Sexuelle Belästigung in Berlin: Lederer prüft Vorwürfe in Stasi-Gedenkstätte Hohenschönhausen
Belästigung und "struktureller Sexismus": Sieben Frauen erheben schwere Vorwürfe gegen den Vize-Chef der Stasi-Gedenkstätte. Der Senat hat sich eingeschaltet.
Kultursenator Klaus Lederer (Linke) lässt schwere Belästigungsvorwürfe gegen den Vize-Direktor der Stasi-Gedenkstätte Hohenschönhausen, Helmuth Frauendorfer, aber auch das Agieren von Gedenkstätten-Direktor Hubertus Knabe prüfen. Die Senatskulturverwaltung bestätigte Berichte der „Berliner Zeitung“ und des RBB, wonach sich sieben Frauen, teils noch Mitarbeiterinnen der Stasi-Gedenkstätte, in einem Brief an Lederer und Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) gewandt haben. In dem Schreiben berichten sie über „eine erschreckende Regelhaftigkeit übergriffiger Verhaltensmuster“ bei den Vorgesetzten – bis hin zu sexueller Belästigung. Die soll Knabe über Jahre geduldet haben.
Gedenkstätten-Chef Knabe verspricht Aufklärung
Der Brief ist auf den 8. Juni 2018 datiert und liegt dem Tagesspiegel vor. Lederers Sprecher sagte, es habe bereits 2016 Vorwürfe gegeben, die die Senatsverwaltung beschäftigt hätten. In dem Brief sei nun von erneuten Vorwürfen die Rede. Nach Erhalt des Briefs habe die Senatskulturverwaltung sofort Untersuchungen eingeleitet und stehe dazu auch in Kontakt mit Kulturstaatsministerin Grütters.
„Wir sind auf mehreren Ebenen intensiv dabei, die Vorwürfe aufzuklären“, sagte der Sprecher. Es werde eine Reihe von Gesprächen geführt. Um über Konsequenzen seriös entscheiden zu können, müssten die Untersuchungen aber abgewartet werden.
Ein Sprecher von Kulturstaatsministerin Grütters wollte sich „aus arbeitsrechtlichen Gründen“ nicht im Detail äußern. Der Stiftungsrat unter Vorsitz von Klaus Lederer gehe aber allen Vorwürfen rückhaltlos nach und befasst sich am Dienstag auf einer Sondersitzung mit dem Fall. Dabei soll auch über Konsequenzen beraten werden.
Senat und Bund waren äußerst zurückhaltend, damit mögliche arbeitsrechtliche Schritte gegen Frauendorfer nicht gefährdet werden. Frauendorfer sei weiter im Amt und bislang nicht suspendiert, erklärte Lederers Sprecher auf Nachfrage. Frauendorfer selbst konnte sich am Donnerstag nicht äußern, er weilt im Urlaub.
Dem Brief der Betroffenen zufolge soll Frauendorfer über Jahre hinweg jungen Frauen zu nahe getreten sein, indem er ihnen etwa spätabends oder nachts Kurznachrichten geschrieben haben soll. In den Nachrichten soll er Arbeitsaufträge erteilt und Einladungen zu privaten Treffen ausgesprochen haben – mit dem Angebot, bei ihm zu schlafen. Auch soll sich Frauendorfer körperlich angenähert und über seine sexuellen Vorlieben wie Besuche im Bordell oder im Swinger-Club und bevorzugte Sex-Praktiken berichtet haben. Ebenso, dass er eine nicht-monogame Beziehung führe.
Der Gedenkstätten-Direktor Hubertus Knabe zeigte sich Donnerstag „entsetzt, wenn ich höre, dass sich Mitarbeiterinnen der Gedenkstätte von meinem Stellvertreter bedrängt gefühlt haben. Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz ist ein absolutes No-Go.“ Er bedauere, dass sich die Mitarbeiterinnen nicht an den Personalrat und an die Leitung gewandt hätten.
Die Gedenkstätte habe erst am Montag durch eine Anfrage des RBB von den Vorwürfen erfahren. Tatsächlich hatte Lederers Verwaltung die Gedenkstätte bereits Anfang August über neue Beschwerden gegen Frauendorfer informiert. Zugleich sollte Frauendorfer angehört werden, auch Knabe selbst erhielt am Dienstag einen Anhörungsbogen.
Die Vorwürfe stehen seit Jahren im Raum
Die Belästigungsvorwürfe stehen seit Jahren im Raum, spätestens seit 2016. Dem RBB gegenüber soll Frauendorfer nun über einen Anwalt Fehlverhalten und Mangel an Sensibilität eingeräumt, aber zugleich betont haben, „das abgestellt zu haben, nachdem er vor gut zwei Jahren vom Direktor der Gedenkstätte darauf angesprochen worden sei“.
Allerdings beziehen sich die Vorwürfe auch auf die Zeit nach 2016. Gedenkstätten-Direktor Knabe erklärte, er sei Beschwerden über seinen Vize nach bestem Wissen und Gewissen nachgegangen. Er habe Frauendorfer im Frühjahr 2016 „derartige Kommunikationsformen untersagt“ und bei Wiederholung Konsequenzen angedroht.
Im Januar 2018 ist Knabe dann von der Senatskulturverwaltung erneut über anonyme Belästigungsvorwürfe informiert worden. Am Donnerstag erklärte Knabe, er habe im April 2018 Strafanzeige gegen Unbekannt erstattet. Die Staatsanwaltschaft habe das Ermittlungsverfahren jedoch im August eingestellt, da kein hinreichender Tatverdacht zu erkennen gewesen sei. Um erneuten Vorfällen vorzubeugen, habe er im Frühjahr mit dem Personalrat eine Dienstvereinbarung zum Beschäftigtenschutz und respektvollem Umgang am Arbeitsplatz abgeschlossen.
Wörtlich heißt es in dem Schreiben der betroffenen Frauen: Die Übergriffe hätten in „enge, fast intime körperliche Nähe und Berührung wie Streichen über die Arme, enge Umarmungen bei Mitarbeiterinnen, unsachliches Lob, das Äußerlichkeiten (Figur, Schönheit) betont“ gegipfelt. Zudem wird über „teils sexistische Zurückweisung“ berichtet.
"Frauenbild der 50er Jahre" oder eine "Prise Humor"?
Vorwürfe haben die Frauen aber auch gegen Hubertus Knabe erhoben. Er habe sich gegenüber einigen inadäquat geäußert. Frauendorfer und dessen Chef Knabe sollen insgesamt ein Klima erzeugt haben, das einem „Frauenbild der 50er Jahre“ entsprochen habe. Knabe hat das gegenüber dem RBB zurückgewiesen.
Die Stiftung Gedenkstätte Hohenschönhausen fühle sich einem modernen Frauenbild verpflichtet. Demnach gehörten Anzüglichkeiten nicht zu seinem Sprachgebrauch. Er würde die Beschäftigten mit Respekt und Wertschätzung behandeln. Dazu gehöre auch Anteilnahme an ihrem persönlichen Leben und „eine Prise Humor“.
Die betroffenen Frauen beklagen grundlegend einen „strukturellen Sexismus aus der Führungsetage als role model für andere männliche Abteilungsleiter, körperliche Nähe und privaten Kontakt zu jungen Mitarbeiterinnen zu suchen, anzügliche Bemerkungen zu machen“. In dem Brief heißt es weiter, Frauen würden in der Gedenkstätte offen als „formbar“ gelten.
Die sieben Frauen haben von 2011 bis 2018 als wissenschaftliche Volontärinnen, Freiwillige im Sozialen Jahr und Praktikantinnen in der Gedenkstätte gearbeitet und möchten „aus Furcht vor beruflichen Nachteilen“ anonym bleiben.
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