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Berlins Grundschüler haben pro Woche bis zu sieben Unterrichtstunden weniger als etwa die Hamburger Altersgenossen.
© Bernd Settnik/dpa-Zentralbild/ZB

Neues Schuljahr in Berlin: Mehr ungelernte Lehrer als je zuvor

Laut Gesamtpersonalrat hat jeder zweite neue Grundschulpädagoge in Berlin nicht auf Lehramt studiert. "Alle offenen Stellen sind besetzt", sagt die Bildungsverwaltung.

Wenn am 4. September das neue Schuljahr beginnt, bekommen es die Schüler mehr denn je mit ungelernten Lehrern zu tun: Nach Informationen des Gesamtpersonalrates (GPR) konnte nur jede zweite offene Stelle an den Grundschulen mit voll ausgebildeten Pädagogen besetzt werden: Die Quereinsteigerquote inklusive Lehrer ohne volle Lehrbefähigung (LovL) ist demnach auf 53 Prozent geklettert, wie der stellvertretende GPR-Vorsitzende Dieter Haase dem Tagesspiegel auf Anfrage mitteilte. Auf alle Schularten bezogen liege die Quereinsteigerquote bei den Neueinstellungen über 40 Prozent.

Die Bildungsverwaltung wollte die Zahlen weder bestätigen noch dementieren: Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) will sich am Donnerstag äußern. Haase hat die mehr als 2000 Einstellungen, die bis Mitte August erfolgten, analysiert. Dabei kam heraus, dass es weniger als 200 „echte“ Grundschullehrer für die rund 850 zu besetzenden Grundschulstellen gibt. Der Rest sind Oberschullehrer und eben die Quereinsteiger sowie Lehrer ohne volle Lehrerbefähigung, die unter Umständen noch geringer qualifiziert sind als Quereinsteiger. Oberschullehrer haben – ebenso wie die Quereinsteiger – den Nachteil, dass sie beispielsweise nicht wissen, wie man Kinder alphabetisiert. Das ist angesichts des hohen Anteils an Schülern mit anderen Muttersprachen besonders problematisch. Somit steigt das Risiko, dass keine ausreichenden Grundlagen für einen erfolgreichen Schulbesuch gelegt werden.

Zwar besuchen die Quereinsteiger im Idealfall ein berufsbegleitendes Referendariat, aber da sie parallel 19 Stunden unterrichten müssen, bleibt nicht viel Zeit, um sich auf die neue Herausforderung einzustellen: Diese Doppelbelastung führt inzwischen dazu, dass sich die Zahl der Durchfaller im Referendariat bei den Quereinsteigern laut Haase auf etwa zehn Prozent mehr als verdoppelt hat.

Jahr für Jahr mehr Quereinsteiger.
Jahr für Jahr mehr Quereinsteiger.
© Anna Schmidt

Steigende Schülerzahlen und Pensionierungswelle kamen zusammen

Der Lehrermangel in Berlin hat sich seit 2014 verschärft, als steigende Schülerzahlen und die Pensionierungswelle zusammenkamen – wobei der besonders starke Mangel im Grundschulbereich eine direkte Folge der stark beschränkten Ausbildungskapazitäten an den Universitäten ist: Die Wissenschaftsverwaltung hatte jahrelang zugelassen, dass FU und HU Tausende Bewerber abwiesen und fast nur Oberschullehrer ausbildeten. Dies führte dazu, dass es sich schon 2016 bei einem Drittel der neu eingestellten Grundschullehrer um Quereinsteiger handelte. Aus diesem Drittel wurden nun über 50 Prozent Lehrkräfte ohne abgeschlossene Lehrerausbildung.

Aber auch die Lage an den Ober- und Berufsschulen wird immer schwieriger. Hier wirkt sich der Fachlehrermangel besonders gravierend aus. Längst gibt es Schulen, in denen sich die wenigen verbliebenen ausgebildeten Fachlehrer – etwa in Mathematik – einer Mehrzahl von Seiteneinsteigern gegenüber sehen.

Der langjährige Personalrat Haase – er ist seit 1995 stellvertretender Gesamtpersonalratsvorsitzender – hat nicht nur die aktuellen Einstellungszahlen ausgewertet, sondern auch rückwirkend seit 2007 alle Quereinsteigerzahlen zusammengetragen: Sie summieren sich demnach auf mehr als 3500. „Inzwischen machen sie einen Anteil von 20 Prozent an allen in den letzten elf Jahren eingestellten Berliner Lehrern aus – ein bundesweiter Spitzenplatz", resümiert er.

Hinzu kommt, dass der Bedarf noch etwa bis 2021/2022 nicht über das Angebot an ausgebildeten Lehrkräften gedeckt werden kann, wie sich aus den Schülerprognosen und der Zahl der Lehramtsstudenten ergibt. Das Quereinsteigerproblem dürfte sich also noch verschärfen.

Dabei hat die Bildungsverwaltung schon jetzt viele „Reserven" aktiviert: Längst werden Lehrer gebeten, über die Pensionsgrenze hinaus zu arbeiten. Zudem wurde im In- und Ausland geworben, und es wurden die langjährigen Horterzieher mit DDR-Lehrerausbildung für untere Klassen (LuK-Lehrer) reaktiviert. Besonders kostspielig war zuletzt die Entscheidung, die nach neuer Studienordnung ausgebildeten Grundschullehrer ebenso zu besolden wie Oberschullehrer – mit rund 5100 Euro im Monat.

GEW verlangt bessere Besoldung für alle

An diesem Punkt sieht die Spitze der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) allerdings noch Nachbesserungsbedarf: Sie verlangt, dass nicht nur die neuen Lehrer, sondern auch die alten Lehrer und sogar die LuK-Lehrer, die in der Regel kein Abitur haben, in den Genuss der Höherbesoldung kommen sollen: Eine erste GEW-Kundgebung dafür gab es bereits vor den Ferien.

Auch Haase fände es wichtig, die Höherbesoldung über die frisch ausgebildeten Lehrer hinaus rasch auszuweiten: Auf diese Weise ließe sich nicht nur die Ungleichbehandlung in den Lehrerzimmern abstellen, sondern es könne auch vielleicht gelingen, die geringer besoldeten Lehrer aus dem übrigen Bundesgebiet nach Berlin zu locken: Sie könnten ihren Beamtenstatuts mitbringen und mehr verdienen als in Hamburg oder Bayern, denn bislang will nur Berlin den Grundschullehrern die höchste Stufe (A13) zahlen.

Da sich der Senat zu diesem Schritt noch nicht durchgerungen hat, meint die Vorsitzende des GPR, Marion Leibnitz, dass es „anscheinend auf politischer Ebene keine Konzepte gibt, die Qualität der Berliner Schule zu sichern bzw. wieder zu erhöhen“. Und sie betont, dass die Personalräte, „die das Dilemma der Einstellungen begleiten“, von der politischen Spitze erwarten, „gemeinsam mit allen Beteiligten in den Dialog über die Einstellungskrise im Berliner Schulsystem zu treten“. Dabei müsse es auch um eine Entlastung der Beschäftigten gehen.

Gesamtpersonalrat spricht von "dramatischer Notsituation"

Die Bildungsverwaltung äußerte sich nicht zu den Daten des Personalrats, wies aber darauf hin, dass unter den Quereinsteigern viele Willkommenslehrkräfte seien: „Das war ausdrücklicher Wunsch der Schulen“, sagt Sprecherin Beate Stoffers. Insgesamt sei zum neuen Schuljahr eine „sehr hohe Personenanzahl“ eingestellt worden: „Offene Stellen gibt es nicht mehr.“ Haase sagt dazu, dass „die bloße Zahl der Einstellung kein Anlass zum Jubel ist“. Angesichts der wenigen voll ausgebildeten Lehrkräfte unter den Einstellungen wäre „ein Eingeständnis der dramatischen Notsituation“ angemessener.

Wie berichtet, werden inzwischen selbst bei den Fachseminarleitern, also den "Ausbildern" der Lehrer, Abstriche gemacht: Die Voraussetzungen für diese Aufgabe wurden gesenkt, um alle Stellen besetzen zu können, was zuletzt für besonders viel Empörung sorgte.

Die Sache mit der Verbeamtung

Zu der Forderung der CDU und des Verbands Bildung und Erziehung (VBE), den Lehrermangel mit Hilfe der Wiederverbeamtung zu mildern, sagte Haase: Eine Verbeamtung könne zwar langfristig die Bewerberlage verbessern, aber dann gebe es in Berlin ohnehin wieder genug Lehrer, weil bis dahin die zusätzlich ausgebildeten Pädagogen in den Schulen angekommen seien. Für das Land Berlin mache die Rückkehr zur Verbeamtung daher wenig Sinn, so Haase.

Berlin ist neben Sachsen inzwischen das einzige Bundesland, das seine Lehrer nicht verbeamtet: Thüringen gehörte bislang auch dazu, hat im August 2017 aber mit der Verbeamtung begonnen, um den Lehrernachwuchs zu sichern. Sachsen diskutierte ebenfalls darüber, hat dann aber entschieden, es mit einem "Maßnahmepaket" zu versuchen: Statt der Verbeamtung bekommen die Lehrer andere Vergünstigungen - mehr Geld, weniger Arbeit - sowie eine Art "Buschzulage" wenn sie in entlegene Regionen wie die Oberlausitz gehen: Dort gibt es inzwischen laut MDR Schulen, die nur noch ein Viertel ihrer freien Stellen mit gelernten Lehrern besetzen können. Insgesamt, so die Bilanz zum Schuljahresbeginn, war jeder zweite neue Lehrer Seiteneinsteiger - prozentual also noch mehr als in Berlin.

Allerdings haben die Länder, die nicht verbeamten, in der Zukunft wesentlich mehr finanziellen Spielraum haben, da nur jeder zehnte Euro ihrer Personalausgaben für Ruhegehälter und Krankenkostenzuschüsse der Beamten fällig ist: In den Bundesländern mit verbeamteten Lehrern ist es schon jeder dritte Euro. Zudem tut es den gesetzlichen Renten- und Sozialkassen gut, wenn eine so große Berufsgruppe wie die Lehrer zu den Einzahlern gehört.

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