Berliner Schulen in der Coronakrise: Rot-Rot-Grün streitet über das Probejahr an Gymnasien
Grüne und Linke fordern, dass während der Pandemie das Verfahren ausgesetzt wird. Senatorin Scheeres will die Probezeit auf zwei Jahre verlängern.
Der vorgezogene Wahlkampf zwischen den Koalitionsfraktionen macht sich auch im Schulbereich bemerkbar. Nachdem sich Vertreter von Rot-Rot-Grün am Dienstag einen Schlagabtausch zum Neutralitätsgesetz geliefert hatten, ging es am Mittwoch gleich mit dem nächsten Reizthema weiter, und zwar dem Probejahr am Gymnasium.
Die Bildungspolitikerinnen von Grünen und Linken drohen damit, eine Gesetzesänderung zu blockieren, die Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) am Donnerstag ins Abgeordnetenhaus einbringen will. Dabei geht es um die Verlängerung des Probejahres: Die Entscheidung soll nicht Ende der siebten Klasse, sondern erst nach Klasse 8 fallen. So wurde es schon im Vorjahr gehandhabt, um den betreffenden Jugendlichen zusätzliche Härten zu ersparen.
Zwar passierte die entsprechende Gesetzesvorlage den Senat am Dienstag. Die bildungspolitischen Sprecherinnen der Linken, Regina Kittler, und der Grünen, Marianne Burkert-Eulitz, wollen aber nicht zustimmen, sondern ganz auf die Probezeit verzichten.
Dies entspricht seit langem der Agenda der Linken, die auf eine Schule für alle hinsteuert und deshalb programmatisch alles ablehnt, was die Unterschiede zwischen Gymnasien und Sekundarschulen manifestiert. Die Grünen haben sich noch nicht so klar wie die Linke festgelegt, plädieren aber dafür, zumindest unter Pandemiebedingungen auf das Probejahr zu verzichten.
Betroffen von einem Wegfall wären vor allem große Gymnasien, die so viel Platz haben, dass sie von den Schulämtern gezwungen werden, viele Siebtklässler ohne Gymnasialempfehlung aufzunehmen. Sie müssten dann bis zu 50 Jugendliche, also zwei Schulklassen, behalten, die dem Stoff der Gymnasien nicht gewachsen sind. Allerdings schwankt die Zahl der so genannte Rückläufer stark von Bezirk zu Bezirk und unter den Schulen von null bis eben rund 50.
Die SPD erwägt Probeunterricht
"Man sollte die Herausforderung der Pandemie nicht instrumentalisieren für die eigene Agenda", kommentierte ein Sprecher der Bildungsverwaltung das Vorgehen der Koalitionspartner. Auch in der SPD-Fraktion gab es ablehnende Reaktionen: Die rot-grünen Bildungspolitikerinnen wollten offenbar "Präzedenzfälle schaffen, um nachher argumentieren zu können, dass es auch ohne Probejahr geht", hieß es.
Wie berichtet, hat sich die SPD im Entwurf für das Wahlprogramm in der Frage der Übergangsregelung zum Gymnasium noch nicht festgelegt. Erwogen wird eine Alternative zur Probezeit, etwa ein Probeunterricht oder Aufnahmeprüfungen wie in Brandenburg, erläuterte zuletzt Bildungsexpertin Maja Lasic.
"Da können sich individuelle Dramen abspielen"
"Wir halten die Abschaffung der Probezeit für den falschen Weg", sagte die Leiterin des Gymnasiums Tiergarten, Cynthia Segner auf Anfrage. Schon die im Vorjahr beschlossene Pandemie-bedingte Verlängerung der Probezeit in die achte Klasse sei ein Problem, weil dort eben der Rahmenplan der achten Klasse erarbeitet werden müsse. Da könnten sich "trotz aller Unterstützung von uns und anderen individuelle Dramen abspielen".
Sekundarschulen wollen keine "Rückläufer"
Die "Dramen" sehen Sekundarschulleiter eher woanders und zwar bei den rund 500 Schülern, die die Gymnasien verlassen müssen und sich dann zum Teil in so genannten "Rückläuferklassen" wiederfinden - also in Klassen, die ausschließlich aus Schülern bestehen, die das Probejahr nicht schafften: Da viele Sekundarschulen keine Plätze in ihren eigenen achten Klassen frei haben, werden immer wieder Rückläuferklassen gebildet.
Das Problem der Rückläuferklassen entstand mit der Sekundarschulreform und der Verlängerung der Probezeit von einem halben auf ein volles Jahr.
Susanne Vieth-Entus