Tod des Altbundeskanzlers: Helmut Kohl - Architekt des heutigen Berlins
Er hatte eine Wohnung in Wilmersdorf, saß im falschen U-Bahnzug nach Spandau. Zu Helmut Kohl pflegten die Berliner immer ein ambivalentes Verhältnis.
Die Bonner fühlten sich überrumpelt. Helmut Kohl, ihr Bonner Bundeskanzler, sprach sich am 20. Juni 1991 nachdrücklich für Berlin aus in jener historischen Abstimmung über den Sitz der Bundesregierung. Zuvor hatte Kohl sich lange bedeckt gehalten in der emotional geführten Debatte über den künftigen Regierungssitz, mehrmals sogar eine Aufteilung der Funktionen zwischen Bonn und Berlin vertreten. Erst nachträglich schien auf, dass Kohl sich insgeheim längst für Berlin entschieden hatte, schon am 3. Oktober 1990, als vor dem Reichstag die deutsche Vereinigung gefeiert wurde.
Kohl war immer Berlin-Fan
Dankbarkeit erntete Helmut Kohl von den Berliner trotzdem nicht; die ruppigen Berliner pflegten immer ein ambivalentes Verhältnis zu ihm, manchmal fremdelnd, zuweilen anerkennend, nie euphorisch. Mehr als einmal erlebte Kohl hier Ablehnung und fühlte sich nicht gewürdigt, zuweilen haderte selbst die Berliner CDU mit ihrem Bundesvorsitzenden und Kanzler.
Vor allem der Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen war Kohl so fern wie Bonn und Berlin. Dabei fühlte sich Helmut Kohl der alten und neuen Hauptstadt eng verbunden. Sein Berlin. Regelmäßig besuchte er privat die damals geteilte Stadt. Kohl ist Berlin-Fan, das merke aber niemand, sagte etwa sein damaliger Sprecher Friedhelm Ost zu Zeiten, als man sich in der Bonner Politik innerlich mit den zwei deutschen Staaten abgefunden hatte und niemand mehr an die Wiedervereinigung glaubt.
So prägte er das Stadtbild
Der Kanzler, der ausgeprägte Emotionalität mit dem kühlen Blick des Historikers verband, hat in Berlin früh das geschichtliche Feld gesehen, auf dem sich Deutschland präsentieren muss: „Es ist eine Frage des Selbstbewusstsein eines Landes, welche Hauptstadt sie hat.“ Das war seine Leitlinie. Mit diesem Gestus hat der Architekt der Wiedervereinigung, der wusste, dass Macht sich auch in Bauten verdinglichte, seine Hauptstadt gedacht und hat sich eingraviert in die Geschichte. Wer baut, der bleibt. Zur Tragik des Berliner Ehrenbürgers gehört, dass er sein Kanzleramt nie bezog – als die Bundesregierung 1999 an die Spree zog, war Kohl schon von Gerhard Schröder abgelöst worden.
Doch zu Helmut Kohls Erbe gehören Bauten, die heute das Stadtbild prägen, vom Regierungszentrum mit dem „Band des Bundes“ über die gläserne CDU-Bundeszentrale bis zur Neuen Wache. Vorangebracht oder durchgesetzt hat sich Kohl zuweilen mit einem majestätischem Gestus, der sich nicht um Bauwettbewerbe oder Abstimmungsprozeduren kümmerte. Etwa beim Deutschen Historischen Museum, als Kohl ganz persönlich den Baumeister Pei mit dem Erweiterungsbau beauftragte. Selbst im Untergrund zog Kohl die Fäden: Für den Bau der Stummel-Linie vom Brandenburger Tor zum Hauptbahnhof setzte sich Kohl derart nachdrücklich ein, dass sie alsbald den Spitznamen „Kanzler-U-Bahn“ hatte.
Ein Autogramm vom "schwarzen Riesen"
Schon in den achtziger Jahren fuhr Kohl regelmäßig nach Berlin, oft zusammen mit Ehefrau Hannelore. Das Ehepaar hatte später in Wilmersdorf eine eigene Wohnung, und der Zoologische Garten in Kohl einen regelmäßigen Besucher. Der „schwarze Riese“ genoss bei seinen Aufenthalten durchaus die Begegnungen mit den Berlinern, die damals für jede Unterstützung aus der fernen rheinischen Ersatz-Hauptstadt dankbar waren.
Als im Oktober 1984 die aus dem Bundeshaushalt bezahlte U-Bahnlinie nach Spandau eröffnet wurde, war Kohl im falschen Zug – und gleichwohl im richtigen Leben. Der vorgesehene Sonderzug der Honoratioren ging wegen eines Protokollfehlers ohne den Kanzler auf die Strecke. Der war irrtümlich in einen früheren Zug mit normalen Bürgern eingestiegen und kam kaum hinterher, Autogramme für begeisterte West-Berliner zu schreiben.
Auch bei einem sogenannten Kanzlerfest unterm West-Berliner Funkturm im September 1986 war ein Kohl zu erleben, der derart von Fans eingekeilt war, dass ihm seine Sicherheitsleute handgreiflich Bewegung verschaffen mussten. Bei der Tollerei im Sommergarten, den selbst der stets nüchterne Eberhard Diepgen ungewohnt locker ein „Treibhaus des Vergnügens“ nannte, tanzte Helmut Kohl ausgelassen mit der damaligen Senatorin Hanna-Renate Laurien, Bekannte aus gemeinsamen Zeiten in Mainz.
Nicht jeder durfte nach Berlin
Berlin, so hatte Kohl schon in den Anfangsjahren seiner Kanzlerschaft gesagt, müsse für deutsche Politiker „eine zweite Heimat“ sein. Daran hielt er sich selbst. Kohl kam immer an die Spree, wenn es galt, hier Mut zu machen. Er war dabei, als Ende 1986 der Computerkonzern Nixdorf 6000 neue Arbeitsplätze in den früheren AEG-Hallen in Wedding ankündigte – die es dann nie wurden, weil Nixdorf abstürzte. Der Kanzler warb für den gefährdeten Wirtschaftsstandort Berlin, der nur durch üppige Subventionen des Bundes überleben konnte, bei Unternehmerkonferenzen, der Funkausstellungen oder Begegnungen mit Konzernlenkern.
Der damalige CDU-Bundesvorsitzende Kohl nutzte zugleich entschlossen die Chance, die sich der CDU in Berlin bot, als die skandalgeschüttelte und ausgebrannte SPD 1981 zu vorzeitigen Neuwahlen gezwungen wurde. Auch im eigenen Interesse: Der Machtwechsel in Berlin nach langer SPD-Regierungszeit war zugleich ein Signal für die Ablösung der SPD/FDP-Koalition in Bonn.
Kohl sorgte dafür, dass in Berlin eine CDU in Bestform antrat – überwiegend eingeflogen in die Mauerstadt: angefangen vom Spitzenkandidaten Richard von Weizsäcker über Hanna Renata Laurien, den späteren Bundesminister Norbert Blüm oder den damaligen CDU-Bundesgeschäftsführer Ulf Fink. Kein Wunder, dass sich Kohl an der Spree nicht nur Freunde machte mit der Invasion der Nicht-Berliner. Mancher der damals sehr bodenständigen Christdemokraten empfand das als fehlendes Zutrauen. Dass dies Misstrauen nicht unbegründet war, zeigte wenige Jahre später die Bestechungsaffäre um den CDU-Stadtrat Antes, die eine unappetitlich-morastige Parteibasis sichtbar werden ließ und später auch verantwortlich war für die Wahlniederlage des Regierenden Bürgermeisters Eberhard Diepgen.
Dass man Projekte glücklos verfolgen kann – um am Ende doch die Erfolgsrendite der Geschichte auf seiner Seite zu haben, erlebte Helmut Kohl freilich ebenso. Das von ihm seit 1986 massiv vertretene Projekt eines Deutschen Historischen Museums, als Geschenk an Berlin zum 750-Jahr-Feier gedacht, kam lange nicht voran. Insbesondere von der Linken wurde das Museumsprojekt im Spreebogen gegenüber dem Reichstag als Projekt einer konservativ-nationalen Revision heftigst bekämpft; der provisorisch auf dem Baugrundstück gesetzte Grundstein musste von der Polizei bewacht werden.
Kohl hatte große Pläne für die Hauptstadt
Mit dem Mauerfall zeigten sich freilich ganz neue Perspektiven. Wäre Kohls Museum gebaut worden, hätte das die ganze Neuordnung des Regierungsviertels verhindert.
Nur deswegen konnte dann der grandiose Wurf des „Bandes des Bundes“ verwirklicht werden. Monarchisch eigenwillig entschied Helmut Kohl dabei gegen die ursprünglichen Wettbewerbssieger und ließ den Schultes-Entwurf verwirklichen – auch hier freilich griff er ein mit ästhetischen Veränderungen.
Gleichermaßen ging Kohl beim Umbau der Neuen Wache Unter den Linden vor. Gegen heftigsten Protest verfügte Kohl, eine vierzig Zentimeter hohe Figur einer trauernden Mutter von Käthe Kollwitz als Mahnmal „Für die Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft“ auf die vierfache Größe aufzublasen. Der Protest focht ihn nicht an. Der verblasste auch bald, als sich das Mahnmal als durchaus gelungen und proportioniert erwies.
Mit der politischen Architektur Berlins tat sich Helmut Kohl dagegen zuweilen schwer. Selbst in seiner eigenen Partei nahm man dem Einheitskanzler übel, dass der Stadt nach dem Mauerfall sehr abrupt der Subventionshahn zugedreht wurde. „Im Grunde hat die bundesdeutsche Politik Berlin in die Schuldenfalle getrieben“, grollte der Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen, der mit Kohl nie richtig warm wurde.
Wenn Kohl übel nahm, dann auch richtig nachhaltig. Das musste insbesondere der Regierende Bürgermeister Walter Momper (SPD) erfahren. Während der Dauer der rot-grünen Koalition in Berlin von 1989 bis 1990 herrschte Eiszeit zwischen Bonn und Berlin. Momper wurde von Kohl regelmäßig verbal angerempelt, erhielt bei offiziellen Anlässen keine Einladung und erst recht keinen Termin beim Bundeskanzler. Momper beklagte sich öffentlich, dass Kohl „sich beharrlich weigert, den Regierenden Bürgermeister überhaupt zur Kenntnis zu nehmen“.
Keines Blickes gewürdigt wurde Walter Momper auch, als Kohl am 10. November 1989 zusammen mit Willy Brandt auf den Treppenstufen des Schöneberger Rathauses die Maueröffnung würdigte. Bei diesem Anlass zeigte sich freilich auch, wie unbeliebt Kohl damals in Berlin war.
Während bei den Reden von Momper und Brandt ausgelassene Stimmung herrschte, wurde Kohl wegen seiner zu diesem Zeitpunkt als unzeitgemäß empfundenen Wiedervereinigungs-Rhetorik gnadenlos ausgepfiffen. Es war wohl der emotionale Tiefpunkt, den Kohl in Berlin erlebte. Der nachtragende Kanzler verzeichnete es als besondere Genugtuung, dass 1992 bei der Verleihung von Berlins Ehrenbürgerwürde ausgerechnet Momper sein „entschlossenes Handeln, als sich die historische Chance bot, die Spaltung der Nation zu überwinden“, lobte.
Kohl mischte in Berlin weiter mit
Auch nach dem Ende der Kanzlerschaft, nach Wahlniederlage 1998 und angeschlagen durch den CDU-Parteispendenskandal, engagierte sich Kohl weiter in Berlin – nicht immer zur Freude der neuen Parteichefin Angela Merkel. Als Berlin 2001 vom Bankenskandal erschüttert wurde und Neuwahlen anstanden, war Wolfgang Schäuble als Spitzenkandidat im Gespräch. Helmut Kohl, der die Krise auch für ein politisches Comeback in seiner Partei nutzen wollte, machte Merkel einen Strich durch die Rechnung.
Bei einem legendären Treffen in einem Berliner Restaurant überredete er den jungen CDU-Fraktionsvorsitzenden Frank Steffel zur Kandidatur: „Frank, Sie müssen es machen.“
Für viele wirkte es wie die letzte Schlacht des Helmut Kohl. Erst ein Machtwort von Parteichefin Merkel sorgte dafür, dass Kohl nicht jene zentrale Rolle im Berliner Wahlkampf spielte, die sich der Alt-Kanzler gewünscht und angekündigt hatte. Manchem schien schon damals, als habe Kohl jenes sichere Bauchgefühl verlassen, das den Langzeitkanzler immer auszeichnete. Trotz Kohls Segen stand der junge Kandidat Steffel gegen Klaus Wowereit auf verlorenem Posten.