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Vater und Ziehsohn? Alexander Gauland (links) überließ mit seinem Wechsel in den Bundestag seinem Kronprinzen Andreas Kalbitz (rechts) die AfD in Brandenburg.
© imago images / photothek

Alexander Gauland und sein Erbe: „In der Brandenburger AfD ist der Flügel längst der ganze Vogel“

„Verflügelt“ und verstrickt – warum die AfD Brandenburg vom Verfassungsschutz als rechtsextremistisch eingestuft und beobachtet wird. Eine Bestandsaufnahme.

Keine Distanzierung vom rechtsextremistischen Partei-„Flügel“, Verstrickungen mit der „Identitären Bewegung“ und dem rechtsextremistischen Verein „Zukunft Heimat“ – nach langer Auswertung aller bisherigen Erkenntnisse stuft der Brandenburger Verfassungsschutz den AfD-Landesverband als Verdachtsfall ein.

Jenen Landesverband, der von Alexander Gauland 2014 erstmals in den Landtag geführt wurde. Seit 2017 ist Gauland Co- Chef der AfD-Bundestagsfraktion, seinen Kronprinzen Andreas Kalbitz ließ er stets gewähren, als der die AfD in Brandenburg immer weiter auf „Flügel“-Kurs an den äußersten rechten Rand führte.

Der seit Februar amtierende Leiter der Verfassungsschutzabteilung im Brandenburger Innenministerium, Jörg Müller, hatte bereits vor der „Verflügelung“ der Landes-AfD gewarnt. Gemeint ist der Einfluss des „Flügels“, geführt von Kalbitz und Thüringens Parteichef Björn Höcke.

Beide wurden seit Herbst vom Bundesverfassungsschutz außerhalb ihrer parlamentarischen Arbeit beobachtet. Grundlage dafür war die Anfang 2019 vorgenommene Einstufung des „Flügels“ als Verdachtsfall. Im März 2020 stufte der Bundesverfassungsschutz den „Flügel“ zum vollständigen Beobachtungsfall herauf, was den Einsatz von V-Leuten möglich macht. Dies und der Druck aus dem AfD-Bundesvorstand führten zur vorgeblichen „Flügel“-Auflösung.

Verfassungsschutz: "AfD hat biologisch-rassistisches Weltbild"

Doch Müller hält die Auflösung für vorgeschoben, den „Flügel“ für weiter aktiv. Am Montag trat der Abteilungsleiter in der Potsdamer Staatskanzlei vor die Presse und erklärte: „Aktuell sehen wir mit großer Sorge, welchen Weg die AfD in Brandenburg eingeschlagen hat. Es liegen hinreichend gewichtige tatsächliche Anhaltspunkte dafür vor, dass von ihr Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung ausgehen.“

Und das, obwohl der bisherigen Führungsfigur Kalbitz die Mitgliedschaft vom Bundesparteivorstand entzogen wurde. „Rechtsextremisten stellen sich über andere und wollen darüber entscheiden, wer oder was zu Deutschland gehört und was nicht“, sagte Müller. „Die AfD Brandenburg vertritt ein sogenanntes ethnopluralistisches Weltbild, welches in Wirklichkeit ein biologisch-rassistisches ist.“

In vertrauter Runde: Alexander Gauland, Andreas Kalbitz und Björn Höcke (von rechts) im Dezember 2017 beim AfD-Bundesparteitag in Hannover.
In vertrauter Runde: Alexander Gauland, Andreas Kalbitz und Björn Höcke (von rechts) im Dezember 2017 beim AfD-Bundesparteitag in Hannover.
© Julian Stratenschulte/dpa

Damit ist Brandenburg nach Thüringen das zweite Bundesland, in dem die AfD offiziell als Verdachtsfall für rechtsextremistische Bestrebung gegen die grundgesetzliche Ordnung einstuft wird. In beiden Bundesländern ist die AfD nur noch eine Stufe von der NPD oder der Nazi-Splitterpartei „Der Dritte Weg“ entfernt, die als erwiesen extremistisch geführt werden.

Der Verfassungsschutz in Brandenburg kann jetzt Funktionäre und Gremien der Landes-AfD beobachten, aber nicht AfD- Politiker in ihrer Mandatstätigkeit als Landtagsabgeordnete. Das wäre erst möglich, wenn Abgeordnete auch ihr Mandat in „aggressiv kämpferischer Art und Weise“ ausnutzten.

Dem Verfassungsschutz stehen nun eine Reihe von nachrichtendienstlichen Mitteln wie das Sammeln personenbezogener Daten und verdeckte Ermittlungen zur Verfügung. Für Abhörmaßnahmen muss die Zustimmung der sogenannten G-10-Kommission des Landtags eingeholt werden. Im Unterschied zum Beobachtungsfall muss beim Verdachtsfall der Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel stärker darauf geprüft werden, ob diese verhältnismäßig sind.

Eine vage Chance für die AfD

Die Brandenburger AfD hätte auch als absoluter Beobachtungsfall eingestuft werden können, sagte Verfassungsschutzchef Müller. Die Partei habe in Teilen „die Schwelle zur erwiesenen extremistischen Bestrebungen überschritten“. Dennoch habe die Behörde wegen der Sonderstellung von Parteien auf diese höchste Einstufung verzichtet.

Zudem müsse die „vage Chance berücksichtigt“ werden, dass sich die „Partei wieder auf den Weg des demokratischen Bodens“ macht. Die Einstufung als Verdachtsfall sei daher auch als Signal an die Partei zu verstehen.

Auch um das Vorgehen für die Gerichte wasserdicht zu machen, bleibt es zunächst beim Verdachtsfall. Die AfD kündigte sogleich am Montag an, gerichtlich gegen die Einstufung vorzugehen.

Brandenburg gilt neben Thüringen und Sachsen als Stammland des völkisch-nationalistischen „Flügels“ der AfD. „In der Brandenburger AfD ist der Flügel längst der ganze Vogel“, sagte Brandenburgs Innenminister Stübgen (CDU). „Die Brandenburger AfD hat sich seit ihrer Gründung stetig radikalisiert und wird mittlerweile von Bestrebungen dominiert, die ganz eindeutig gegen unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung gerichtet sind.“

Innenminister Michael Stübgen (CDU) und Verfassungsschutzchef Jörg Müller (von links).
Innenminister Michael Stübgen (CDU) und Verfassungsschutzchef Jörg Müller (von links).
© imago images/Martin Müller

Müller zufolge wird es auch der Bundesverfassungsschutz berücksichtigen, wenn mehrere Landesämter die AfD als Verdachtsfall einstufen. Innenminister Stübgen attestierte der Bundes-AfD im Unterschied zur Landespartei aber, noch nicht in den Rechtsextremismus abgedriftet zu sein. Im Bundesvorstand sei noch ein „kritischer Diskurs“ darüber festzustellen, „welchen Weg diese Partei gehen will – völkisch-rechtsextremistisch oder eher nationalkonservativ“.

Neben dem „Flügel“-Einfluss führt Verfassungsschutzchef Müller zwei weitere Gründe für die Beobachtung in Brandenburg an. Der Partei seien „extremistische Positionierungen von AfD-Mitgliedern zuzurechnen, die insbesondere die Menschenwürde und das Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip verletzen“. Außerdem gebe es eine „personelle und strukturelle Verflechtung der Brandenburger AfD mit anderen rechtsextremistischen Strukturen“.

Allein schon bei Andreas Kalbitz gibt es aus Sicht des Brandenburger Verfassungsschutzes hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass dieser in der rechtsextremistischen Szene verwurzelt und rechtsextremistisch eingestellt ist. Außerdem spielt er weiterhin eine entscheidende Rolle in der Landes-AfD.

Keine Distanzierung vom Flügel oder von Kalbitz

Auf Betreiben von AfD-Chef Jörg Meuthen hatte der Bundesvorstand Kalbitz Mitte Mai mit knapper Mehrheit das Parteibuch entzogen. Als Begründung wurden verschwiegene Mitgliedschaften in rechtsextremistischen Organisationen angeführt.

In Brandenburg blieben seine Reihen trotzdem geschlossen. Im Landtag änderte die AfD-Fraktion sogar ihre Geschäftsordnung für Kalbitz, damit er – ohne Parteimitglied zu sein – ihr weiterhin angehören kann. Fraktion und Landespartei werden nun eben von Kalbitz-Vertrauten geführt. Die Partei hat sich weder vom "Flügel", noch von Kalbitz distanziert. Auch das gab einen Ausschlag.

Für den Verfassungsschutz sind das klare Hinweise darauf, wie stramm die Landespartei Kalbitz und dessen rechtsextremistischen Einstellungen folgt. Müller sagte, die Fraktion stehe in „Nibelungentreue und wagenburgartiger Mentalität“ weiter hinter Kalbitz.

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Hinzu kommen personelle Verflechtungen der Brandenburger AfD mit der rechtsextremistischen „Identitären Bewegung“. Der Verfassungsschutz registrierte schon seit geraumer Zeit die Mitarbeit von Aktivisten der Identitären in der Landtagsfraktion. Tatsächlich sind in den vergangenen Jahren mehrere solcher Fälle bekannt geworden. Daneben sind AfD-Mitglieder mit Neonazi-Organisationen wie der NPD vernetzt.

Auch der Verein „Zukunft Heimat“, der vor allem in Cottbus mit flüchtlingsfeindlichen Protesten auffiel, spielte für den Verfassungsschutz bei der Neubewertung der AfD eine Rolle. Wie Verfassungsschutzchef Müller am Montag erklärte - und das war die eigentliche Überraschung des Tages -, ist der Verein bereits im Januar als erwiesen rechtsextremistische Bestrebung und als vollständiger Beobachtungsfall eingestuft worden.

"Spreelichter" reloaded: Verbindungen zur verbotenen "Widerstandsbewegung Südbrandenburg"

Grund dafür seien auch Verbindungen des Vereins „Zukunft Heimat“ mit dem 2012 verbotenen Nazi-Netzwerk „Widerstandsbewegung Südbrandenburg“ – auch bekannt als „Spreelichter“ – und Marcel F., dessen Führungsfigur.

Der Vorsitzende von „Zukunft Heimat“, Christoph Berndt, ist ebenfalls Landtagsabgeordneter. Sein Verein steht laut Verfassungsschutz unter „neo-nationalsozialistischem Einfluss“. Die Behörde spricht daher von einem „entgrenzten Rechtsextremismus“, der sich „im Vorhof des herkömmlichen Rechtsextremismus eine weit ausgreifende, durchlässige neurechte Grauzone gebildet hat“.

Für die AfD im Landtag und Chef von "Zukunft Heimat": Christoph Berndt.
Für die AfD im Landtag und Chef von "Zukunft Heimat": Christoph Berndt.
© Britta Pedersen/dpa

Berndts Anti-Asyl-Initiative hat „organisatorische und personelle Überschneidungen“ vor allem mit der rechtsextremistischen „Identitären Bewegung“, stellte der Verfassungsschutz bereits vor zwei Jahren fest.

Bei den Demonstrationen von „Zukunft Heimat" erkannte der Nachrichtendienst NPD-Mitglieder, Neonazis aus der Kameradschaftsszene, Personen aus der rechtsextremen Hooligan-, Kampfsport- und Musikszene – aber keine Distanzierung des Vereins von Extremisten.

Erst Mitte Mai hatte der Verfassungsschutz eine neue Einschätzung veröffentlicht, darin ging es um die Proteste von „Zukunft Heimat“ gegen die Eindämmungsmaßnahmen in der Corona-Pandemie. Der Verfassungsschutz notierte nach der ersten „Covid-1984“-Demonstration „mit maßgeblicher AfD-Beteiligung“ in Cottbus: „Die Grenze zum Extremismus wird aber überschritten, wenn Äußerungen auf die Verächtlichmachung unserer Demokratie abzielen.“

Auf der Demonstration wurden die Anti-Corona-Maßnahmen mit Hitlers Ermächtigungsgesetz gleichgesetzt. Derlei Äußerungen zielten „tatsächlich darauf ab, unsere Demokratie verächtlich zu machen. Es ist die Rhetorik von Extremisten“, stellte der Verfassungsschutz danach fest. Ebenso „verbale Totalität und Aggressivität“ sowie „die verrohte Rhetorik der Verächtlichmachung“.

Hitler verehrt und militärischer Drill: War Kalbitz Besucher oder Mitglied der HDJ?

Der Landtagsabgeordnete und Vereinschef Berndt habe sich nicht davon distanziert. Auch war der gelbe Judenstern mit der Aufschrift „nicht geimpft“ bei der Demonstration gezeigt worden.

Zurück zu Andreas Kalbitz, dem bisherigen AfD-Landes- und Fraktionschef: Er klagt derzeit gegen seinen Parteiausschluss. Am Freitag verhandelt das Landgericht Berlin seinen Eilantrag gegen den Bundesvorstand. Das Verfahren vor dem Parteischiedsgericht folgt später. Kalbitz bestreitet zum einen, bei seinem AfD-Eintritt Mitgliedschaften in rechtsextremistischen Organisationen verschwiegen zu haben.

Zum anderen bestreitet er die Feststellung des Bundesverfassungsschutzes, dass er Mitglied bei dem militanten Nazi-Verein „Heimattreue Deutsche Jugend“ (HDJ) gewesen sei, der 2009 vom Bundesinnenministerium verboten wurde. Dem Verfassungsschutz liegt dagegen eine Mitgliederliste vor – mit „Familie Andreas Kalbitz“, Mitgliedsnummer 01330.

Kalbitz dagegen schließt nicht aus, auf einer Interessentenliste der HDJ gestanden zu haben, und sprach bislang lediglich von „rechtsextremen Bezügen“ in seiner Vergangenheit. Dazu gehören Besuche bei der HDJ, die Kinder und Jugendliche mit Hitler-Verehrung und militärischem Drill zur braunen Nachwuchselite machen wollte.

Hakenkreuzfahne in Athen gehisst

Es gab auch Verquickungen mit der rechtsextremistischen Jungen Landsmannschaft Ostpreußen und dem Witikobund in Kalbitz’ Zeit als Berufssoldat und Fallschirmjäger bei der Bundeswehr. Daneben war Kalbitz mehrere Jahre Vorstandsmitglied und von 2014 bis 2015 Vorsitzender eines rechtsextremen Kulturvereins, der von einem SS-Mann gegründet worden war.

Hinzu kommen Teilnahmen bei Neonazi-Veranstaltungen in Belgien und zuletzt 2007 in Athen, wohin er mit dem damaligen NPD-Chef Udo Voigt und weiteren Führungskadern der Partei gefahren war. Die Gruppe aus „14 deutschen Neonazis“, wie das Bundeskriminalamt damals feststellte, hatte eine Hakenkreuzflagge am Hotel gehisst. 

In der AfD ist nach der Annullierung von Kalbitz’ Mitgliedschaft ein Machtkampf ausgebrochen. Auf der einen Seite stehen jene, die den Rauswurf juristisch und politisch für falsch halten. Dazu zählen unter anderem Fraktionschefin Alice Weidel, Parteichef Tino Chrupalla und der Ehrenvorsitzende Gauland. Auf der anderen Seite steht das Lager um Parteichef Meuthen, der eine Beobachtung durch den Verfassungsschutz um jeden Preis verhindern will.

Die Konfliktlinie zeigt sich auch bei der Bewertung der neuen Vorgänge in Brandenburg. Beide Lager sehen ihre Position durch die Entscheidung das Verfassungsschutzes gestärkt. Die Kalbitz-Unterstützer argumentieren, dass auch der Kalbitz-Rauswurf vor der Verdachtsfall-Einstufung nicht geschützt habe.

Kurs gegen den "Flügel": AfD-Bundeschef Jörg Meuthen will die Partei dem Blick des Verfassungsschutzes entziehen.
Kurs gegen den "Flügel": AfD-Bundeschef Jörg Meuthen will die Partei dem Blick des Verfassungsschutzes entziehen.
© Soeren Stache/dpa

Ein Meuthen-Unterstützer sagt dagegen: „Die Brandenburger sind selbst schuld.“ Der Landesverband halte Kalbitz schließlich noch immer die Treue, an der Spitze stünden mehrere enge Gefolgsleute von Kalbitz und um rechtsextreme Tendenzen im Landesverband habe man sich über Jahre nicht gekümmert.

Dafür verantwortlich gemacht wird auch der Ehrenvorsitzende Gauland. Entweder Gauland habe nicht gemerkt, „was da lief“, oder es habe ihn nicht gestört, heißt es. Gauland selbst kritisierte die Entscheidung des Verfassungsschutzes, die Brandenburger AfD als „Verdachtsfall“ einzustufen – diese sei „genauso falsch wie die bisherigen Einstufungen der AfD durch den Verfassungsschutz“.

Ex-Oberstaatsanwalt Reusch: AfD wird ihre Reihen "noch dichter schließen"

Im Landesverband dürfte sich erst mal wenig ändern. Roman Reusch, früher leitender Oberstaatsanwalt und heute AfD-Bundestagsabgeordneter, sitzt im Landesvorstand der AfD-Brandenburg. Er gibt sich unbeeindruckt. „Es wird versucht, die AfD auf demselben Wege loszuwerden, wie es bei den Republikanern erfolgreich geglückt ist.“

Bei den Republikanern hätten nach der Beobachtung durch den Verfassungsschutz alle die Partei verlassen, die meinten, etwas verlieren zu haben. „Wir sind aber gewarnt und werden dem Beispiel nicht folgen", sagte Reusch.

Die Entscheidung des Verfassungsschutzes werde die Reihen der AfD in Brandenburg „nur noch dichter schließen“. Reusch hält nichts von der Entscheidung des Bundesvorstandes, Kalbitz’ Mitgliedschaft zu annullieren.

Der Schritt sei „ein Schlag gegen die Einheit der Partei“ und „dilettantisch“. Reusch sagt: „Ich bin mir sicher, dass Kalbitz vor Gericht mit seiner Klage dagegen erfolgreich sein wird.“

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