Stasi-Gedenkstätte Hohenschönhausen: Direktor Hubertus Knabe muss nach Sexismus-Vorwürfen gegen seinen Vize gehen
Mitarbeiter "überrascht und überwältigt" nach Entlassung des Direktors der Gedenkstätte, empörte Reaktionen aus der Politik.
Hubertus Knabe soll nicht mehr die Stasiopfer-Gedenkstätte führen. Darauf hat sich der Stiftungsrat am Dienstagnachmittag in einer mehrstündigen Krisensitzung verständigt. Damit hat das Gremium unter Vorsitz von Berlins Kultursenator Klaus Lederer (Linke) die Konsequenzen aus den Belästigungsvorwürfen gegen Knabes Vize Helmuth Frauendorfer gezogen. Die Entscheidung des Stiftungsrates fiel einstimmig.
Knabe sei freigestellt worden, ihm soll ordentlich gekündigt werden, hieß es. Am Abend bestätigte die Senatskulturverwaltung offiziell: Der Stiftungsrat habe kein Vertrauen, dass Knabe „den dringend notwendigen Kulturwandel in der Stiftung einleiten wird, geschweige denn einen solchen glaubhaft vertreten kann“.
Nach der Entscheidung des sechsköpfigen Stiftungsrates wird auch das Anstellungsverhältnis mit Frauendorfer schnellstmöglich gekündigt. Die Untersuchung der Vorwürfe war für Lederer kein einfaches Unterfangen. Vor der Krisensitzung des Stiftungsrates war klar: Vize-Direktor Helmuth Frauendorfer, der Mitarbeiterinnen sexuell belästigt haben soll und seit Montag beurlaubt ist, wird kaum zu halten sein. Und es gab Signale, dass Lederer, aber auch Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) Knabe gern los werden wollen.
Ausgerechnet Lederer: Knabe hatte im Herbst 2016 harsche Worte genutzt, dass ein Linke-Politiker wieder Kultursenator werden sollte. Lederers Partei habe immer noch ein positives Verhältnis zur DDR und könne schwerlich Verantwortung tragen für die Aufarbeitung des SED-Unrechts. Berlins Kultursenator ist qua Amt zugleich Vorsitzender des Stiftungsrates der von Bund und Berlin finanzierten Gedenkstätte, die aus dem früheren zentralen Untersuchungsgefängnis der Staatssicherheit hervorging und an politische Willkür und Unrecht erinnern soll.
Nun lässt sich Lederer nicht vorwerfen, er würde sich den Debatten um die Geschichte seiner Partei nicht stellen; im Gegenteil. Schon bevor er Ende 2016 ins Amt kam, sprach er öffentlich mit Knabe. Bei einem Festakt der „Union der Opferverbände kommunistischer Gewaltherrschaft“ sprach er ein persönliches Grußwort, für einige Opfer ein Affront, doch Lederers Ehrlichkeit brachte ihm Beifall ein.
Und so verhielt sich Lederer stets mit Vorsicht im Umgang mit der Gedenkstätte. Etwa als Knabe im Juni die Zusammenarbeit mit einem früheren politischen Gefangenen aussetzte, weil der offen über seine Sympathie mit der AfD und seine Zweifel am Umgang der Justiz mit dem Holocaust-Leugner Horst Mahler sprach. Ebenso kurz danach, als Knabe die Zusammenarbeit mit dem Förderverein wegen der AfD-Nähe des Vorsitzenden Jörg Kürschner vorerst beendet hat.
Druck hinter den Kulissen
Auch in der Debatte um die Vorwürfe, Knabes Vize habe Mitarbeiterinnen über Jahre sexuell belästigt, hielt sich Lederer öffentlich bedeckt. Um das weitere Verfahren, das sich auch gegen Knabe richtete, nicht zu gefährden, aber auch um sich nicht dem Vorwurf auszusetzen, er gehe gegen einen für die Linke unliebsamen Gedenkstättenchef vor. Und doch hat er hinter den Kulissen Druck gemacht. Eine Anwältin hat nach Tagesspiegel-Informationen im Auftrag der Kulturverwaltung nach Gesprächen mit Frauen, die die Belästigungsvorwürfe erhoben haben, ein Gutachten erstellt. Das soll nicht nur Frauendorfer, sondern auch Knabe belasten: Führungsversagen, aktives Wegschauen. Seit Bekanntwerden der Fälle in der vergangenen Woche sollen sich weitere Betroffene gemeldet haben.
Ganz neu waren die Vorwürfe nicht, schon der frühere Kulturstaatssekretär Tim Renner war 2016 damit befasst. Damals erteilte Knabe seinem Vize eine Mahnung, drohte ihm bei Wiederholung Konsequenzen an. Inzwischen gestand Frauendorfers Anwalt sogar Fehlverhalten ein.
2017 kamen wieder Gerüchte auf, im Januar 2018 landeten anonyme Belästigungsvorwürfe bei Lederer, der reichte das Knabe weiter. Der zog sich darauf zurück, dass er mehrfach vergeblich weitere Informationen von Lederers Verwaltung gefordert habe und dann zur Klärung im April die Staatsanwaltschaft einschaltete. Der blieb nichts anderes übrig, als das Verfahren einzustellen – zu vage war alles.
Anfang August informierte Lederers Verwaltung Knabe, dass es neue Belästigungsvorwürfe gebe. Am Montag vergangener Woche konfrontierte der rbb Knabe mit konkreten Vorwürfen, erhoben von sieben Frauen in einem Brief von Anfang Juni an Lederer und Kulturstaatsministerin Grütters. Am Dienstag traf ein Schreiben von Lederer zu den konkreten Vorwürfen ein. Donnerstagmorgen wurde alles öffentlich. Seither war Knabe um Schadensbegrenzung bemüht. Am Montag beurlaubte er seinen Vize. Knabe beklagte noch, dass sich die Frauen mit ihren Problemen nicht an den Personalrat oder an ihn selbst gewandt hätten. Für die Frauen muss das eher wie Hohn klingen, wo doch jeder wusste, dass Knabe und Frauendorfer Duz-Freunde sind.
„Frauenbild der 50er Jahre“
Deshalb ging es auch nicht mehr nur um Frauendorfer, der Mitarbeiterinnen privat kontaktiert, über Jahre jungen Frauen körperlich zu nahe getreten sein und ihnen seine Sex-Vorlieben berichtet haben soll. Es steht auch die Frage im Raum, ob das alles durch das System Knabe begünstigt wurde – und ob er der Richtige ist, um die Vorgänge aufzuklären. In ihrem Brief schrieben die betroffenen Frauen, dass sie bei ihren Vorgesetzten „eine Regelhaftigkeit übergriffiger Verhaltensmuster“ festgestellt haben. Ein „Frauenbild der 50er Jahre“ habe vorgeherrscht. Abteilungsleiter sollen sich die Führungsetage und ihren „strukturellen Sexismus“ zum Vorbild genommen haben, körperliche Nähe gesucht, anzügliche Komplimente gemacht haben.
Moralapostel sollten zumindest klug genug sein, Sexismus, Übergriffe und andere unschöne Dinge in ihren Einrichtungen zu unterbinden. Knabe sah nur den Dreck der DDR Vergangenheit, aber nicht im eigenen Umfeld. Sein Sturz ist wohlverdient!
schreibt NutzerIn ehemfreierblick
Bereits 2014 war das Betriebsklima Thema im Beirat, ebenso 2017. Knabe aber soll alles von sich gewiesen haben. Allerdings schreiben die Frauen auch über das Betriebsklima: Es gebe eine „gering strukturierte Arbeitsorganisation“ gepaart mit „ eingeforderter maximaler Verfügbarkeit und Arbeitsbelastung mit starkem psychischem Druck durch Zeitverträge“. Die Fluktuation der Mitarbeiter sei groß, heißt es, bei Frauen in der Gedenkstättenlandschaft in Ostdeutschland habe Hohenschönhausen keinen guten Ruf.
Im Innenleben der Gedenkstätte, aber auch unter SED-Opfern hat sich Knabe eine eigene Machtbasis aufgebaut – und Knabe ist in der Szene ein wichtiges, weil öffentlich bekanntes und markantes Sprachrohr. Die Führung der nach Besucherzahlen sehr erfolgreichen Gedenkstätte verbreite intern das Gefühl, es sei ihre persönliche Gedenkstätte, gewissermaßen der Stachel im Fleisches des roten Berlin, sagen manche. Dazu beigetragen hat laut Beobachtern auch der Senat selbst: Niemand wollte sich bislang ernsthaft mit Knabe anlegen, zu groß, zu einflussreich seien seine Unterstützer. Und Knabe hat seinen Einfluss sogar noch ausgebaut, die Gedenkstätte zur Aufklärungsstelle über Linksextremismus gemacht, damit ein zweites Standbein aufgebaut. Der Bundestag hat in den Haushalt – auf Druck der CDU – sogar fünf Millionen Euro für die Gedenkstätte geschrieben, für Projekte gegen Linksextremismus.
FDP empört über Knabes Kündigung
Wie geht es nun weiter? Der Berliner Grünen-Abgeordnete Andreas Otto sagte , die bewährte Arbeit der Gedenkstätte mit den Zeitzeugen und Stasi-Opfern müsse fortgesetzt werden. Die Auseinandersetzung und Aufarbeitung mit dem DDR-Unrecht dürfe man nicht infrage stellen. Lederer sagte am Abend im rbb, jetzt werde zügig eine Ausschreibung und ein Auswahlverfahren für Knabes Nachfolge in die Wege geleitet. Es müsse jemand gefunden werden, der den Kulturwandel in der Gedenkstätte starten kann. Es müsse alles getan werden, dass die Gedenkstätte trotz der Verunsicherung infolge der Belästigungsvorwürfe und trotz der Veränderungen ihre Arbeit gut weiterführen könne.
Bei der FDP reagiert man empört auf die Kündigung Knabes. Als "späte Rache der SED-Erben in Gestalt der Linkspartei im Berliner Senat" bezeichnet Stefan Fördter, Sprecher der FDP-Fraktion für Wissenschaft, Forschung und Denkmalschutz im Abgeordnetenhaus, die Entlassung. "Obwohl nach jetzigen Kenntnisstand gegen ihn selbst keine rechtlich relevanten Vorwürfe erhoben worden sind, wurden anonyme Schreiben dazu missbraucht, den missliebigen Hubertus Knabe nach 18 Jahren untadeliger Arbeit aus dem Amt zu hebeln. Die Arbeit der Gedenkstätte Hohenschönhausen wird darunter leiden", so Förster weiter.
Auch CDU-Fraktionschef Burkard Dregger äußerte sich zu Knabes Entlassung: „Wir müssen jetzt verhindern, dass die Neubesetzung dieses wichtigen Amtes dazu missbraucht wird, den Blick auf das DDR-Unrechtsregime zu vernebeln. Und es darf keine parteipolitische Einflussnahme geben.“
"Ab und an mal ein dummer Spruch"
Lederer will am Mittwoch die Mitarbeiter informieren und in der Gedenkstätte Gespräche führen. Zudem will der Kultursenator nach Tagesspiegel-Informationen eine Interimsleitung für etwa sechs Monate präsentieren, bis ein neues Direktorenteam übernimmt.
Aus internen Kreisen der Gedenkstätte heißt es, man sei überrascht und überwältigt von der Situation. Einem Mitarbeiter zufolge habe man von Frauendorfer ab und an mal einen "dummen Spruch" gehört, aber niemand habe das Ausmaß dahinter erkennen können. Es sei auch nicht intern darüber geredet worden. Dass die Vorwürfe nun auch Knabe treffen würden, damit habe niemand gerechnet.