zum Hauptinhalt
Um jede Stimme geht’s. Die Kür der Bürgermeister ist nach der Wahl nicht ganz einfach.
© TSP/Kitty Kleist-Heinrich

Wer wird Bürgermeister in Berlins Bezirken?: In den Rathäusern stellt sich die Bündnisfrage

Wer hat künftig das Sagen in den Bezirken? Nach der Wahl ist das Rennen so spannend wie lange nicht mehr.

Die Wahl ist geschlagen, jetzt geht die Rechnerei los. Wer mit wem und wie? Auch in den Bezirken ist es noch spannend. Ein Überblick von Sandra Dassler, Ulrike Scheffer, Stephan Wiehler, Cay Dobberke, Ralf Schönball, Rainer W. During, Susanne Vieth-Entus, Matthias Jauch, Ingo Salmen, Henning Onken, Gerd Appenzeller, und Sophie Aschenbrenner.

Mitte

Christian Hanke, der 53-jährige Bezirksbürgermeister von Mitte ist erst am Montagabend erreichbar, meldet sich vom SPD-Konvent in Wolfsburg. Er ist seit 2006 im Amt und hat eine Erklärung dafür, dass nun die Grünen stärkste Partei in Mitte sind. „Der absolut negative Landestrend hat uns auch in Mitte runtergezogen“, sagt er: „Aber es bleibt festzuhalten, dass 40 Prozent der Wähler in Mitte links gewählt haben.“

Deshalb sei es auch Unfug, davon auszugehen, dass der Bürgermeisterkandidat der Grünen und jetzige Stadtrat für Soziales und Bürgerdienste, Stephan von Dassel, künftig den Bezirk Mitte regieren wird, meint Hanke: „Als wir stärkste Fraktion wurden, haben die doch auch versucht, eine Zählgemeinschaft gegen uns zu bilden.“ Dass er ähnliches vorhat, leugnet er nicht.

Von Dassel wollte sich bereits am Montag mit seinen Parteifreunden beraten, um allen demokratischen Parteien ein Gesprächsangebot zu unterbreiten. Rechnerisch reicht auch Rot-Grün nicht aus, von Dassel hat aber bei Abstimmungen in Mitte schon alle möglichen Konstellationen erlebt. Er kann sich also durchaus vorstellen, auch Linke, CDU, Piraten oder FDP mit ins Boot zu nehmen. „Ich bin für Transparenz“, sagt er: „Und ich möchte möglichst schnell ein Ergebnis. Unser Bezirk hat einfach zu viele Probleme, als dass wir uns eine lange Hängepartie erlauben könnten.“

Im City-Bezirk ist derzeit also alles möglich. Da die SPD künftig nur einen Stadtrat stellt, kann es auch gut sein, dass nicht Christian Hanke, sondern die Bezirksstadträtin Sabine Smentek den Posten erhält. Sie hat bereits angekündigt, sich darum in der eigenen Partei zu bewerben, und sie hat durchaus gute Chancen. Aber Hanke will ja auch nicht Stadtrat sondern Bürgermeister werden.

Friedrichshain-Kreuzberg

Der Verlust von 2,7 Prozentpunkten bei der BVV-Wahl könnte die Grünen in Friedrichshain-Kreuzberg teuer zu stehen kommen. Mit 32,7 Prozent wird die Partei auch in der neuen BVV mit 20 Sitzen die stärkste Fraktion stellen, doch für Wiederwahl von Monika Herrmann zur Bürgermeisterin ist die Partei auf die Zustimmung von SPD (zehn Sitze) oder Linken (zwölf Sitze) angewiesen, die zusammen auf zwei Sitze mehr als die Grünen kommen und damit theoretisch gemeinsam auch einen eigenen Kandidaten auf den Chefsessel wählen könnten. Bezirksbürgermeister und Stadträte werden mit einfacher Mehrheit gewählt.

Kräftig gestärkt und selbstbewusst gehen allen voran die Linken aus der Wahl hervor: mit 8,3 Prozentpunkten Zugewinn (dem höchsten aller Parteien) kamen sie bei der Bezirkswahl auf 20,8 Prozent. Sie könnten für Herrmanns Wiederwahl zur Bedingung machen, dass die Bündnisgrünen einen ihrer drei Stadtratsposten an die Linkspartei abgibt, die dann künftig zwei Stadträte stellen würde. Dass es in diese Richtung gehen könnte, wollte Reza Amiri, Linken-Fraktionschef in der BVV, am Montag nicht bestätigen. „Es ist zu früh, darüber zu spekulieren“, sagte er.

Was mit dem Wahlergebnis machbar sei, werde in den nächsten Tagen in den Parteigremien beraten. „Klar ist: Der Bezirk wird in den kommenden fünf Jahren von einer breiten linken Mehrheit getragen.“ Dazu werde man sich mit den Grünen und der SPD zusammensetzen, so Amiri.

Pankow

Noch ist nicht ausgemacht, wer Bürgermeister wird. Klar ist: Berlins einwohnerstärkster Bezirk wird künftig von einem Linken oder von einem Grünen geführt. Die SPD hat kaum Chance, weiter zu regieren; mit 20 Prozent der Stimmen wurde sie nur drittstärkste Fraktion in der BVV. Sören Benn, Linken-Spitzenkandidat, meldete schon mal seinen Anspruch an.

Seine Partei erhielt am Sonntag 21,1 Prozent und lag damit knapp vorn. Damit hätte die Linkspartei das Vorschlagsrecht für das Bürgermeisteramt. Doch auch die Grünen könnten ihren Kandidaten durchsetzen, wenn sie für Jens-Holger Kirchner, derzeit Baustadtrat, Unterstützung bei anderen Fraktionen finden.

Die bisherige Zählgemeinschaft aus SPD und Grünen wird nicht ausreichen. Denkbar wäre aber ein Dreierbündnis mit der CDU. Die hielt sich am Montag aber ebenso wie die SPD noch bedeckt. Kirchner selbst spricht von einem Bündnis mit „Koalitionscharakter“, das sich auch über Zukunftsprojekte im Bezirk verständigen solle.

Verabredungen mit der AfD schließen alle anderen Parteien aus. Sowohl Benn als auch Kirchner plädieren aber dafür, der Partei, die acht Verordnete und einen Stadtrat stellt, nicht auszugrenzen. „Wir wollen die AfD nicht in die Opferrolle drängen, sondern sie vielmehr fordern“, so Kirchner. Der AfD-Stadtrat solle ein vollwertiges Ressort übernehmen. Die AfD sei gewählt, jetzt müsse sie liefern.

Charlottenburg-Wilmersdorf, Spandau, Steglitz-Zehlendorf

Charlottenburg-Wilmersdorf

In der City West hat die seit 2001 bestehende rot-grüne Zählgemeinschaft die absolute Mehrheit knapp verpasst, in der BVV fehlt ein Sitz dafür. Allerdings braucht Bezirksbürgermeister Reinhard Naumann (SPD) nur eine einfache Mehrheit, um zum Rathaus-Chef gewählt zu werden. Ein Sprecher der bezirklichen Linken sagte, über das Wahlergebnis und die Konsequenzen werde am Donnerstag in einer Vorstandssitzung beraten.

Die CDU-Fraktionsvorsitzende Susanne Klose fand: „Der Ball liegt erst einmal bei der SPD als stärkster Partei.“ Aber natürlich würden auch die Christdemokraten „mit allen demokratischen Parteien“ Gespräche führen (womit sie nicht die AfD meint).

Angesichts der Mehrheitsverhältnisse hält es Klose für „schwer vorstellbar“, dass der CDU-Spitzenkandidat und Sozialstadtrat Carsten Engelmann noch Bürgermeister werden kann. Rechnerisch wäre dies in einem Bündnis mit den Grünen und der FDP möglich, doch deren Interessen lassen sich vermutlich kaum unter einen Hut bringen.

Andererseits verlängert sich auch die rot-grüne Zählgemeinschaft nicht automatisch, sie muss neu ausgehandelt werden. Sollte dies nicht gelingen, könnten sich die Sozialdemokraten stattdessen mit der CDU verbünden. Zumindest bei baupolitischen Themen stehe man dieser oft näher als den Grünen, sagt ein SPD-Fraktionsmitglied.

Spandau

Vor fünf Jahren wurde die CDU zwar stärkste Partei in Spandau, doch mit der Hilfe von Grünen und Piraten gelang es der SPD, mit Helmut Kleebank ihren Kandidaten zum Bezirksbürgermeister zu machen. Jetzt wollten die Christdemokraten mit Stadtrat Gerhard Hanke den Chefposten im Rathaus eigentlich zurückerobern, doch sie büßten elf Prozentpunkte der Stimmen ein und kommen nur noch auf 25,7 Prozent.

Die SPD dagegen ist nunmehr die führende Kraft. Damit dürfte Helmut Kleebank Bezirksbürgermeister bleiben. Doch der von ihm erneut angestrebten rot-grüne Zählgemeinschaft fehlt die Mehrheit in der BVV, zumal die Grünen nur noch auf 7,6 Prozent kommen.

Dass die Linken um 2,5 Punkte auf 5,6 Prozent zulegten, hilft dabei auch nicht. Zusammen kommen die drei nur auf 27 der 55 BVV-Mandate. Doch auch für ein Bündnis der CDU mit der wieder vertretenen FDP reicht es nicht. Eine Mehrheit hätten beide Parteien gemeinsam mit der AfD, die auf Anhieb auf 16 Prozent und neun Mandate kam.

Doch haben die Christdemokraten bereits im Vorfeld der Wahl eine Zusammenarbeit ausgeschlossen. So werden sich SPD und CDU wohl annähern müssen, auch im Bezirksamt, wo die AfD künftig neben je zwei Vertretern von SPD und CDU einen Stadtrat stellt.

Steglitz-Zehlendorf

Für Experimente ist der Südwesten durchaus zu haben, das jedenfalls hat die schwarz-grüne Zählgemeinschaft gezeigt, der die Wähler allerdings einen Dämpfer gaben. Die gemeinsame Mehrheit ist auf eine Stimme geschrumpft und deshalb lassen sich die Grünen einen Tag nach der Wahl jedenfalls nicht auf eine Fortsetzung des Experiments festlegen.

Möglich wäre auch ein CDU-SPD-Bündnis, aber nach der Abwahl derselben auf Landesebene dürften das für die Bezirksfürsten wohl eher ein Wagnis werden. Ursache der neuen Gemengelage ist der Einzug von gleich drei neuen Parteien in die BVV: FDP, Linke und AfD. Mit letzteren will niemand zusammenarbeiten, so viel steht fest.

Linke und FDP geben sich undogmatisch und wollen die Sacharbeit in den Vordergrund stellen. Dass die Grünen-Spitzenkandidatin Schellenberg durchaus Positives über die Liberalen zu sagen weiß, lässt sogar Schwarz-Grün- Gelb als Option möglich erscheinen.

Tempelhof-Schöneberg, Neukölln, Treptow-Köpenick

Tempelhof-Schöneberg

Die rot-grüne Zählgemeinschaft, die unter der SPD-Bezirksbürgermeisterin Angelika Schöttler in den vergangenen Jahren regierte und nach Meinung vieler gut funktionierte, kommt mit 15 Sitzen für die SPD und 13 für die Grünen auf die denkbar knappste Mehrheit. Ob man deshalb noch die Linkspartei mit ins Boot holt, diskutieren die Fraktionen ab heute.

„Ich könnte mir das durchaus vorstellen, weil die Linken hier eine sachorientierte Politik machen“, sagt Orkan Özdemir von der SPD-Fraktion.

Die grüne Sozialstadträtin Sibyll Klotz, die wie berichtet bei den Wahlen nicht wieder angetreten ist, ist da eher kritisch: „Mit manchen Linken kann man gut zusammenarbeiten, mit anderen gar nicht. Die waren beispielsweise fünf Jahre lang gegen jeden Wohnungsneubau.“ Ähnlich kritisch sieht sie die Rolle der CDU, die im Bezirk erdrutschartig verloren hat.

Und da steht sie nicht alleine: Bezirksbürgermeisterin Schöttler hat zwar angekündigt, außer mit der AfD mit allen zu reden, aber viele rote und grüne Stadtverordneten können sich eine Zählgemeinschaft mit der CDU nicht vorstellen. „Die sind von den Wählern derartig klar abgestraft worden“, sagt SPD-Mann Özdemir: „Außerdem sind sie in Tempelhof-Schöneberg besonders konservativ.“

Neukölln

Alles beim Alten – zumindest, was die jetzige Zählgemeinschaft von SPD und CDU in Neukölln anbelangt: Zusammen kämen sie auf 29 Sitze, hätten also einen Sitz mehr, als für die absolute Mehrheit notwendig wäre. „Ich habe mich der Bürgermeisterin als Gesprächspartner angeboten“, sagte am Montag der unterlegene CDU-Bürgermeisterkandidat Falko Liecke, der sich in der vergangenen Wahlperiode als Stadtrat für Jugend und Gesundheit profilieren konnte.

Rechnerisch würde es allerdings auch für eine Zählgemeinschaft der SPD mit den Grünen reichen. Die haben in der BVV zwar einen Sitz weniger als die CDU, zusammen mit den 19 Sitzen der SPD wären es aber auch genug für die absolute Mehrheit, zumal rot-grün mit der Tendenz auf Landesebene zusammenpassen würde.

Bürgermeisterin Franziska Giffey kann nicht nur den Bürgermeisterposten erneut beanspruchen, sondern sich auch ihren Partner jetzt aussuchen. „Wir werden morgen Termine für Gespräche ausmachen“, kündigte Giffey an. Noch sei „alles offen“. Da die AfD knapp 13 Prozent holte, wird sie einen Stadtratposten beanspruchen können. „Das entsprechende Ressort sollte wenig mit Menschen zu tun haben“, wünscht sich Liecke. Giffey wollte sich dazu noch nicht äußern, sondern erst die Gespräche mit den potentiellen Partnern abwarten.

Treptow-Köpenick

Die SPD in Treptow-Köpenick um Bürgermeister Oliver Igel hat es in der Hand – obwohl sie fast fünf Prozent verloren hat, kann sie entweder mit den Linken eine knappe Mehrheit bilden, oder aber noch die Grünen mit dazu holen. Was der bessere Weg ist, darüber gehen die Meinungen in der Fraktion auseinander.

Einige streben eine rot-rote Koalition an. Anderen ist die Mehrheit von zwei Stimmen allerdings zu knapp. So hört man aus der Fraktion auch Stimmen, die eine rot-rot-grüne Zählgemeinschaft bevorzugen. So oder so: Um gegen die SPD zu regieren, müsste sich die Linke mit der CDU oder der AfD zusammentun – das wird wohl nicht geschehen. 

Marzahn-Hellersdorf, Lichtenberg, Reinickendorf

Marzahn-Hellersdorf

Die Linke ist stärkste Fraktion, und Spitzenkandidatin Dagmar Pohle könnte wieder Bürgermeisterin werden – wenn andere Parteien mitspielen. Amtsinhaber Stefan Komoß dürfte es jedenfalls nicht mehr schaffen, denn die Zählgemeinschaft aus SPD, CDU und Grünen, die ihn 2011 wählte (und Pohle verhinderte) verlor ihre Mehrheit.

Die Linke kam auf 26 Prozent (minus 5,1 Prozentpunkte, 16 BVV-Sitze), die SPD auf 18,3 (minus 8,1 Punkte, 11 Sitze). Die CDU blieb stabil (17,2 Prozent, minus 0,1 Punkte, 11 Sitze). Zweitstärkste wurde die AfD, die 15 Verordnete stellt (23,2 Prozent) und und einen Stadtrat stellt. Von Pohle wird die AfD schon mal in die Pflicht genommen: Sie halte wenig davon, dem Stadtrat nur ein bedeutungsloses Ressort zu geben. „Wenn sie schon gewählt sind, dann sollten sie auch Verantwortung übernehmen und arbeiten, damit sie keine Zeit haben, auf dumme Gedanken zu kommen.“

Lichtenberg

Lichtenbergs Kenia-Koalition ist Geschichte. Die Zählgemeinschaft aus SPD, CDU und Grünen, die seit 2011 mit Andreas Geisel und anschließend Birgit Monteiro zwei Sozialdemokraten ins Bürgermeisteramt brachte, hat die Mehrheit verloren. Verantwortlich dafür ist das schlechte Abschneiden der SPD.

Stärkste Kraft in der BVV sind die Linken, deren Spitzenkandidatin Evrim Sommer damit die wahrscheinlichste Kandidatin für das Bürgermeisteramt ist. Reden will sie mit allen, sagte sie dem Tagesspiegel, „nur nicht mit der AfD“. Läuft es im Rathaus an der Möllendorffstraße auf Rot-Rot hinaus? Die Chancen für Amtsinhaberin Monteiro sind jedenfalls schlecht, denn ihrem unterlegenen Kenia-Bündnis könnte nur noch die AfD zur Seite springen. Und mit der will ihre Partei auch nichts zu tun haben.

Reinickendorf

Die Reinickendorfer CDU hat zwar bei den BVV-Wahlen das beste Union-Ergebnis geholt, aber auch hier verlor sie sechs Prozentpunkte. Für eine schwarz-grüne Zählgemeinschaft wie bislang wird es nicht mehr reichen, andererseits gibt es eine Mehrheit jenseits der CDU nur unter Einbindung der AfD.

Eine solche Zählgemeinschaft gilt als ausgeschlossen. CDU und SPD hätten zusammen 34 der 55 BVV-Sitze. Auch eine Kombination von CDU, Grünen und FDP wäre denkbar, sie käme auf 31 der 55 Sitze. In jedem Fall dürfte die Wiederwahl von CDU-Bürgermeister Frank Balzer sicher sein. Von der CDU-Spitze des Bezirks heißt es, dass man die Wahl eines AfD-Stadtrats nach sorgfältiger Prüfung der Eignung des Kandidaten nicht durch Verfahrenstricks hintertreiben werde – man wolle keine Märtyrer schaffen. Ein Sprecher der SPD verwies auf eine bevorstehende Gremiensitzung, der man nicht vorgreifen wolle.

Zur Startseite