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Berliner Lehrer. Sebastian Schmidt fordert mehr Wertschätzung für Quereinsteiger ein.
© Michele Galassi

Quereinsteiger in Berlin: Lehrer auf Umwegen

Ohne sie geht es an Berliner Schulen nicht mehr: Immer mehr Quereinsteiger unterrichten. Viele sind gut qualifiziert und hoch motiviert. Manchen fehlt aber Unterstützung. Drei Beispiele.

Sebastian Schmidt, 37, kann es nicht mehr hören – das Lamento über Quereinsteiger. Entschlossen sitzt er mit seinem aufgeklappten Laptop in einem Café am Lietzensee, um mal seine Sicht der Dinge darzulegen. Und diese Sicht ist geprägt von dem, was er erlebt hat: Englischstudium in Gießen, erstes Staatsexamen, dann etwas ganz Anderes – bis Berlin 2014 anfing, Quereinsteiger zu suchen. Also kam Schmidt zum Berlin-Tag, stellte sich schließlich vor eine Klasse, machte sein berufsbegleitendes Referendariat – und hörte auf, ein Quereinsteiger zu sein.

Dennoch fühlt Schmidt sich jedes Mal gewissermaßen persönlich angegriffen, wenn der Quereinstieg medial in einem negativen Kontext thematisiert wird: Weiß denn niemand, dass auch Quereinsteiger richtige Lehrer sind?! Lehrer eben, die sich ihre Qualifikation einfach nur auf einem anderen Weg angeeignet haben?! Als wenn er nicht auch wüsste, wie guter Unterricht geht! Als wenn er sich nicht damit auseinandergesetzt hätte! Schmidt deutet auf seinen Laptop, auf dem er die „zehn Merkmale guten Unterrichts“ aufgerufen hat.

Mit über 40 zum Traumberuf

Neben Schmidt sitzt Marion Melcher*, die ihren richtigen Namen nicht in der Zeitung lesen will, denn bei manchen Eltern ist es besser, wenn sie nicht wissen, dass ihr Kind von einer Quereinsteigerin unterrichtet wird. Melcher ähnelt Schmidt – in ihrer Begeisterung, mit der sie über ihren „Traumberuf“ spricht. Sie ist 45, und ihre drei Kinder hat sie während ihrer zehnjährigen Arbeit als selbständige PR-Beraterin bekommen. Da erst war sie soweit, sich zum selben Beruf zu bekennen, den ihre Eltern ihr vorgelebt hatten – und wurde auch Lehrerin.

„Ich habe gekämpft und oft abends geweint, und dennoch hatte ich ein positives Gefühl in diesem Beruf“, sagt Melcher. Nicht nur, weil sie merkte, dass sie ihre Berufung gefunden hatte, sondern auch, weil sie viel Hilfe bekam: Da war der gute Draht zur Schulleiterin, da waren die Lehrer ihrer Kinder, zu denen sie immer wieder mit konkreten Fragen kommen konnte. Melcher betont, dass Quereinsteiger für viele Schulen auch eine Chance sein können, weil sie mal einen anderen Blick hätten.

Schwer war die Sache mit der Mathematik. Denn Melcher hatte Englisch als Hauptfach studiert, Politik und Pädagogik als Nebenfächer, aber nun sollte sie Mathe unterrichten – wohl wissend, dass man, vor allem im Anfangsunterricht, viel kaputt machen kann, wenn man Kinder den Zugang zum Zahlenverständnis verbaut. Also hat sie geackert, hat jede einzelne Stunde akribisch vorbereitet, hat Fachliteratur gewälzt, im Netz recherchiert, mit hilfsbereiten Kollegen gesprochen und „sehr viel mitgenommen aus den Fachseminaren“.

Ein Lob auf die Fachseminare

Die Fachseminare sind das Herzstück des Referendariats: Hier wird den künftigen Lehrern vermittelt, wie man man den erlernten Stoff aus dem Studium praktisch in Unterricht verwandelt. Wenn die Fachseminare gut sind, betonen Schmidt und Melcher, ist das ein ziemlich sicherer Weg, aus den Quereinsteigern, die da sitzen mit ihren Diplomen, Master- oder Magistertiteln in der Tasche, gute Lehrer zu machen. Aber was, wenn es keinen Seminarleiter gibt, der einem den Weg in den Unterricht ebnet?

Wie sich das anfühlt, wissen all jene Quereinsteiger, die Woche für Woche 18 Stunden vor der Klasse stehen müssen, ohne zeitgleich mit dem berufsbegleitenden Referendariat beginnen zu können. So wie Katrin Lindner*, die nur ein einziges Fach studiert hatte: Sport. Und die deshalb zunächst Mathematik und Deutsch nachstudieren muss, bevor sie das Referendariat mit seinen hilfreichen Seminaren, mit den Unterrichtsbesuchen und dem Fachaustausch beginnen kann. Lindner hatte im Februar als Quereinsteigerin angefangen – und erlebte Momente, in denen hilflos vor Sechs- und Siebenjährigen stand, auf deren Fragen sie beschämt antworten musste „Ich weiß es nicht“.

"Man ließ mich ins offene Messer laufen"

Lindner, Diplom-Sportwissenschaftlerin, alleinerziehend, erfolgreich als selbstständige Dozentin, unterrichtet an einer Integrierten Sekundarschule. Ihrem ersten Beruf hat sie den Rücken gekehrt, um mehr Zeit für ihren zehnjährigen Sohn zu haben. Sie wollte einen Job mit familienfreundlichen Zeiten. Und bekam einen Job, bei dem sie das Gefühl hatte, „man ließ mich ins offene Messer laufen“.

Irgendwie war alles verkorkst – von Anfang an. Bei ihrer ersten Sportstunde wusste nicht mal, wo der Schlüssel für die Turnhalle war. Von den Schlüsseln, die sie bekommen hatte, passte keiner. Kinder mussten ihr sagen, dass der Schlüssel im Sekretariat hängt. „Das war natürlich peinlich“. Sie wusste auch nicht, wie das Licht angeht, wo die Geräte stehen, wie viele Kinder eine Matte tragen dürfen, sie wusste eigentlich gar nichts. Hilfe von Kollegen? Sie war allein im Sportunterricht.

So war das nicht besprochen. Der Senatsmitarbeiter bei der Einstellung hatte ihr mitgeteilt, dass sie Sport unterrichte und in anderen Fächern, von denen sie keine Ahnung hatte, mit erfahrenen Kollegen im Unterricht stehe. „Ich sollte hospitieren“. Und klar war auch, dass sie vom Schuljahr 2018/19 an die beiden fehlenden Fächer nachstudieren muss, bevor das Referendariat beginnt. Aber an ihrem ersten Schultag erhielt sie im Lehrerzimmer lediglich ihren Stundenplan für Kinder der Klassen eins bis drei – eine jahrgangsgemischte Klasse. Sie sollte die Sprachförderung übernehmen und war für den Mathematik- und Deutschunterricht eingeteilt. Sie fand weder Materialien noch gab ihr jemand Unterlagen.

Schon am dritten Tag allein vor den Schülern

In ihrem Deutsch- und Mathematikunterricht sowie in der Sprachförderung unterrichteten an diesem Tag erfahrene Lehrer, immerhin. Das sollte sich allerdings schnell ändern. Schon am dritten Tag stand die Sportwissenschaftlerin in der Sprachförderung allein vor acht bis zwölf Schülern, sechs bis zwölf Jahre alt, die Deutsch mit unterschiedlichem Niveau sprachen. „Was soll ich denn mit denen machen?“, fragte sie Kollegen. Die Antwort lautete: „Da können Sie alles machen“. Das tat sie dann auch.

Aber in Mathe funktionierte das nicht, und so bekam Lindner ihr erstes großes Problem. Die Sportexpertin, die in ihrer Schulzeit ab der siebten Klasse stets eine Fünf in Mathematik gehabt hatte, war sowohl fachlich als auch pädagogisch völlig überfordert.

Zu Problem eins kam Problem zwei. In der zweiten Woche stand sie ganz allein vor der Klasse. Sie musste die reguläre Mathematiklehrerin vertreten. Die Kinder hatten ein Heft, es war klar, welche Seiten in einer Woche bearbeitet werden mussten, aber die verzweifelte Lehrerin wusste nicht wie. Die Kinder hatten Begriffe gelernt, die ihre Lehrerin nicht kannte, sie hatten Lösungsschritte, die Katrin Lindner völlig neu waren. Und die Aufgabenstellungen waren oft unverständlich. Deshalb erklärte Katrin Lindner sehr bald jenen Zweitklässlern, die fragten: „Was sollen wir bei dieser Aufgabe machen?“ ebenso fatalistisch wie entwaffnend: „Ich weiß es nicht.

"Nicht alle über einen Kamm scheren"

Sebastian Schmidt und Marion Melcher kennen solche Geschichten. Und sie wissen, dass es solche Geschichten sind, die das negative Bild des Berliner Quereinstiegs bestimmen. Sie wissen auch, dass es Fälle gibt, in denen Quereinsteigerinnen wie Katrin Lindner sogar als Klassenlehrerinnen eingesetzt werden. Zudem berichten Schulleiter, dass es Klassen gibt, die am Schuljahresende bei den Vergleichsarbeiten schlechter abschneiden als die Mitschüler - offenkundig weil ihre Lehrerin Quereinsteigerin ist. Aber Schmidt betont: "Jeder Ausbildungsweg, der dazu führt, dass Menschen zu guten Lehrpersonen ausgebildet werden, muss seine Daseinsberechtigung haben". Ein großer Vorteil der berufsbegleitenden Lehrerausbildung sei "der hohe Anteil an Praxis und an echter Lernzeit für die Auszubildenden."

Schmidts und Melchers Appell lautet: Nicht alle über einen Kamm zu scheren. Die Einarbeitung der Quereinsteiger verbessern. Denn: Es wird in Berlin auf lange Sicht nicht ohne Quereinstieg gehen. Darum sollte man zumindest das Beste daraus machen und nicht auch noch jene Quereinsteiger schlecht reden, die gute Arbeit machen. Dass sie schlechtere Lehrer sein sollen, wurde bisher jedenfalls noch nicht bewiesen, wie gerade erst Forscher einer Bertelsmannstudie schrieben.

*Name von der Redaktion geändert

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