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Grundschüler sitzen im Klassenraum und melden sich, vorne steht eine Lehrkraft.
© Peter Steffen/dpa

Debatte um Quereinsteiger in den Schulen: „Vier Stunden ordentlichen Unterricht, dann nach Hause“

Grundschulexperte Jörg Ramseger lehnt Unterricht in Deutsch und Mathe durch nicht qualifizierte Quereinsteiger ab. Da solle man die Kinder lieber nach vier, fünf Stunden nach Hause schicken.

Herr Ramseger, die meisten Quereinsteiger werden in der Grundschule eingesetzt. Was halten Sie davon?
Das Unterrichten in der frühen Kindheit ist eine hochqualifizierte Tätigkeit, die eine spezifische Ausbildung voraussetzt. Das gilt insbesondere für die Einführung in die Schriftkultur, in das mathematische Denken und in das Problemlösen in den Naturwissenschaften. Zudem gibt es in der Pädagogik – wie in jeder anderen Branche – kontinuierliche Entwicklungen: Die Kinder, ihre Umwelt und die Arbeitsbedingungen der Lehrkräfte verändern sich ständig. All das hat die Grundschulpädagogik reflektiert und in den Lehrveranstaltungen berücksichtigt. Wer davon nie etwas gehört hat, kann nur die Pädagogik der Vergangenheit, wie er sie aus der eigenen Schulzeit kennt, reproduzieren.

Nun wird nahezu jeder, der in der Grundschule unterrichten will, Schulanfänger kennen oder auf ihrem Weg begleitet und sich über Methoden etwa beim Lesen- und Schreibenlernen Gedanken gemacht haben.

Das ersetzt doch kein Studium! An der Universität haben die Studierenden fünf Jahre lang Zeit, zu erfahren, wie kleine Kinder denken, wie sie lernen und wie man moderne Lernumwelten gestaltet. Im Studium und in den Schulpraktika können die Studierenden aber auch für sich prüfen und überdenken, ob sie wirklich kleine Kinder unterrichten wollen und können. Diese Denkzeit fehlt den Quereinsteigern, die sofort handeln müssen.

Wurde denn schon Schaden angerichtet?

Viele Quereinsteiger neigen dazu, die Kinder zuzutexten. Dabei sollen die Grundschüler primär handlungsorientiert lernen – und das ist fachspezifisch höchst unterschiedlich zu organisieren. Wenn Quereinsteiger ohne Ausbildung den Kindern die Schriftsprache beibringen sollen, ist das so, als ob ein Rettungssanitäter plötzlich eine Herzoperation machen soll. Er kennt sich mit erster Hilfe und Reanimation bestens aus, aber niemand würde ihn auch nur als Assistenzarzt in den OP stellen. Der Quereinstieg ist wie eine Operation am offenen Herzen ohne jede Vorbereitung und ohne Methodenkenntnisse. Das Resultat: Wir werden eine Schülergeneration bekommen, die weder richtig lesen noch schreiben kann. Aber die Kinder haben nur eine Grundschulzeit, alle Versäumnisse sind später nur sehr schwer zu korrigieren.

Wie wirkt sich das konkret beim Schreibenlernen aus?

Es gibt im Großen und Ganzen vier höchst unterschiedliche Konzepte zur Einführung in die Schriftkultur. Man kann Lesen und Schreiben nach jedem dieser Konzepte erfolgreich unterrichten – wenn man es denn kennt und durchschaut. Wer nichts davon weiß, kann nur blind einer Fibel folgen und alle Kinder im Gleichschritt unterrichten. Diese Leute sind aber unfähig, Elemente verschiedener Methoden sinnvoll zu kombinieren und hinreichend differenzierte Lernangebote zu unterbreiten, obwohl die Kinder sich in ihren Voraussetzungen doch massiv unterscheiden.

Gelten Ihre Bedenken auch für Gymnasiallehrerkräfte in der Grundschule?

Jetzt, da dieser aberwitzige Personalmangel an der Grundschule herrscht, ist es allemal besser, man schult Gymnasialkräfte um, als Quereinsteiger aus anderen Berufen in der Grundschule einzusetzen. Die Studienräte haben wenigstens eine didaktische Grundausbildung, haben schon mal mit Jugendlichen gearbeitet und kennen die Schulgesetzgebung. Aber Deutsch und Mathematik in Klasse 1 und 2 sollte niemand anderes unterrichten als die dafür speziell ausgebildeten Fachkräfte.

Diese Forderung ist unrealistisch: Gerade solche Fachkräfte fehlen doch in der Grundschule!

Die Deutsch-, Mathematik- und Sachunterrichtslehrkräfte, die vorhanden sind, müssen konsequent vom Unterrichten in anderen Fächern entlastet werden. Jetzt unterrichten sie zusätzlich Englisch, Sport oder Musik. Englischlehrer aber könnten aus dem englischsprachigen Ausland angeworben werden, Musiklehrerinnen aus den Musikschulen, Sportlehrkräfte aus den Vereinen.

Hauptsache, die Kernfächer werden kompetent unterrichtet?

Ja, ansonsten setzt sich die massive Dequalifizierung des Lehramts und die Qualitätsminderung in der Bildung der frühen Kindheit fort. Ich halte es sogar für denkbar, in Grundschulen nur noch vier oder fünf Stunden ordentlichen Unterricht von qualifizierten Lehrkräften anzubieten und die Kinder dann nach Hause oder in den Hort zu schicken. Immer noch besser, als wenn sie von Menschen unterrichtet werden, die keine Ahnung von Entwicklungspsychologie und Didaktik haben. Allerdings führt das zu einer weiteren sozialen Segregation: Eltern, die es sich leisten können, schicken ihre Kinder dann erst recht in private Einrichtungen mit einer hochwertigen Ganztagsbetreuung. Die Große Koalition im Bund hat dies für alle Kinder versprochen. Garantieren kann sie bestenfalls eine ganztägige Bewachung.

Dennoch, ohne Quereinsteiger wird es nicht gehen. Welche Mindestanforderungen sollten gelten?

Das reformierte Quereinsteiger-Programm des Berliner Senats mit dem einwöchigen Crashkurs in Pädagogik und Didaktik, zwölf weiteren Doppelstunden und der achtwöchigen Patenschaft durch eine erfahrene Lehrkraft ist ein Notbehelf, der vorne und hinten nicht reicht. Selbst die fünf bis zehn Prozent Naturtalente unter den Quereinsteigern bräuchten in der Schule in den ersten zwei Jahren eine ganz enge kollegiale Begleitung. Für ein nachgeholtes Fachstudium ist der Q-Master der FU Berlin ein interessantes Modell. Die Studierenden bekommen ein ganz individuelles konzentriertes Kursangebot in kurzer Zeit. Diesen Modellversuch gibt es bislang nur für die Sekundarstufe, doch so etwas sollte es flächendeckend für alle Lehrämter gelten.

Ließe sich auch das reguläre Lehramtsstudium in dieser Weise beschleunigen?

Wir winken niemanden durch, um den Arbeitsmarkt zu bedienen. Wir sind auch erbost über das Angebot, das Berlins Schulsenatorin Sandra Scheeres den Masterstudierenden macht. „Unterrichten statt Kellnern“ ist zwar ein schlauer Slogan. Das wäre auch nicht falsch, wenn es um begleitetes Unterrichten gehen würde. Aber hier sollen die Studierenden vor der Praxisausbildung im Referendariat weitgehend selbstständig unterrichten und qualifizierte Lehrkräfte ersetzen. Das finde ich unverantwortlich.

Jörg Ramseger war bis 2016 Professor für Grundschulpädagogik an der FU. Ende 2017 war er Mitunterzeichner eines Aufrufs, der vor „unabsehbaren Folgen“ des Quereinstiegs warnte.

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