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Im Sportunterricht gibt Christian Wagner das Tempo vor.
© Thilo Rückeis

Lehrer im sozialen Brennpunkt: Der Quereinsteiger-Report

In Sport läuft es gut, in Erdkunde nicht so ganz: Seit sechs Wochen ist Christian Wagner Lehrer an einer Brennpunktschule. Bisher hat er seine Entscheidung nicht bereut. Aber Wohnmobile zu verkaufen war leichter.

„Herr Wagner, kann ich das Eis mit reinnehmen?“ Es ist 8.45 Uhr, und Simon hält in seiner rechten Hand eine schon nicht mehr ganz tiefgefrorene bräunliche Süßigkeit mit Cola-Geschmack, während er mit der Schulter die Tür offen hält. „Das ist doch keine Eishalle“, kontert der Gefragte, bevor er umringt von einer Horde Siebtklässler im Turnhalleneingang verschwindet.

Fitnessstrainer, Kaufmann, Lehrer - drei Stationen in Wagners Leben

Es ist Woche sechs im Quereinsteigerleben von Christian Wagner. Er ist einer von 300, die nach den Sommerferien ihren Lehrerjob angefangen haben, ohne das Vor-der-Klasse-Stehen je geübt zu haben. Wie läuft es so? Bei Wagner läuft es zunächst ganz gut an diesem Mittwoch. Er hat vor 25 Jahren Sport und Erdkunde studiert, danach ein Fitnessstudio mit aufgebaut und betrieben. In den letzten Jahren verdiente er – nach einer Ausbildung zum Kaufmann für Gebäudewirtschaft – sein Geld mit dem Vertrieb und Verkauf von Wohnmobilen. Aber er hat immer Sport gemacht, was man sofort merkt, während er mit 14 Jungen und einem Mädchen durch die Halle läuft – mal mit Fußball, mal ohne, aber immer in Bewegung.

Spaß am Sport. Wagner in der Turnhalle der Traven-Schule.
Spaß am Sport. Wagner in der Turnhalle der Traven-Schule.
© Thilo Rückeis

Eine Brennpunktschule mit allem, was dazu gehört

„Ich habe auch Schüler auf Skireisen begleitet“, erzählt Wagner noch, während er die Anwesenheitsliste vervollständigt. Die Stimmung ist gut, seine Siebtklässler machen mit bei den Konditionsübungen, die ihr Lehrer vormacht. „Herr Wagner ist voll nett“, sagt Pascal* der sonst eher zu den Störern zählt und dem man anmerkt, dass er etliche Probleme mit sich herumschleppt. Probleme haben viele der Schüler hier draußen am Falkenhagener Feld. Die B.-Traven-Schule ist eine soziale Brennpunktschule: schwieriges Umfeld, hohe Arbeitslosigkeit, etliche Heimkinder, Flüchtlinge. Als Konsequenz haben Direktor Arno de Vries und seine Kollegen den Weg zur Gemeinschaftsschule gewählt: Sie wollen einen Ganztagsbetrieb aufbauen, was ihnen für die Betreuung ihrer Schützlinge zusätzliches Personal verschaffen wird.

An der Spandauer Peripherie will kaum jemand arbeiten

Womit allerdings andere Schwierigkeiten beginnen, denn Sozialarbeiter und Lehrer tun sich schwer damit, ihren beruflichen Mittelpunkt an die Spandauer Peripherie zu verlegen. Darum ist Wagner hier: Die Schule schaffte es nicht, genügend ausgebildete Lehrer zu gewinnen und bekam sechs Quereinsteiger zugewiesen. Womit sich ein Teil des Problems löst, aber ein weiteres hinzukommt: Wer im Referendariat nicht gelernt hat, vor einer pubertierenden Klasse zu überleben, hat eine Menge nachzuholen.

Früher hat Wagner Wohnmobile verkauft und vermietet

Aufstellung zum Angriff aufs Tor: Wagner zeigt, wie's geht.
Aufstellung zum Angriff aufs Tor: Wagner zeigt, wie's geht.
© Thilo Rückeis

Ein lärmendes Knäuel zwischen den Tischen und kaum Unterricht

Das merkt man dann in der vierten Unterrichtsstunde. Erdkunde. Auch in diesem Fach hat Wagner seinen Magisterabschluss, aber das reicht eben nicht, wenn im Klassenraum zwei Dutzend zwölf- bis 15-jährige Jungen und Mädchen quatschen, rumgehen, mit dem Rücken zur Tafel sitzen oder sonst wie ihre Coolness zum Ausdruck bringen wollen. Wagner hat sich vorn an den Lehrertisch gesetzt. Schon das Überprüfen der Anwesenheit wird zur Herausforderung angesichts des lärmenden Knäuels zwischen den Tischen. Die erste Verwarnung ist bald fällig. Gefühlte 20 Minuten vergehen, bis alle ihr Buch und den Atlas an der richtigen Stelle aufgeschlagen haben. Es geht um Russland, es geht um Längen- und Breitengrade und darum, was eine physische Karte ist. „Man sieht die Gebirge“, weiß Janine, die dem Unterricht gefolgt ist, während andere durch den Raum laufen, weil sie kein Blatt dabei haben, auf dem sie die Umrisse von Russland aufzeichnen könnten, was Wagner ihnen als Aufgabe gegeben hatte.

Da war er wieder - der alte Berufswunsch: Lehrer

Der 53-Jährig, der deutlich jünger wirkt, hatte einen leichteren Job, solange er seine Wohnmobile in Schönefeld verkaufte. Hatte mit Erwachsenen zu tun, die wussten, was sie wollten. Alles in schönster Ordnung. Morgens hin, abends zurück, danach Ruhe. Aber im Hinterkopf war immer die Erinnerung an seinen alten Berufswunsch: Lehrer. Als er im Frühling erfuhr, dass sogar Sport zum Mangelfach erklärt worden war und deshalb Quereinsteiger gesucht wurden, war Wagner bereit für einen Neubeginn; und saß Mitte August bereits im Crashkurs für die Anfänger, wo das Einmaleins des Schulalltags besprochen wurde. Nach seinem ersten Schultag Ende August war Wagner guter Dinge: Die Kollegen hatten ihn „mit offenen Armen aufgenommen“, und für alle gab es eine Projektwoche zum Kennenlernen, berichtete er damals dem Tagesspiegel. Und jetzt?

19 Stunden Unterricht, sieben Stunden Seminar - ein harter Job

„Ich habe die Entscheidung nicht bereut“, sagt Wagner, als er nach der wenig ergiebigen Erdkundestunde im Lehrerzimmer sitzt. Natürlich weiß er, dass die Stunde nicht gut lief, aber er setzt auf das Referendariat, das er ja berufsbegleitend absolviert: Dreimal pro Woche besucht er mit den anderen Quereinsteigern und mit den regulären Lehramtsanwärtern die Fachseminare für Erdkunde und Sport, in denen es um die Didaktik, also um die Vermittlung des Stoffs an die Schüler, geht. Außerdem gibt es noch das Hauptseminar, in dem das übrige Handwerkszeug vermittelt wird: Elternarbeit, Schulrecht, Pädagogik und – besonders wichtig! – „Störung und Störungsbewältigung“. Die drei Seminare verteilen sich allerdings auf Mitte, Zehlendorf und Charlottenburg, was zusammen mit seinen 19 Stunden Unterricht in Spandau schon rein zeitlich eine ziemliche Herausforderung darstellt.

187 von 300 Quereinsteigern haben die Stundenzahl reduziert

Wagner gehört deshalb zu den 187 von 300 Quereinsteigern, die ihre Stundenzahl reduzieren wollen, auch wenn sie dann ein paar hundert Euro weniger verdienen. Es ist dann immer noch mehr Geld übrig als bei den regulären Referendaren, die nur neun Stunden unterrichten müssen. Wagner will es mit 15 Stunden versuchen. „Mir hilft die Berufserfahrung, ich halte das eher durch als die, die frisch aus der Universität kommen“, lautet Wagners Einschätzung nach den ersten sechs Wochen. Außerdem erhält er in seiner Schule Unterstützung: Um ihn und die anderen fünf Kollegen ohne Pädagogenausbildung kümmern sich ausgebildete Lehrer: Pro Quereinsteiger werden diesen Mentoren zwei Unterrichtsstunden erlassen. Auch pensionierte Kollegen stehen für Beratung bereit, ergänzt Schulleiter de Vries. Bislang sei das Feedback seiner Quereinsteiger „eher positiv“. Hingeschmissen hat noch keiner, und Christian Wagner sagt sogar: „Es macht Spaß“. Sein alter Berufstraum hat ihn bislang nicht enttäuscht.
*alle Schülernamen geändert

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