Rechtsextremismus in der AfD: Die Affäre Kalbitz ist eine Affäre Gauland
Alexander Gauland hat den Aufstieg von Andreas Kalbitz in der AfD stets befördert - und die Partei auch sonst ständig nach rechts getrieben. Ein Gastbeitrag.
Gideon Botsch ist am Potsdamer Moses Mendelssohn Zentrum Leiter der Emil Julius Gumbel Forschungsstelle Antisemitismus und Rechtsextremismus.
Alexander Gauland hat sich gegen den Vorstandsbeschluss über die Nichtigkeit der Parteimitgliedschaft von Andreas Kalbitz ausgesprochen und die Satzungsänderung der Potsdamer Landtagsfraktion zu dessen Gunsten begrüßt. Er tritt als besonnener Altpolitiker auf, der den Parteichef vor einem Fehler gewarnt habe. Heißt: Die Affäre Kalbitz soll jetzt zur Affäre Meuthen werden.
Wenn es allerdings eine Person gibt, die persönlich für das aktuelle Dilemma der AfD verantwortlich gemacht werden kann, ist es Alexander Gauland. Es war sein Landesverband, der Kalbitz, früher Mitglied der rechtsextremen Republikaner, ohne ernsthafte Prüfung aufnahm und diesen Schritt nicht dokumentierte: Der Aufnahmeantrag gilt als verschollen. Und es war Gauland, der Kalbitz in seine heutige Position brachte.
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Als Gauland 2014 in die Brandenburgische Landespolitik eintrat, maßregelte er sogleich ein anderes AfD-Parteimitglied. Stefan Hein, Sohn seiner Lebensgefährtin, hatte versucht, Parteimitglieder mit rechtsextremer Vergangenheit unter Kontrolle zu halten.
Hein wendete dabei zwar tatsächlich unlautere Mittel an, durfte aber annehmen, im Interesse des Landesvorsitzenden zu handeln. Aber Gauland hatte Hein, und mit ihm die deutsche Öffentlichkeit, getäuscht. In der Rückschau erscheint der Vorgang als erster aktiver Beitrag Gaulands, die AfD auf rechtsextremen Kurs zu bringen.
Pegida als "natürlicher Verbündeter"
Und so rollte Gaulands Partei mit zunehmender Geschwindigkeit auf schiefer Bahn nach rechts unten. Ende 2014 reiste er mit der neuen Landtagsfraktion zu einer Pegida-Demonstration und bezeichnete die Bewegung als „natürlichen Verbündeten“. Heute verwendet Kalbitz diese Formulierung.
Als der AfD-Vorsitzende Bernd Lucke bald nach Gaulands Dresden-Reise vor einer zu starken Ausrichtung „an den Rändern“ des politischen Spektrums warnte, riet Gauland seinen Parteifreunden, das „alte Schlieffen-Motto“ zu beherzigen: „Macht den rechten Flügel stark!" Damit stiftete er den Namen, den sich die organisierten Rechtsextremisten in der AfD gaben.
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Wenig später gehörte er mit Kalbitz und Björn Höcke zu den Erstunterzeichnern der „Erfurter Resolution“, dem Gründungsdokument des „Flügel“. Lucke wurde von Gaulands Leuten gestürzt, ihm folgte Frauke Petry, als nächstes wird wohl mit Jörg Meuthen abgerechnet.
Wenn der Flügel, wie Höcke behauptet, keine formale Mitgliedschaft hat, muss man Alexander Gauland als Flügel-Mann betrachten. Er vertritt durchaus die rechtsextremen Positionen der inzwischen formal aufgelösten Vereinigung. Und er verhalf dem bis dahin nur in Thüringen breiter bekannten Höcke zu bundesweiter Aufmerksamkeit.
Ende 2015 begann jene Erfurter Demonstrationskampagne, in der sich Höcke immer drastischer in Szene setzte. Ihr Zulauf hing von der Bekanntheit ab, die er beim gemeinsamen Auftritt mit Gauland auf dem Kyffhäusertreffen im Juni desselben Jahres gewonnen hatte.
Er nahm die "Nazifizierung" in Kauf
Kalbitz, der bei dieser Gelegenheit ebenfalls sprach, war damals nicht einmal in Brandenburg bekannt, wurde aber bald zum stellvertretenden Vorsitzenden der Potsdamer Landtagsfraktion. Damit bereitete Gauland die Übergabe der Führung im Landesverband an Kalbitz vor, die zwei Jahre später erfolgte. Während der flüchtlingsfeindlichen Proteste trat Gauland gemeinsam mit Höcke und Kalbitz vor rechtsextremen Teilnehmern auf, so im Juni 2016 im brandenburgischen Elsterwerda. Gauland hat Kalbitz und Höcke wählbar gemacht, ihre politische Verortung verharmlost und die AfD „nazifiziert“.
In dichter Folge wurden seit 2014 Informationen über Andreas Kalbitz bekannt, die auch Gauland registrieren musste. Sie betrafen nicht nur Halbwahrheiten und Unwahrheiten über Kalbitz' politische Biographie und seine Bezüge zum Neonazismus, sondern auch über militärische Dienstzeit und Studium. Gauland hat diese Warnungen entweder nicht hören wollen, oder er hat die „Nazifizierung“ der AfD wissentlich in Kauf genommen.
In beiden Fällen ist er für eine Spitzenposition in einer demokratischen Partei untragbar. Nun wäre es an der Zeit, dass Gauland von allen Ämtern zurücktritt. Die derzeitige Krise ist keine Affäre Kalbitz, auch keine Affäre Meuthen – sie ist in erster Linie eine Affäre Gauland.
Gideon Botsch