zum Hauptinhalt
Brandenburgs AfD-Landeschef Andreas Kalbitz.
© Ronny Hartmann / AFP

Brandenburgs AfD vor Beobachtung?: Verfassungsschutzchef sieht Kalbitz tief im Rechtsextremismus verwurzelt

Andreas Kalbitz wird von seiner Vita eingeholt. Am Freitag befasst sich der AfD-Bundesvorstand mit einem Ausschluss. Partei-Vize Alice Weidel warnt vor Eile.

Noch wird die AfD in Brandenburg nicht vom Verfassungsschutz beobachtet, doch Abteilungsleiter Jörg Müller sagt auch: Im Brandenburger AfD-Landesverband sei keine demokratische Mitte mehr erkennbar.

Wenn sich der bereits als rechtsextremistisch eingestufte Flügel im Landesverband durchsetze, „diese erkennbare Verflügelung weiter fortsetzt“, dann werde sich die Frage nach einer Beobachtung der Brandenburger AfD „immer mehr aufdrängen“, sagte Müller am Donnerstag dem rbb.

Der Politikwissenschaftler Gideon Botsch vom Moses Mendelssohn Zentrum in Potsdam stuft die Brandenburger AfD unter ihrem Landeschef Andreas Kalbitz als klar rechtsextremistisch ein. „Dieser Landesverband ist rechtsextrem, auch wenn nicht jedes einzelne Mitglied oder jeder einzelne Aktivist oder Mandatsträger rechtsextrem sein mag“, sagte Botsch der Nachrichtenagentur dpa.

Kalbitz habe sich über Jahrzehnte in einem solchen Milieu bewegt, möglicherweise mit Pausenzeiten. Der Politologe bezeichnete den Einfluss von Kalbitz in der AfD als groß. Auch Verfassungsschutzchef Müller, seit Februar im Amt, äußerte sich zu Kalbitz, der sich wegen seiner Vita vor dem Bundesvorstand seiner Partei rechtfertigen muss. Kalbitz sei tief im organisierten Rechtsextremismus verwurzelt, „über Jahrzehnte hinweg“, sagte Müller.

Kalbitz hat nun zugegeben, dass er entgegen früherer Angaben doch auf einer Liste der verbotenen militanten „Heimattreuen Deutschen Jugend“ (HDJ) stehen könnte. Wegen seiner rechtsextremen Vergangenheit muss Kalbitz nun um seine politische Zukunft in der AfD bangen: Der AfD-Bundesvorstand befasst sich am Freitag damit. Für Kalbitz geht es um die Frage, ob gegen ihn ein Parteiausschluss verhängt wird.

[Behalten Sie den Überblick: Jeden Morgen ab 6 Uhr berichten Chefredakteur Lorenz Maroldt und sein Team im Tagesspiegel-Newsletter Checkpoint über Berlins wichtigste Nachrichten und größte Aufreger. Kostenlos und kompakt: checkpoint.tagesspiegel.de]

Lange Zeit habe der Bundesvorstand der Partei nicht zu den Aktivitäten von Andreas Kalbitz Position bezogen, sagte Verfassungsschutzchef Müller. Dass Kalbitz nun aufgefordert wurde, seine Mitgliedschaften offenzulegen, sei ein Zeichen dafür, dass Zweifel entstanden seien an der demokratischen Haltung.

Wie ein Rechercheverbund aus WDR, NDR und Süddeutsche Zeitung berichtet, hat Kalbitz in einem fünfseitigen Schreiben an den AfD-Bundesvorstand angegeben, dass sein Name auf einer „Interessenten- oder Kontaktliste“ der HDJ geführt worden sein könnte. Dies sei „durchaus möglich und wahrscheinlich“. Sollte Kalbitz Mitglied in der militanten Neonazi-Organisation gewesen sein, hätte er nach den Statuten der AfD nie in die Partei aufgenommen werden dürfen.

Gutachten weist Kontakt und HDJ-Mitgliedschaft nach

Im März war ein Gutachten des Bundesverfassungsschutzes bekannt geworden, wonach Kalbitz „nachweislich“ und „über mindestens 14 Jahre“ mit der HDJ Kontakt gehabt und auch Mitglied gewesen sei. Dem Bundesamt liegt demnach eine Mitgliederliste der HDJ aus dem Jahr 2007 vor, auf der unter der Mitgliedsnummer 01330 die „Familie Andreas Kalbitz“ geführt wurde. Kalbitz hatte daraufhin im März noch erklärt, ihm sei nichts über diese Mitgliederliste bekannt.

Es wird nicht damit gerechnet, dass der Bundesvorstand der AfD bereits am Freitag eine Entscheidung über einen Parteiausschluss trifft. Partei-Vize Alice Weidel warnte am Donnerstag davor, zu rasch zu agieren.

Anders als bei einem Parteiausschlussverfahren, bei dem die Schiedsgerichte entscheiden, kann die Nichtigkeit der Mitgliedschaft laut Satzung mit einfacher Mehrheit vom Bundesvorstand festgestellt werden. Es sei wichtig, die Stellungnahme von Kalbitz nun „sorgfältig juristisch“ zu prüfen und zu bewerten, sagte Weidel.

Kalbitz steuerte maßgeblich AfD-Flügel mit

Kalbitz, der ebenfalls im Vorstand sitzt, hat großen Einfluss in der AfD. Er ist Parteichef in Brandenburg, führt die Landtagsfraktion in Potsdam und steuerte maßgeblich den Flügel der AfD – Kalbitz ist der Strippenzieher, neben ihm Thüringens AfD-Landeschef Björn Höcke als prominenteste Figur.

Auf Basis des Gutachtens des Bundesverfassungsschutzes wird der Flügel amtlich als eine „erwiesen rechtsextremistische Bestrebung“ eingestuft und deshalb offiziell beobachtet. Der „Flügel“ der AfD hat sich deshalb aufgelöst. Bis zu diesem Gutachten des Verfassungsschutzes gab es nur Hinweise auf Verstrickungen in die HDJ.

Arm in Arm: Andreas Kalbitz und Björn Höcke gelten als Lichtgestalten des rechten AfD-"Flügel".
Arm in Arm: Andreas Kalbitz und Björn Höcke gelten als Lichtgestalten des rechten AfD-"Flügel".
© Jens Büttner/dpa

Darunter waren Fotos von Kalbitz, die ihn im Jahr 2007 bei einem Pfingstlager der HDJ – mit Lederhose und militär-grünem T-Shirt – zeigen. Und Kalbitz erhielt sechs Wochen nach dem Verbot der HDJ durch das Bundesinnenministerium eine E-Mail vom damaligen HDJ-Bundesführer Sebastian Räbiger. Unter den sechs Empfängern waren weitere Führungskräfte der HDJ.

Kalbitz hatte stets behauptet, er habe sich bei dem Pfingstlager nur als Gast informiert. An die E-Mail oder Kontakt zu hochrangigen Führungskräften könne er sich nicht erinnern. Und er hatte 2019 auf Nachfrage ausgeschlossen, dass er oder seine Kinder auf weiteren HDJ-Lagern gewesen sein könnten.

Die HDJ war eine verschworene Gemeinschaft, zahlreiche Führungskader waren in Brandenburg aktiv. HDJ-Mitglieder verstanden sich als paramilitärische Elite, als „politische Soldaten“, der Nachwuchs wurde gedrillt und ideologisch geschult: Rassenkunde, Hitler-Verehrung, Antisemitismus, Blut-und-Boden-Ideologie und NS-Brauchtum.

Zur Startseite