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Es könnte noch voller als sonst werden, wenn Schüler ohne Einwilligung der Schule ein Jahr wiederholen können.
© Kitty Kleist-Heinrich

Berliner Schulen könnten „implodieren“: Schulleitungen befürchten massenhafte Corona-Ehrenrunden

Erst fünf Verbände, nun mehr als 30 Schulen aus Friedrichshain-Kreuzberg: An der geplanten Erleichterung des freiwilligen Sitzenbleibens gibt es viel Kritik.

Kurz vor der Abstimmung im Parlament haben sich weitere Berliner Schulen dem Protest gegen die von Rot-Rot-Grün beabsichtigte Erleichterung des freiwilligen Sitzenbleibens angeschlossen. Nachdem bereits fünf Schulleiterverbände sowie der Landeselternausschuss vor den Folgen gewarnt hatten, wandten sich auch mehr als 30 Schulen aus Friedrichshain-Kreuzberg mit einem eigenen Schreiben an die Koalition.

Es erfülle sie „mit Sorge“, wenn jeder Schüler unabhängig von der Einschätzung der Lehrkräfte freiwillig ein Schuljahr wiederholen könne, schreiben die Schulleiter:innen von Grundschulen, Sekundarschulen, Gymnasien und Gemeinschaftsschulen. Es drohe wegen des Personal- und Raummangels eine „katastrophale Situation“, das System werde „verstopfen und implodieren“.

Die Gesetzesänderung soll an diesem Donnerstag beschlossen werden. Sie gehört zu einem größeren Paket mit Regelungen, die alle befristet für dieses Schuljahr gelten. Die Senatsverwaltung für Bildung wollen damit auf den Wegfall von Unterricht durch die Corona-bedingten Schulschließungen reagieren: Die neue Sitzenbleiberregelung gehörte nicht dazu, sondern wurde von den Fraktionen ergänzt.

"Die Planbarkeit würde verloren gehen, wenn ein unkontrolliertes, beliebiges Wiederholen ermöglicht würde", schreiben due Schulleitungen. Es gebe weder genug Lehrkräfte, noch Schulplätze, noch Räume. Es könne "in niemandes Interesse liegen, offenen Auges in solch ein Chaos zu steuern".

Zudem zeigen sich die Schulleitungen "höchst irritiert darüber, dass den Schulen offensichtlich jede Beratungs- und Entscheidungskompetenz abgesprochen wird". Zwar solle nach dem Willen der Koalition ein Beratungsgespräch obligatorisch sein, das Ergebnis aber "keinerlei Einfluss auf die Entscheidung haben". Das zeugt von einem "ungeheuren Ausmaß an Misstrauen gegenüber den Schulen".

Die Koalition verteidigt das Vorhaben

Wie berichtet, hatten die Bildungsexpertinnen der Koalition ihr Vorhaben am Dienstag vereidigt, das auch bereits vom Deutschen Lehrerverband ins Gespräch gebracht worden war. Der Vorstoß müsse jetzt als Chance begriffen werden, sich des gesamten Problems der verlorenen Lernzeit zu stellen: „Wir dürfen nicht so tun, als wäre es mit ein bisschen Ferienschule getan“, forderte Stefanie Remlinger von den Grünen.

Im übrigen gehe sie davon aus, dass sich Familien durchaus offen beraten lassen würden, sagte Remlinger. Es sei ihr aber wichtig, „dass Familien nicht das Gefühl bekommen, dass ihre Kinder einfach in die nächste Klasse weitergeschoben werden, weil in ihrer Schule Räume und Personal zum Wiederholen fehlen“.

Lieber das Schuljahr verlängern?

Auch Maja Lasic von der SPD findet, dass jetzt der Zeitpunkt sei, um die Debatte über die Kompensationsmöglichkeiten der verlorenen Lernzeit zu führen. Vorschläge wie den, das Schuljahr bis Dezember zu verlängern, halte sie für in der Kultusministerkonferenz nicht durchsetzbar. Deshalb müsse man Wege finden, die ohne eine bundesweite Einigung gangbar seien.

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Unmittelbarer Anlass für die Gesetzesänderung war ein Vorhaben von Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD): Sie hatte einen eigenen Antrag eingebracht, um einige Pandemie-bedingte Sonderregelungen zum aktuellen Schuljahr rechtlich abzusichern. Dazu gehörte auch die Verlängerung des Probezeit am Gymnasium um ein Jahr bis zum Ende der achten Klasse.

Der Deal mit der Probezeit am Gymnasium

Die Grünen und die Linke wollten diese Verlängerng nicht mittragen, sondern hatten dafür plädiert, den diesjährigen Siebtklässlern die Probezeit gänzlich zu erlassen. Darin wollte die SPD nicht mitgehen, weshalb die Gefahr bestand, dass Scheeres' Antrag keine Mehrheit finden würde. Auf der Suche nach einem Kompromiss kam es dem Vernehmen nach zu dem Vorschlag, die Zustimmung zu der Probejahrregelung an die Erleichterung des Sitzenbleibens für alle Schüler zu koppeln.

Warum das Wiederholen attraktiv sein könnte

Die Schulleiterverbände wollen sich nicht darauf verlassen, dass es ihnen mittels Beratung gelingt, Familien vom freiwilligen Sitzenbleiben abzuhalten, wenn es ihnen so leicht gemacht wird, wie es die Koalition plant. Sie befürchten beispielsweise, dass der Pandemie-bedingte Wegfall von Berufsberatung und von dualen Ausbildungsplätzen die Zahl der Wiederholer am Ende der zehnten Klassen in die Höhe treiben wird.

Unterzeichnet wurde der Brandbrief von der Interessenvertretung Berliner Schulleitungen (IBS), dem Verein Berufliche Bildung in Berlin (BBB), der GEW-Schulleiter-Vereinigung, der Vereinigung der Sekundarschulleitungen (BISSS) sowie der Vereinigung der Berliner Oberstudiendirektoren (VOB). Der VOB-Vorsitzende Ralf Treptow hatte tags zuvor in einem Gastbeitrag für den Tagesspiegel vor den Risiken der geplanten Sitzenbleiberregelung gewarnt.

Den Brief der fünf Verbände können Sie hier herunterladen, das Schreiben der Schulleitungen aus Friedrichshain-Kreuzberg hier.

Ein Schulleiterverband sieht "Panikmache"

Als einzige Berliner Schulleitervereinigung schloss sich der Zusammenschluss der Gemeinschaftsschulleitungen (GGG) nicht dem Brandbrief an. In einem Schreiben an die Mitglieder räumte der Vorsitzende Robert Giese zwar ein, dass es zu "Verwerfungen" kommen könne wie "zum Teil übervolle Klassen" in einzelnen Jahrgängen, neu einzurichtende Klassen, eine "unter Umständen zunehmende prekäre Raumsituation" sowie der "Verlust von Sozialbeziehungen für Kinder und Jugendliche, die tatsächlich ihre Klassen oder Stammgruppen verlassen".

Dennoch könne er "eine gewisse Panikmache nicht nachvollziehen", schreibt Giese weiter. Er sei "überzeugt davon, dass die Beratung an Schulen, an denen Klassenräte und Lernentwicklungsgespräche selbstverständlich sind, in den allermeisten Fällen dazu führen werden, dass Schüler:innen und deren Eltern das Zutrauen gewinnen, es ohne Wiederholung mit unserer professionellen Unterstützung zu schaffen".

Ungeachtet dieses beschwichtigenden Schreibens von Seiten des GGG gehören zu den Unterzeichnern des jüngsten Brandbriefes aus Friedrichshain-Kreuzberg auch die Leiter der Carl-von Ossietzky- sowie der Lina-Morgenstern-Gemeinschaftsschule.

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