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Marianne Birthler, ehemalige Leiterin der Stasi-Unterlagen-Behörde, soll nach der Entlassung von Direktor Hubertus Knabe Vertrauensperson für die Mitarbeiter der Stasi-Gedenkstätte Hohenschönhausen werden.
© picture alliance / dpa
Update

Stasi-Gedenkstätte Hohenschönhausen: Nach Entlassung Knabes: Stiftungsrat holt Marianne Birthler

Auf Wunsch des Stiftungsrates soll die ehemalige Bundesbeauftragte für Stasi-Unterlagen Marianne Birthler als Vertrauensperson ein neues Arbeitsklima schaffen.

In der Führungskrise der Stasi-Gedenkstätte Hohenschönhausen gibt es eine überraschende Wendung. Marianne Birthler, langjährige Bundesbeauftragte für Stasi-Unterlagen, wird vom Stiftungsrat als Vertrauensperson für die Mitarbeiter eingesetzt. Entsprechende Tagesspiegel-Informationen bestätigte Kultursenator Klaus Lederer (Linke), der Vorsitzender des Stiftungsrats ist, am Donnerstag in der Fragestunde des Abgeordnetenhauses. "Ich bin überzeugt, dass Frau Birthler die notwendige Erfahrung und Sensibilität mitbringt, um mit der schwierigen Situation in der Gedenkstätte gut umzugehen", sagte Lederer. Als unabhängige Beraterin solle sie bei der Suche nach einem Nachfolger für den bisherigen Direktor Hubertus Knabe mithelfen und bis dahin die Übergangsphase nach innen und außen als Ansprechpartnerin begleiten. Das ermögliche es auch dem Stiftungsrat, sich nicht in das "operative Geschäft" der Gedenkstätte einmischen zu müssen.

Am Dienstag war der langjährige Gedenkstättenleiter Hubertus Knabe vom Stiftungsrat unter der Leitung von Lederer einstimmig abberufen worden, da er offenbar Vorwürfen sexueller Belästigung gegen seinen Stellvertreter nicht konsequent nachgegangen war und ihm ein Kulturwandel in der Gedenkstätte nicht mehr zugetraut wird.

Birthler soll nun die von den Ereignissen erschütterte Gedenkstätte stabilisieren und ein neues Arbeitsklima etablieren, heißt es aus Stiftungskreisen. Eine schnelle Interims-Nachfolge für Knabe wird es wohl erst einmal nicht geben, weil zunächst die erwarteten arbeitsgerichtlichen Auseinandersetzungen mit Knabe abgewartet werden müssen.

Birthler gilt als integer

Marianne Birthler, die von 2000 bis 2011 die Stasi-Unterlagen verwaltete, gilt in der DDR-Aufarbeitungsszene als integre Figur. Die frühere Bürgerrechtlerin, die zu Wendezeiten in kirchlichen Oppositions- und Friedenskreisen aktiv war, machte sich nach dem Umbruch einen Namen als Politikerin von Bündnis 90/Die Grünen. In der Aufarbeitung vertrat sie mit Nachdruck ihre Prinzipien, etwa als sie als Ministerin in Brandenburg zurücktrat, nachdem die Stasi-Verstrickungen von Manfred Stolpe bekannt geworden waren – oder als sie sich als Stasi-Akten-Beauftragte heftig mit dem damaligen Innenminister Otto Schily um die Herausgabe von Stasi-Unterlagen zu Altkanzler Helmut Kohl stritt.

Birthler erlangte durch ihre Standhaftigkeit und ihr im persönlichen Umgang ausgleichendes Auftreten auch Renommee in der Bundespolitik; vor zwei Jahren wollte Bundeskanzlerin Angela Merkel sie als Kandidatin für das Amt der Bundespräsidentin gewinnen. Zuletzt kuratierte Marianne Birthler, 70, die innovative Ausstellung „Unbuilding Walls“ – den deutschen Beitrag zur Architekturbiennale in Venedig. Noch immer gilt sie als eine der wenigen hörbaren Stimmen für ostdeutsche Belange. Zuletzt sagte sie im Tagesspiegel-Interview: „Die Menschen im Osten spüren, dass überall dort, wo wichtige Entscheidungen getroffen werden, kaum Ostdeutsche vertreten sind.“

Nun will Birthler wieder für Menschen eintreten, die verunsichert sind: die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Gedenkstätte Hohenschönhausen. Diese haben nach Überzeugung des Stiftungsrats offenbar zu sehr in einem Klima der Eingrenzung arbeiten müssen; selbst Dienstgänge hätten sie sich von Behördenleiter Knabe genehmigen lassen müssen, heißt es aus Personalkreisen. Zudem sind offensichtliche sexuelle Belästigungen von Knabes inzwischen ebenfalls entlassenen Vize Helmuth Frauendorfer offenbar toleriert worden.

Fast den gesamten Mittwoch über hatten Kultursenator Lederer und die Vize-Stiftungsratsvorsitzende Maria Bering Gespräche mit dem Personal in Hohenschönhausen geführt, das unter Knabes Leitung den ehemaligen Stasi-Knast zu einem der meistbesuchten Erinnerungsorte Berlins gemacht hat. Knabe selbst äußerte sich in der Nacht zu Donnerstag auf Twitter: „Ich bin erschüttert, dass ich jetzt nach 17 Jahren auf die Straße gesetzt werde.“ Zudem ließ er wissen, dass er die Aufgabe gerne fortführen wolle – damit kündigen sich langwierige arbeitsrechtliche Auseinandersetzungen an.

Lederer machte in der Parlamentssitzung erneut deutlich, dass für den gesamten Stiftungsrat eine weitere Zusammenarbeit mit Knabe nicht in Frage kommt. Das Einstellungsverhältnis werde im Rahmen der rechtlichen Möglichkeiten so schnell wie möglich aufgelöst, "selbstverständlich haben wir dem bisherigen Direktor die Möglichkeit zur Stellungnahme gegeben", dementierte der Senator einen anderslautenden Medienbericht. Es bedürfe jetzt eines grundlegenden Klima- und Kulturwandels in der Gedenkstätte, in der die Mitarbeiter seit Jahren eine hervorragende Arbeit leisteten. "Darauf sollen sie auch künftig stolz sein können." Der AfD und FDP riet Lederer, die Situation nicht politisch zu instrumentalisieren. "Damit sind Sie auf dem Holzweg und erweisen der Gedenkstätte keinen guten Dienst."

Robert Ide, Ulrich Zawatka-Gerlach

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