinungen gespalten sein. Während die einen um die Gesundheit ihrer Kinder und ihre eigene fürchten, denken andere mit Schrecken daran, Homeschooling und die eigene Arbeit wieder unter einen Hut bringen zu müssen – oder sie treiben beide Sorgen zugleich um. Von „vielen unterschiedlichen Interessensgruppen“ spricht Norman Heise, Vorsitzender der Landeselternausschuss Berlin: „Wir werden immer Entscheidungen haben, die die einen zufriedenstellen und die anderen nicht.“
Was ist für Berlin vorgesehen?
Schulsenatorin Sandra Scheeres (SPD) hat bereits angekündigt, sie gehe derzeit davon aus, dass der Heimunterricht noch bis zum 17. Januar verlängert werden muss. Ausgenommen davon sollen die abschlussrelevanten Jahrgänge sein, für die auch in dieser Zeit Wechselunterricht stattfinden soll - das wären die Klassen 10, 11 und 12 an Gymnasien sowie die Klassen 9, 10, 12 und 13 an Sekundarschulen..
Der Landeselternausschuss (LEA) fordert dagegen Wechselunterricht spätestens ab dem 11. Januar. Dieser solle aber solange beibehalten werden, bis die Inzidenz bei den Corona-Infektionen pro 100 000 Einwohnern bei unter 50 liege. Aktuell liegt der Wert bei rund 130, wobei der Wert wegen der niedrigen Meldezahlen zwischen den Jahren nicht komplett aussagekräftig ist.
Der Infektionsschutz müsse priorisiert werden, Regelbetrieb sei erst dann wieder zu ermöglichen, wenn es die Infektionszahlen vertretbar machen, heißt es in einer LEA-Resolution.
Was planen die anderen Bundesländer?
Trotz des gemeinsamen Ziels der Bildungsminister, die Schulschließungen so schnell als möglich zu beenden, haben mehrere Länder bereits völlig unterschiedliche Vorgehensweisen und Wünsche angemeldet.
- Am weitesten aus dem Fenster gelehnt hat sich Susanne Eisenmann (CDU), Kultusministerin in Baden-Württemberg. Sie will mindestens Kitas und Grundschulen ab 11. Januar wieder für den Präsenzunterricht öffnen, man müsse zudem auch die Klassen 5-7 und die Abschlussklassen in den Blick nehmen, „unabhängig von der Inzidenzlage“, wie sie sagte. „Gerade mit kleineren Kindern in der Grundschule ist digitaler Unterricht im Grunde nicht möglich“, bekräftigt ein Sprecher Eisenmanns gegenüber dem Tagesspiegel. Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) hat aber bereits durchblicken lassen, dass Eisenmann in der Frage nicht das letzte Wort hat.
- Niedersachsen peilt zum 11. Januar an, Grundschüler und Abiturklassen wieder in Präsenz zu unterrichten, die anderen Jahrgänge im Wechselunterricht. "Final" sei das aber noch nicht, heißt es.
- Auf der anderen Seite stehen Bremen und Hamburg, die wie Berlin bereits angekündigt haben, die Präsenzpflicht auch in der Woche vom 11. bis 15. Januar aufzuheben. Bremen will die Zeit unter anderem nutzen, alle Schülerinnen und Schüler und die Lehrkräfte auf Sars-CoV-2 zu testen, wobei die Tests freiwillig sind. Für die Zeit danach hat Bremen als bisher einziges Land einen verbindlichen Stufenplan aufgestellt. Ab einer stadtweiten Inzidenz von 200 Infektionen pro 100.000 Einwohnenden würde ab Klasse 8 verbindlich Unterricht im Wechselunterricht mit Halbgruppen stattfinden, für die Jahrgänge 1 bis 7 sollen Maßnahmen vor Ort umgesetzt werden, um den Unterricht infektionssicher zu gestalten. Unterhalb dieses Schwellenwerts soll nach einem festgelegten Kriterienkatalog die Situation an jeder Schule einzeln bewertet und dann gegebenenfalls ebenfalls Maßnahmen wie Hybridunterricht ergriffen werden. Hamburgs Schulsenator Ties Rabe (SPD) geht davon aus, dass auch in den letzten beiden Januarwochen kein regulärer Präsenzunterricht in allen Klassenstufen stattfinden kann. Wie das dann genau aussehen wird, ließ er aber offen – das hänge auch von der Entscheidung am Dienstag ab.
- Auch in Rheinland-Pfalz wird es bis 15. Januar Fernunterricht geben.
- Andere Bundesländer haben sich noch nicht festgelegt, was nach dem 11. Januar passiert „Ich kann mir vorstellen, dass wir zunächst noch teilweise Wechselunterricht brauchen werden“, sagt zwar auch Bayerns Kultusminister Piazolo. Wie es in Bayern weitergehe, werde aber erst kommende Woche entschieden - wobei nach Söders Äußerungen klar sein dürfte, dass es in Bayern wohl kaum so schnell zum Präsenzunterricht zurückgeht.
- NRW, das Saarland und Hessen teilen mit, sie würden sich auf unterschiedliche Szenarien vorbereiten – wobei in NRW zum Beispiel eine landesweite Beschränkung des Präsenzbetriebs ab Klasse 8 nur für den Notfall vorgesehen ist. Sachsen und Thüringen halten sich bislang völlig bedeckt
- Brandenburg, dessen Kultusministerin Britta Ernst (SPD) gerade den Vorsitz der Kultusministerkonferenz (KMK) übernommen hat, hat eine Tagesspiegel-Anfrage nicht beantwortet, wie es mit den Schulen in dem Land weitergehen soll. Dass sich die KMK auf ihrer Sitzung am Montag einen gemeinsamen, verbindlichen und konkreten Fahrplan für die kommenden Wochen aufstellt, scheint nach den Erfahren der vergangenen Monate indes ausgeschlossen.
Was ist mit digitalem Unterricht?
Der ist die Voraussetzung fürs Distanzlernen – sei es, wenn Schulen komplett geschlossen sind oder wenn ein Teil einer Klasse während des Wechselunterrichts zu Hause bleiben muss. Wie wenig die Bundesländer auch zehn Monate nach den ersten Schulschließungen darauf vorbereitet sind, zeigte sich vor den Weihnachtsferien. In mehreren Ländern kriselten die Lernmanagementsysteme, auch in Berlin war der „Lernraum“ anfangs gestört. Auch am Sonntag war der „Lernraum“ wieder down. Dabei handelte es sich laut des Serviceteams aber nur um eine Wartung, am Montagmorgen war die Plattform wieder erreichbar.
In einer aktuellen Umfrage des Bundesverbands Digitale Wirtschaft antworteten mehr als zwei Drittel der befragten Eltern, dass sich die digitalen Lern- und Lehrangebote seit dem Ausbruch der Coronapandemie nur wenig oder gar nicht verbessert haben.
Die Länder indes geloben Besserung. Das Saarland etwa erklärt, es nutze aktuell die Ferienzeit, um seine Bildungsplattform „noch besser an die Bedürfnisse und insbesondere an das Verhalten der Nutzer*innen anzupassen“. Die Berliner Senatsverwaltung teilte am Sonntag mit, im Dezember 20.800 neue Tablets an Schulen für benachteiligte Schülerinnen und Schüler ausgeteilt zu haben, weitere 20.000 sollen ab Montag folgen.
Ob diese Bemühungen ausreichen, wird sich erst noch zeigen. Lehrerverbandspräsident Heinz-Peter Meidinger fordert jedenfalls eine Kraftanstrengung, um schnelles Internet an alle deutschen Schulen zu bringen – noch immer verfüge die Hälfte der Schulen noch nicht darüber.
Wie gefährlich ist die britische Virusvariante B.1.1.7 für Kinder und Jugendliche tatsächlich?
Noch gibt es keine abschließende Antwort auf diese Frage. Eine Analyse des Imperial College deutet darauf hin, dass die neue Virusvariante B.1.1.7 in Großbritannien Kinder (0-9 Jahre) und Jugendliche (10-19) häufiger befällt als ältere, ursprüngliche Virusvarianten.
Dafür gebe es „klare Evidenz“, twitterte Nisreen Alwan, Professorin für Public Health an der Universität Southampton. Allerdings reichen die Daten des Imperial College nur bis zur 50. Woche (13. Dezember).
„Mit neueren Daten zeigt sich, dass das ein vorübergehender Effekt aufgrund geöffneter Schulen während des November-Lockdowns gewesen sein könnte“, äußerte sich Nick Davis von der London School of Hygiene and Tropical Medicine (LSHTM) auf Twitter.
Das bedeutet, dass sich die neue Variante bei Neuinfizierten aus dem November womöglich nur deshalb so häufig in jüngeren Altersgruppen findet, weil die Viren in diesem Zeitraum vor allem in Schulen Gelegenheit zur Verbreitung hatten – nicht weil B.1.1.7 irgendwelche neuen Fähigkeiten hätte, Kinder besser zu infizieren als Ältere. Dafür sprechen die Analysen von drei anderen Expertengruppen von „Public Health England“, dem „Office for National Statistics“ und der LSHTM-Gruppe um Davis, deren Datengrundlagen teils bis in Woche 52 reichen und zu dem Ergebnis kommen, dass sich die neue Virusvariante in allen Altersgruppen gleich gut verbreitet.
Das bedeutet aber keinesfalls Entwarnung für die Situation an Schulen. Bessere Eindämmungsmaßnahmen seien vor allem in Sekundarschulen nötig, da man wisse, dass Teenager (älter als 15 Jahre) die gleichen Übertragungsmuster haben wie Erwachsene, betont die Epidemiologin Muge Cevik von der University of St. Andrews. Auch Davies rät dazu, die Schulen (in Großbritannien) geschlossen zu halten. Denn bislang zeigen alle Analysen, dass die britische Virusmutante tatsächlich etwa 50 Prozent ansteckender ist.
Und das ist gefährlich, obwohl B.1.1.7 keine schwereren Krankheitsverläufe auslöst als ursprüngliche Sars-CoV-2-Viren - auch nicht bei Kindern und Jugendlichen. Denn wenn sich mehr Menschen anstecken, erkranken auch mehr, mehr rutschen in schwere Covid-19-Verläufe und mehr werden sterben. In Großbritannien plädieren daher viele Experten dafür, die Schulen jetzt geschlossen zu halten oder zumindest die Hygienemaßnahmen dort zu intensivieren.
Für Deutschland sollte das umso mehr gelten. Denn hierzulande haben wir praktisch keine Ahnung, wie verbreitet B.1.1.7 inzwischen ist, weil eine Überwachung (also ständige Genom-Sequenzierung) der Virusvarianten sträflich vernachlässigt wurde.
Eine Öffnung der Schulen, zumal mit den bisherigen, eher lausigen Schutzmaßnahmen für Lehrende und Lernende, wäre daher ein Blindflug. Insbesondere vor dem Hintergrund, dass etwa 50 Prozent der Neuinfektionen bei Kinder in Sekundarschulen und bis zu 70 Prozent an Grundschulen keine Symptome zeigen, obwohl sie das Virus tragen und daher seltener getestet und als potentielle Überträger erkannt werden, so eine Schätzung des Epidemiologen Michael Hibberd von der LSHTM.
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