Interview zum Lehrermangel: „Das mit den Quereinsteigern kann auch schief gehen"
SPD-Bildungspolitiker Lars Oberg und Lehreraktivist Florian Bublys über Chancen und Risiken von Seiteneinsteigern in Schulen.
Berlin muss um Quereinsteiger werben, weil ein paar hundert Lehrer zum Sommer fehlen werden. War das nicht vermeidbar?
Lars Oberg: Wir haben immer diese Zyklen: Manchmal müssen sehr viele Lehrer auf einmal eingestellt werden und gehen dann eben auch gleichzeitig in Pension. Jetzt sind wir solcher Phase.
Das wusste man doch seit Jahren!
Oberg: Das wusste man, und es wurde auch schon vor Jahren etwas dafür getan, dass mehr Lehrer nach Berlin geholt werden. Aber es reicht offenbar nicht.
Florian Bublys: Ich halte das für ein schulpolitisches Versagen. Vorausschauende Personalplanung scheint in der Bildungsverwaltung unmöglich zu sein, stattdessen wird Flickschusterei betrieben.
Herr Oberg, Berlin bietet den Quereinsteigern unbefristete Stellen. Diese Stellen werden dann auf Jahrzehnte blockiert sein, und die ausgebildeten Lehrer werden in ein paar Jahren auf der Straße stehen.
Oberg: Wir brauchen die Quereinsteiger heute, und darum müssen wir ihnen eine klare Perspektive bieten. Wir müssen verhindern, dass es Notlehrer werden. Die Qualifikation muss im Vordergrund stehen.
Was wir bisher über die Qualifikation der Quereinsteiger wissen, ist ja noch nicht so viel. Die Quereinsteiger unterrichten sofort – ohne Vorbildung allein in einer Klasse.
Oberg: Die Unterrichtsverpflichtung ist bei den Quereinsteigern, die ein berufsbegleitendes Referendariat machen, mit 19 Stunden pro Woche zu hoch. Es ist paradox, wenn diese Quereinsteiger mehr unterrichten sollen als die regulären Referendare, die direkt aus dem Lehramtsstudium kommen.
Ein zusätzliches Problem sind die Bewerber, denen nicht nur das Referendariat fehlt, sondern auch das zweite Fach, das dann noch berufsbegleitend studiert werden soll, bevor das Referendariat kommt.
Oberg: Diese Bewerber werden wir nur in sehr kleinem Umfang nehmen. Ich kann mir das nur für ganz wenige Fächer vorstellen, etwa für Musiklehrer an Grundschulen. Die Verwaltung muss einen ganz engen Rahmen vorgeben.
Bublys: Mich würde mal interessieren, wie diese berufsbegleitenden Studien überhaupt organisiert werden.
Die nächste Baustelle besteht darin, dass allen regulären Lehramtsstudenten angeboten wird, das berufsbegleitende Referendariat zu absolvieren.
Oberg: Die Referendare wissen genau, worauf sie sich einlassen, wenn sie das berufsbegleitende Referendariat wählen. Für einige ist die zusätzliche Bezahlung wichtig, vielleicht weil sie eine Familie zu finanzieren haben. Aber zu sagen, alle Referendare sollten das berufsbegleitend machen, hielte ich für unverantwortlich.
Bublys: Über 500 Bewerber haben dieses Angebot bekommen, doch bitte berufsbegleitend die Ausbildung zu machen. Die Qualität spielt für die Senatsverwaltung eine untergeordnete Rolle.
Oberg: Ich habe das nicht als Werbung verstanden. Die Leute wurden nicht gedrängt, sie wurden nur auf das Angebot hingewiesen. Es ist richtig, dass die Senatorin jetzt alle Möglichkeiten nutzt.
Bublys: Dieser Brief ist doch kein Gedicht, dass man erst interpretieren muss. Die Tatsache, dass diese Briefe verschickt werden, weckt doch den Gedanken, dass es vielleicht sinnvoller ist, das Referendariat berufsbegleitend zu machen, weil sie damit gleich die Einstellungsgarantie bekommen. Es wird zuungunsten der Qualität der Ausbildung in Kauf genommen, um damit quantitativ Lehrerstunden abzudecken.
Es gibt aber noch ein weiteres Problem: Die Bildungsverwaltung verlangt nur 20 Semesterwochenstunden für das Zweitfach. Das entspricht einem Semester.
Oberg: Man muss den Einzelfall sehen, man muss sehen, welches Erstfach studiert wurde und wo es Überschneidungen zum Zweitfach gibt. Zudem muss es eine entsprechende Steuerung beim Einsatz dieser Lehrer geben.
Bublys: Schulleiter, Seminarleiter, Lehrer und Universitäten machen sich große Sorgen über die hohe Unterrichtsverpflichtung für Quereinsteiger.
Oberg: Ich kann jeden verstehen, der sich Sorgen macht. Ich mache mir auch Sorgen. Das ist ein schwieriger Prozess. Das kann auch schiefgehen.
Bublys: Was wird denn von dem Vorschlag von „Bildet Berlin“ gehalten, dass Quereinsteiger zunächst ein vierwöchiges Probepraktikum absolvieren, damit sie wissen, was auf sie zukommt?
Oberg: Diese Idee finde ich gut. Das würde die Abbrecherquoten senken. Aber das klappt dieses Jahr nicht mehr. Was klappen könnte ist, dass wir den Quereinsteigern vor Vertragsunterzeichnung die Möglichkeit geben, sich für eine Woche in den Schulen umzusehen, damit sie wissen, worauf sie sich einlassen.
Wollen Sie das Frau Scheeres vorschlagen?
Oberg: Ja. Das ist leicht vorgeschlagen und auch nicht schwer gemacht.
Die Quereinsteiger haben sechs Monate Probezeit. Wenn ein Direktor merkt, dass jemand ungeeignet ist: Woher soll er den Mut nehmen, ihn rauszusetzen, wenn er absehbar keinen Ersatz findet? Es müsste für diese Fälle einen Personalpuffer geben.
Oberg: Frau Scheeres sollte versuchen, einen Puffer zu bekommen. Und damit es für die Quereinsteiger kein Höllenritt wird, sollte man nicht 19 Stunden Unterrichtsverpflichtung festschreiben, sondern weniger und dann auch weniger Geld geben. Außerdem brauchen die Quereinsteiger Lehrer als Mentoren. Wir brauchen in den Schulen ein Bewusstsein dafür, dass man Probleme gemeinsam lösen kann.
Bublys: Zuallererst brauchen die Lehrer Wertschätzung. Davon war in den letzten Jahren nichts zu merken.
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