Trotz Partei-Rauswurf: Kalbitz bleibt in Brandenburgs AfD-Fraktion – und die kämpft für ihn
Der bisherige Landeschef Kalbitz erringt nach seinem Rauswurf aus der Partei einen Sieg mit Symbolwert. „Die AfD-Fraktion Brandenburg steht stabil“, sagt er.
Im Machtkampf zwischen dem völkischen Flügel und den moderaten Kräften um AfD-Chef Jörg Meuthen hat Andreas Kalbitz einen politischen Etappensieg mit Symbolwert errungen. Obwohl der Bundesvorstand ihm die AfD-Zugehörigkeit wegen verschwiegener Mitgliedschaften im rechtsextremem Milieu entzogen hat, kann Kalbitz in der Brandenburger AfD-Landtagsfraktion bleiben.
Die Fraktion hat am Montag in einer Sondersitzung eigens ihre Geschäftsordnung geändert, damit Kalbitz sie wegen fehlender Parteimitgliedschaft nicht verlassen muss. Bisher durften nur Parteimitglieder in der Fraktion sein. Der Beschluss fiel mit "mehr als 90 Prozent" der Stimmen der Abgeordneten, nötig wäre eine Zwei-Drittel-Mehrheit gewesen.
Noch offen ist, ob Kalbitz auch Vorsitzender der Fraktion bleibt. Kalbitz hatte ursprünglich angekündigt, sich am Dienstag erneut zur Wahl zu stellen. Dazu kommt es aber vorerst nicht. Auf seinen Wunsch hin bleibe der Posten zunächst unbesetzt, sagte der 47-Jährige.
Kalbitz gab sich aber zuversichtlich. Im Anschluss an die Sondersitzung sagte er: „Die AfD-Fraktion Brandenburg steht stabil.“ Das sei aber „keine Kampfansage“ an Bundesparteichef Meuthen.
Die Entscheidung über den Fraktionsvorsitz werde verschoben, bis eine rechtliche Klärung erfolgt sei. „Ich bin aber sehr zuversichtlich", sagte Kalbitz. Ob er zivilrechtlich oder vor dem Schiedsgericht seiner Partei gegen die Aufhebung der Mitgliedschaft vorgeht, würden die Anwälte entscheiden.
Fraktion fordert Bundesparteitag zur Neuwahl des Vorstands
In der Landespartei, deren Vorsitzender er ebenfalls bislang war, führen seine Stellvertreter jetzt die Geschäfte. Auch sie haben sich im Streit mit Meuthen bereits mit Kalbitz solidarisiert.
Die Landtagsfraktion wird nun kommissarisch vom Parlamentarischen Geschäftsführer Dennis Hohloch geführt, ein Zögling und Vertrauter von Kalbitz. "Der Beschluss des AfD-Bundesvorstandes war ein schwerwiegender Fehler, der großen Schaden für die AfD verursacht hat", sagte Hohloch. "Deswegen fordern auch wir als Fraktion einen außerordentlichen Bundesparteitag zur Abwahl und Neuwahl des Bundesvorstandes.“
[Alle aktuellen Entwicklungen auf Ihrem Handy mit der runderneuerten App hier für Apple-Geräte und hier für Android-Geräte.]
Der Bundesvorstand hatte am Freitag auf Meuthens Betreiben mit sieben zu fünf Stimmen entschieden, die Mitgliedschaft von Kalbitz in der AfD aufzuheben. Demnach soll Kalbitz beim Eintritt in die AfD seine Mitgliedschaft in der militanten, 2009 verbotenen Nazi-Truppe „Heimattreue Deutsche Jugend (HDJ) verschwiegen haben. Ebenso wird ihm "die Nichtangaben" zur Last gelegt, dass er in den 90er-Jahren Republikaner-Mitglied war.
Die HDJ steht auf der sogenannten Unvereinbarkeitsliste der AfD: Wer in einer dort aufgeführten Organisation Mitglied war, darf nicht in die AfD aufgenommen werden. Kalbitz bestreitet HDJ-Mitglied gewesen zu sein. Zumindest nach seinem Parteieintritt war Kalbitz in den Parteigremien immer offen damit umgegangen, dass er in den 1990er-Jahren bei den Republikanern war.
Meuthen hat die Bundestagswahl 2021 im Blick
Meuthen gehe es bei seinem Vorgehen gegen Kalbitz vor allem um die Bundestagswahl 2021, heißt es aus Parteikreisen. Demnach wolle Meuthen die AfD gemäßigter aufstellen - vor allem mit Blick auf die Union und schwarz-blaue Bündnisse. Die sich aus Sicht von CDU und CSU aber bislang ausgeschlossen, gerade wegen der Rechtsextremisten in der AfD.
Das größte Problem ist dabei der "Flügel". Der Bundesverfassungsschutz hatte den Flügel im März attestiert, rechtsextremistisch zu sein, seither wird er offiziell beobachten. Auf Meuthens Druck hin löste sich der Flügel nach außen hin auf - auch damit die Partei nicht selbst vom Nachrichtendienst beobachtet wird.
Höcke spricht von „Verrat an der Partei“
Wichtigster Strippenzieher im "Flügel" ist Kalbitz, Thüringens AfD-Chef Björn Höcke der Mann für die Massen. Im Bunde mit der Sachsen-AfD sind die genau jene Landesverbände faktisch "Flügel"-Land, die bei den Landtagswahl deutschlandweit die besten Ergebnisse erzielten, nämlich weit über 20 Prozent.
Nach dem Kalbitz-Rauswurf am Freitag kritisiert Höcke daher den Beschluss des Bundesvorstands scharf. In seiner Videobotschaft machte er auch sehr deutlich, was er von Meuthens Kurs, moderater, weniger radikal zu werden, hält.
Wer sich in einem parteiinternen Konflikt auf Argumente von „Parteigegnern“ berufe, der begehe „Verrat an der Partei“, sagte Höcke. Wer die AfD zu einem Mehrheitsbeschaffer für die CDU machen wolle, habe nicht begriffen, was die Alternative zu den etablierten Parteien bedeute. Deutschland brauche keine zweiter Werte-Union, das Land brauche eine geschlossene AfD, sagte Höcke.
In der AfD gibt es starke Zweifel, ob Meuthen mit seinem Vorgehen durchkommt. Der Co-Vorsitzende Tino Chrupalla und die Bundestagsfraktionschefs Alexander Gauland und Alice Weidel halten die knappe Vorstandsentscheidung für falsch und juristisch anfechtbar.
Der Mitgliedsantrag von 2013 ist nicht mehr da
Zwar hatte Meuthen zum Rauswurf-Beschluss erklärte, dieser sei auf Basis der Aktenlage getroffen worden. Doch die gibt es gar nicht, wie Tagesspiegel-Recherchen ergaben. Der von Kalbitz gestellte Mitgliedsantrag ist nicht mehr auffindbar. Auch AfD-Co-Chef Chrupalla sagte dem ARD-Hauptstadtstudio, die Aktenlage und die Faktenlage hätten den Beschluss des Vorstandes nicht hergegeben.
Kalbitz hatte den Mitgliedsantrag im März 2013 im Internet gestellt, wenige Wochen nach Gründung der AfD. In Papierform ist der Antrag also nicht vorhanden, die Daten sind verschollen. Kalbitz argumentierte zudem immer, dass es besagte Unvereinbarkeitsliste damals noch nicht gab.
Im Bundesvorstand wurden von der Gruppe um Meuthen, die den Kalbitz-Rauswurf gestützt hat, zwei Kronzeugen angeführt, um die fehlenden Unterlagen zu kaschieren. Die beiden Zeugen sollen bekunden, wenn nötig eidesstattlich, dass sie Kalbitz‘ Aufnahmeantrag gesehen und was sie dort gelesen haben. Eine Erklärung an Eides statt wäre wiederum justiziabel, eine falsche Erklärung eine Straftat.
Einer der beiden ist der Bundestagesabgeordnete Norbert Kleinwächter, er gilt als einer der größten Kritiker von Kalbitz in der AfD in Brandenburg und Ostdeutschland. Er sei kürzlich nach Informationen zum Mitgliedsantrag von Kalbitz gefragt worden. "Ich kann Ihnen noch nicht sagen, was konkret ich bezeugen werde, weil das ja verfahrensrelevant ist. Da werde ich noch warten", sagte er dem "Spiegel".
Weidel kritisiert Verfahren als „juristisch höchst angreifbar“
Allerdings ist unklar, ob Kleinwächter damals überhaupt schon in Brandenburg war und den Mitgliedsantrag gesehen haben kann. Zudem soll es damals noch keine Aufnahmegespräche mitsamt Protokoll gegeben haben. Aus dem Bundesvorstand heißt es wiederum, im Landesverband Brandenburg erinnerten sich mehrere Mitglieder an Angaben, die Kalbitz bei der Bildung seines Kreisverbandes und bei der Kandidatenaufstellung für die Landtagswahl 2014 gemacht habe.
Es gibt also allerlei Angriffspunkte für Kalbitz. Nicht umsonst hatte Alice Weidel, Parteivize und Co-Fraktionschefin im Bundestag, nach dem Vorstandsbeschluss erklärt, das Verfahren sei „juristisch höchst angreifbar“. Und auch AfD-Fraktionschef Alexander Gauland glaubt nicht, dass der Beschluss juristisch Bestand haben werde.
Neben dem Parteiverfahren verlangt Kalbitz Auskunft vom Bundesverfassungsschutz. Der hatte in seinem AfD-Gutachten vom März erklärt, Kalbitz habe nicht nur - wie bereits bekannt - HDJ-Lager besucht, sondern stehe auch auf einer HDJ-Mitgliederliste.