Gedenkstätte Hohenschönhausen: Hubertus Knabe klagt sich zurück - vorerst
Der freigestellte Leiter der Stasi-Gedenkstätte darf per einstweiliger Verfügung vorerst auf seinen Posten zurückkehren. Lederer will dagegen vorgehen.
Hubertus Knabe soll trotz Sexismus-Vorwürfen vorerst auf seinen alten Posten als Chef der Stasiopfer-Gedenkstätte Hohenschönhausen zurückkehren dürfen. Das hat das Landgericht Berlin nach Tagesspiegel-Informationen am Freitag in einem Eilverfahren entschieden. Es erließ auf Antrag von Knabe eine entsprechende einstweilige Verfügung.
Berlins Kultursenator Klaus Lederer (Linke) will noch am Wochenende in Absprache mit Beamten von Bundeskulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) alle rechtlichen Möglichkeiten prüfen lassen, um die Eilentscheidung des Gerichts anfechten zu lassen. Knabes Kündigung selbst ist aber nicht unwirksam, vielmehr hat Knabe zunächst nur erfolgreich gegen seine vorläufige Freistellung geklagt, um wieder ins Amt eingesetzt zu werden.
Mitte der nächsten Woche will der Stiftungsrat der Gedenkstätte, dessen Vorsitzender Lederer ist, zu einer Sondersitzung zusammenkommen, um das weitere Vorgehen zu beraten. Zudem soll das Verfahren zur Neubesetzung des Chefpostens gestartet werden.
Das Landgericht hat ein Ordnungsgeld in Höhe von 25000 Euro für den Fall festgelegt, dass die einstweilige Verfügung nicht umgesetzt und Knabe der Zugang zur Gedenkstätte verweigert wird.
Eine Gerichtssprecherin bestätigte die Entscheidung. Knabe habe beantragt, dass er weiter bis Frühjahr 2019 beschäftigt werden solle. Er war zum 31. März gekündigt worden. Die beklagte Seite, die Stiftung Gedenkstätte Hohenschönhausen, könne nun Widerspruch gegen den Eil-Beschluss einlegen, sagte die Sprecherin. Dann werde das Gericht in einer mündlichen Verhandlung darüber befinden. Unabhängig davon kann Knabe auch noch im Hauptsacheverfahren gegen die Kündigung klagen.
Hat die Entscheidung Bestand, kann Knabe am Montag in sein altes Büro
Sollte die einstweilige Verfügung aber bis Montag Bestand haben, könnte Knabe mit dem Beschluss in der Hand einfach in der Gedenkstätte auftauchen, in sein bisheriges Büro gehen und dort wieder die Leitung übernehmen. Dann würde er auf Marianne Birthler treffen. Die frühere Chefin der Stasi-Unterlagenbehörde ist im Auftrag des Stiftungsrates als Vertrauensperson tätig - bis eine neue Leitung gefunden ist.
Birthler soll an der Gedenkstätte einen Kulturwandel einleiten. Konkret geht es ihr um mehr Sensibilität für die Grenzen im Umgang mit Frauen - und klare Regeln bei Grenzverstößen. Selbst Stasi-Opfer, die als Referenten in der Gedenkstätte tätig sind, erklärten gegenüber der Stiftung, Knabe habe es trotz aller Verdienste ein Bild in der Öffentlichkeit zu verantworten, wonach an der Gedenkstätte Frauen gedemütigt worden seien.
"Wir hätten Gerüchten mehr Aufmerksamkeit schenken sollen"
Im Nachhinein sei auch die hohe Fluktuation von Mitarbeiterinnen zu erklären, erklärte ein Stasiopfer in einem Schreiben an die Stiftung. Die Referenten hätten durchaus Witze darüber gemacht. „Wir hätten Gerüchten mehr Aufmerksamkeit schenken sollen“, erklärte ein Stasi-Opfer. Anderer wiederum vermuten hinter Knabes Entlassung ein gezieltes politisches Manöver von Lederer, um den unliebsamem Kritiker der Linkspartei los zu werden. Doch das hatte selbst Grütters als falsch zurückgewiesen.
Eine ungewöhnliche Entscheidung
Ob Knabe mit der vor dem Landgericht erwirkten einstweiligen Verfügung nun einen Erfolg erzielt hat, ist fraglich. Sein Dienstherr, die Senatskulturverwaltung, kann ihm Auflagen erteilen.
Sowohl in der Senatskulturverwaltung als auch im Haus von Staatsministerin Grütters wird die nun vorliegende Eilentscheidung des Gerichts als ungewöhnlich bezeichnet. Die vom Land Berlin und vom Bund finanzierte Trägerstiftung war vom Gericht nicht angehört worden - was aber bei einer einstweiligen Verfügung auch nicht nötig ist.
Für die einstweilige Anordnung reicht allein der individuelle Anspruch des Klägers als Betroffener sowie sein Anspruch, das Vorgehen des Gegners vorerst zu stoppen, um es gerichtlich überprüfen zu lassen. Der Kern der Vorwürfe gegen Knabe und die Gründe für seine Entlassung müssen für die Eilentscheidung vom Landgericht also nicht überprüft worden sein.
Knabes Kündigung hat wohl trotzdem Bestand
In der Senatskulturverwaltung und in Grütters Verwaltung wird davon ausgegangen, dass Knabes Kündigung trotz der nun vorliegenden Eilentscheidung Bestand haben wird. Im September hatte der Stiftungsrat Knabe - nach 17 Jahren im Amt - freigestellt und zum 31. März 2019 gekündigt. Die Entscheidung fiel einstimmig. Der Grund: Das Kontrollgremium hat nach Sexismusvorwürfen kein Vertrauen in Knabe, dass er die seit Jahren bestehenden Probleme abstellen könne. Ihm wird zugleich vorgeworfen, die Missstände geduldet und gefördert zu haben.
Dabei geht es um Vorwürfe gegen Knabes bisherigen, ebenfalls gekündigten Vize Helmuth Frauendorfer. Der soll über Jahre Mitarbeiterinnen belästigt haben. Eine vom Stiftungsrat beauftragte Anwältin befand nach einer Untersuchung, die Vorwürfe seien „substanziiert“. Auch Frauendorfers Anwalt hatte erklärt, die Anschuldigungen seien „zum Teil wirklich berechtigt“.
"Ein Frauenbild der 50er Jahre"
Die Senatskulturverwaltung hatte Knabe in den vergangenen Jahren mehrfach aufgefordert, dagegen vorzugehen und Maßnahmen zum Schutz der Frauen zu ergreifen. Dem ist Knabe nach Ansicht von Lederer und Grütters aber nicht oder nur unzureichend nachgekommen.
Ins Rollen kam die Entlassung nachdem mehrere Frauen im Juni in einem Brief an Lederer „eine Regelhaftigkeit übergriffiger Verhaltensmuster“, ein „Frauenbild der 50er Jahre“ und „strukturellen Sexismus“ in der Gedenkstätte beklagt hatten. Knabe zeigte aber auch danach kein Einsehen.
Knabe war zunächst mit einer Kündigungsschutzklage gescheitert. Das Arbeitsgericht Berlin hatte sich nach einer Rüge der Gedenkstättenstiftung für nicht zuständig erklärt - weil Knabe in der Gedenkstätte kein normaler Arbeitnehmer im öffentliche Dienst ist. Deshalb hat sich nun offenbar zivilrechtlich an das Landgericht gewandt.
Der Stiftungsrat kann den Vorstand entlassen und berufen
In der Stiftung, finanziert vom Land Berlin und vom Bund, ist Knabe freigestellter Vorstand. Die Kontrolle übt der Stiftungsrat aus. Knabe ist rechtlich ein eigenes, sogenanntes Organ der Stiftung. An die Aufgaben als Vorstand ist der Posten des Direktors der Gedenkstätte gekoppelt. Für seine Position als Vorstand, abgeleitet aus dem Gesetz und der Satzung der Gedenkstättenstiftung, sind die Regeln einfacher als bei Arbeitnehmern: Der Stiftungsrat kann den Vorstand entlassen und berufen. Nötig ist dafür einzig, dass der Stiftungsrat dem Vorstand Vertrauen entgegenbringt.
Für die Suche nach einer neuen Leitung hat der eigentlich zuständige Kultursenator Lederer das Verfahren komplett an Grütters abgegeben - um dem Verdacht der parteipolitischen Einflussnahme zu entgehen und aus Rücksicht auf die Opfer.
Eine Expertenkommission soll Personalvorschläge machen
Grütters hatte angekündigt, für die Suche eine unabhängige Expertenkommission einzusetzen, die dem Stiftungsrat Personalvorschläge unterbreitet.
Vorsitzender des Stiftungsrats ist Kultursenator Klaus Lederer (Linke), weitere Mitglieder sind eine Vertreterin von Bundeskulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU), Berlins Justizstaatssekretärin Martina Gerlach, die Aufarbeitungsbeauftragte von Sachsen-Anhält, Birgit Neumann-Becker und Dieter Dombrowski, Vizepräsident des Landtags Brandenburg und Chef des SED-Opfer-Dachverbandes UOKG.
Für Dombrowski kam die Eilentscheidung des Landgerichts zur Unzeit. Am Samstag war der Gedenkstätte in der Normannenstraße das UOKG-Verbändetreffen angesetzt. Im Rahmen des Treffens ist auf Antrag einzelner Verbände eine außerordentliche Mitgliederversammlung anberaumt worden, einziges Thema dabei: ein Misstrauensantrag gegen Dombrowski.
Begründet wurde die Rücktrittsforderung vor allem mit Äußerungen Dombrowskis über die Linkspartei. Auch sein Verhalten im Stiftungsrat und die Zustimmung zu Knabe Entlassung wird von Kritikern als Anbiederung an die Linke kritisiert. Der CDU-Politiker hatte wie sein Brandenburger Landesparteichef Ingo Senftleben eine Zusammenarbeit mit den Linke nicht ausgeschlossen, weil klassische Zweierbündnisse in Brandenburgs Regierung allen Umfragen zufolge nicht mehr möglich sein werden. Beim Start der ersten rot-roten Regierung in Brandenburg 2009 hatte Dombrowski protestiert und war in Häftlingskleidung im Landtag erschienen. Er selbst saß als Republikflüchtling in der DDR ein.
Doch Dombrowski hat die Kritik überstanden, der Misstrauensantrag ist gescheitert. Ihm sei mit deutlicher Mehrheit das Vertrauen ausgesprochen worden, erklärte Dombrowski am Abend. "Zu dem, was ich gesagt habe, stehe ich", sagte der UOKG-Vorsitzende. "Wenn sich jemand verletzt fühlen sollte, dann bedauere ich das", sagte Dombrowski.
Er habe sich dafür entschuldigt, dass ein Interview, in dem er sich als CDU-Politiker geäußert habe, durch eine Überschrift als Äußerung für die gesamte UOKG verstanden worden sei. Er habe den Mitgliedern aber versichert, dass er künftig seine verschiedenen Funktionen deutlicher voneinander trennen werde.
Knabe selbst äußert sich kaum noch öffentlich
Und Hubertus Knabe? Knabe selbst äußert sich kaum noch öffentlich, Anfragen blieben bislang unbeantwortet. In einer schriftlichen Erklärung vom Oktober kritisierte Knabe die Berichterstattung der Medien, die der Gedenkstätte nicht gerecht werde und das Anliegen der Aufarbeitung der SED-Diktatur beschädige. Dass an der Gedenkstätte ein Klima der Angst und des Mobbings geherrscht hätte, wies Knabe als falsch zurück. Er habe seine Mitarbeiter immer fair und respektvoll behandelt.
Im Hintergrund soll Knabe seit Wochen Unterstützer um sich scharen, wie Insider berichtet. Konservative bis rechtspopulistische Kommentatoren beziehen Stellung für Knabe und befeuern den von Grütters zurückgewiesenen Vorwurf, Knabe sei aus parteipolitischen und ideologischen Gründen gekündigt worden.
Prominente sammeln Spenden auf der Internetseite "Gerechtigkeit für Hubertus Knabe"
Ein prominenter Unterstützerkreis ruft auf einer eigens geschalteten Internetseite „Gerechtigkeit für Hubertus Knabe“ zu Spenden auf. Dort heißt es: Knabe sei kein Grund für die Entlassung mitgeteilt worden. „Die Absetzung widerspricht fundamentalen Grundsätzen des Rechtsstaats und des Arbeitsrechts. Der Verdacht steht im Raum, dass die handstreichartige Entlassung politisch motiviert war, um einen unbequemen Kritiker und Mahner auszuschalten.“
Der Kreis der auf der Internetseite erwähnten Unterstützer ist bemerkenswert, einige von ihnen standen in den vergangenen Jahren selbst wegen umstrittener Äußerungen in der Kritik, etwa Jörg Baberowski, Osteuropa-Historiker an Humboldt-Universität Berlin. Aber auch der sächsische Bundestagsabgeordnete Arnold Vaatz, der immerhin Vize-Chef der Unionsfraktion ist. Weitere Unterstützer sind Hugo Diederich, Bundesgeschäftsführer der Vereinigung der Opfer des Stalinismus, Peter Hoeres, Professor für Neueste Geschichte aus Würzburg, Hermann Schäfer, Gründungspräsident der Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, sowie der Unternehmer Alexander Fürst zu Schaumburg-Lippe.
Knabe, "derzeit freigestellt"
Knabe ist derweil weiter bei Twitter aktiv, verbreitet dort vor allem Beiträge anderer, darunter kritische Interviews zum UN-Migrationspakt, über die angebliche Rücksicht auf Linksextremisten in Deutschland oder Kommentare, die die Frauenquoten kritisieren, weil zugleich in Deutschland Frauen zwangsverheiratet, verstümmelt, Opfer eines Ehrenmords, vergewaltigt werde und Plätze in Frauenhäusern fehlen. Am Samstag stand in seiner Profil-Beschreibung: „Historiker und Direktor der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen, derzeit freigestellt.“