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Berlins Wirtschaftssenatorin Ramona Pop (Grüne) bei einem Pressegespräch.
© Christoph Soeder/dpa/pa

Berlins Wirtschaftssenatorin: Für Ramona Pop wird die Corona-Pandemie zur Feuertaufe

Die grüne Senatorin managt die Berliner Wirtschaft in der Krise und organisierte Milliardenhilfen. Hat sie das Zeug zur Regierenden Bürgermeisterin?

Es ist einer der ersten öffentlichen Frischluftauftritte nach drei Monaten für Ramona Pop, ein herrlich altmodischer Wohlfühltermin, wie ihn Politiker auf der ganzen Welt lieben: eine Schiffstaufe!

Beim Betrachten der Fotos und Videos von der kleinen Feierstunde vergangenen Donnerstag gewinnt man den Eindruck, dass da eine Last abgefallen ist von der Wirtschaftssenatorin und Berliner Bürgermeisterin.

Und zwar genau in der Sekunde, als Pop die letzte Hürde meistert, an der sich schon mancher Schiffspate blamiert hat: Pop holt ordentlich Schwung – und die Schampusflasche zerschellt am Rumpf der „SunCat 120“.

Das Boot ist Berlins erster allein mit Solarstrom angetriebener Ausflugsdampfer, ein Dampfer ohne Dampf für bis zu 180 Personen. Pops Verwaltung hatte die Anschaffung durch die Reederei Stern und Kreis finanziell gefördert mit Einnahmen aus der City-Tax: So geht konkrete grüne Politik, lautet die einfache Botschaft.

Dass an diesem Tag nicht genug Sonne scheint, um die Akkus des Schiffes zu laden, ist nicht weiter schlimm, passt aber ins Bild: Schatten auf dem Sonnendeck.

Senatorin Pop bei der Taufe der „SunCat 120“, Berlins ersten solarbetriebenen Ausflugsboots.
Senatorin Pop bei der Taufe der „SunCat 120“, Berlins ersten solarbetriebenen Ausflugsboots.
© Bernd von Jutrczenka/dpa

Zuletzt hatte Ramona Pop eher wenige Gelegenheiten, zu glänzen und die Themen, die ihrer Partei besonders wichtig sind, zu präsentieren. Es ging seit März allein um den Kampf gegen das Coronavirus, „eine Krise, die sich der Senat nicht ausgesucht oder herbeigeführt hat, was manche gerne vergessen“, sagt Pop in einem Telefonat, in dem es darum gehen soll, zurückzublicken auf die besonders heiße Phase der Coronakrise.

Kampf gegen das Virus

Wie hat die Senatorin diese historisch beispiellose Herausforderung für ihren so wichtigen Verantwortungsbereich, die lokale Wirtschaft, gemeistert? Und hat das ihre Chancen, als Spitzenkandidatin der Grünen bei den Wahlen zum nächsten Abgeordnetenhaus im kommenden Jahr anzutreten, eher gesteigert oder gar vermindert?

Immerhin lagen die Grünen bis April fast ein Jahr lang in den Meinungsumfragen ganz vorn, vor CDU und SPD, womit eine grüne Spitzenkandidatin gleichzeitig gute Chancen gehabt hätte, die nächste Regierende Bürgermeisterin zu werden.

Ramona Pop hat viel von ihrem Image als ewiger Jugendstar ihrer Partei auch über den 40. Geburtstag gerettet. Fast 19 Jahre ist es her, dass sie als Anfang Zwanzigjährige erstmals ins Parlament eingezogen ist, um acht Jahre später auch den Fraktionsvorsitz zu übernehmen.

Heute ist die Wirtschaftssenatorin das bekannteste Gesicht der Berliner Grünen mit Amt oder Mandat. In ihrem Fall sogar mit Amt und Mandat.

„Hatte keine Zeit, mir über Wahlkämpfe ernsthafte Gedanken zu machen“

Der Frage, ob sie 2021 antritt, weicht Ramona Pop aus: „Sie werden es kaum glauben, aber ich hatte in den vergangenen Wochen wirklich keine Zeit, mir über Wahlkämpfe ernsthafte Gedanken zu machen.“

Neben den Fragen zur Liquiditätssicherung der Firmen sei es im Senat um wichtigere Dinge gegangen, zum Beispiel um die Details der Eindämmungsverordnung, also letztlich auch um Leben und Tod. „Man kann sich schon heute kaum noch vorstellen, wie das in den ersten Wochen war. Wir standen täglich vor entscheidenden Fragen.“

Krisensitzung. Pop mit Jan Eder (IHK) und Jürgen Allerkamp (IBB).
Krisensitzung. Pop mit Jan Eder (IHK) und Jürgen Allerkamp (IBB).
© Kevin P. Hoffmann

Deshalb habe sie bereits am 3. März, früher als viele Amtskollegen in den Ländern, erstmals zum „runden Tisch“ der Berliner Wirtschaft geladen. „In den regelmäßigen Runden haben wir gemeinsam festgestellt, dass die Versorgung mit Liquidität das größte Problem sein wird.“

Pop ist nicht allein – aber doch maßgeblich – verantwortlich dafür, dass dies für mehr als 200.000 kleine Unternehmen und Soloselbstständige in Berlin kein ganz so akutes Problem mehr ist.

Sie hat schneller als andere Wirtschaftsminister die dafür nötigen Milliarden organisiert und auszahlen lassen – über die Soforthilfeprogramme der landeseigenen Investitionsbank Berlin (IBB).

Ermittlungen wegen Hilfsgelder-Betrugs

Die dafür nötige Chuzpe und unbürokratische Tatkraft bereiten Pop jetzt Probleme: Staatsanwälte berichten von bis zu 80 neuen Ermittlungsfällen täglich wegen Hilfsgelder-Betrugs.

Und dem Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium, Ulrich Nußbaum, ist aufgefallen, dass Berlin die Auszahlung von Bundesmitteln womöglich nicht an andernorts übliche Kriterien geknüpft hat. Er fordert viele ausgezahlte Millionen des Bundes zurück.

Es kursiert die These, dass Nußbaum gegen Pop schießt, um von der Rolle des Finanzsenators Matthias Kollatz (SPD) abzulenken. Man hört abenteuerlichste Theorien zu Nußbaums Motiv.

Pop sagt nur: „Der Bund hat entscheidende Unterstützung gebracht und Berlin für die schnelle Umsetzung mehrfach gelobt. Die letzten Details klären wir auch noch.“

[Alle aktuellen Entwicklungen in Folge der Coronavirus-Pandemie finden Sie hier in unserem Newsblog. Über die Entwicklungen speziell in Berlin halten wir Sie an dieser Stelle auf dem Laufenden.]

Zurück zum Krisenmanagement. Ein kaltwindiger Abend nach dem zweiten runden Tisch mit Vertretern von Hotels, Gaststätten, Handel, Industrie und Banken am 9. März in Räumen der Investitionsbank IBB in Wilmersdorf.

Pop versucht nach langer Rede, der Situation irgendetwas Positives abzugewinnen: Die Berliner könnten endlich mal ohne lange Touristenschlangen die Panda-Bären im Zoo besuchen oder ein sonst lange ausgebuchtes Restaurant. Wenig später stellt sich diese Frage nicht mehr, weil der Senat beschließt, Zoos und Restaurants zu schließen.

Ein Kritiker sagt, Pops Problem sei, dass sie sich im Senat nicht als oberste Vertreterin der Unternehmen verstehe, nicht genug für die Wirtschaft kämpfe. Vielleicht weil sie selbst nie Unternehmerin gewesen sei.

Pop kam als Studentin nach Berlin

Ramona Pop wurde 1977 in Temeswar im äußersten Westen Rumäniens in eine Familie der Banater Schwaben geboren. Mit der Familie siedelte sie als Fünfjährige über nach Münster.

Als Studentin kam Pop nach Berlin. Anders als manche in der kapitalismuskritischen Parteilinken will sie die Zeiten nicht zurückdrehen, wünscht sich keine schrumpfende Stadt, was diese mit der Hoffnung nach mehr Ruhe und sinkenden Preisen verbinden.

„Viele meiner Freunde aus Studienzeiten mussten damals die Stadt verlassen, da sie hier keine Jobs fanden“, sagt sie. „Das wäre heute anders. Und ich will alles dafür tun, dass es hier weiter aufwärts geht.“ Tut sie genug dafür?

„Es klemmt gewaltig in der Wirtschaft“, hört man in Koalitionskreisen

In der Senatssitzung vergangenen Dienstag stand der Abzug der Fashion Week aus Berlin nach Frankfurt am Main nicht auf der offiziellen Tagesordnung. Aber natürlich war das Thema: Michael Müller sagte nach übereinstimmenden Schilderungen, er sehe die Entwicklung des Wirtschaftsstandorts Berlin „mit Sorge“.

Die Fashion Week sei nicht ein singuläres Problem, sondern die Häufigkeit, mit der sich Big Player wie Google und Microsoft von Berlin abwenden. Auch dass die Hauptstadt im Rennen um den Standort für die Internationale Automobilausstellung (IAA) München unterlag, rufe ein negatives Image hervor, das Investoren abschrecke.

„Es klemmt gewaltig in der Wirtschaft“, hört man in Koalitionskreisen. Von einem „Sterben auf Raten“ ist offen die Rede, und schon vor Corona sei das Messegeschehen rückläufig gewesen. Und früher habe sie heftig kritisiert, die Politik mache sich zu wenig Gedanken um die Zukunft des ICC. „Aber was ist unter ihrer Ägide passiert? Nichts“, lautet die Kritik aus der Koalition.

Die Senatorin: Ramona Popp hält während der Senats-Pressekonferenz ein Plakat hoch. Auf dem Plakat werden Bürger aufgerufen, mit einem Verhaltenskatalog gemeinsam gegen den Virus zu kämpfen.
Die Senatorin: Ramona Popp hält während der Senats-Pressekonferenz ein Plakat hoch. Auf dem Plakat werden Bürger aufgerufen, mit einem Verhaltenskatalog gemeinsam gegen den Virus zu kämpfen.
© Annette Riedl/dpa

Man achtet Pop menschlich, respektiert, dass sie bei den Grünen noch den größten wirtschaftspolitischen Sachverstand habe. Fleißig sei sie, setze sich aber innerhalb ihrer Partei nicht durch, verweise achselzuckend darauf, „wie ihre Partei halt tickt“, zitieren sie Koalitionäre. Sie lasse Bezirke „schalten und walten“.

Dass die Friedrichstraße in Teilen autofrei werden soll, sei „ideologische grüne Verkehrspolitik“, sagen Kritiker. Niemand von den Grünen habe mit dem Verein „Die Mitte“ gesprochen, in dem 170 Akteure aus Handel, Hotellerie, Gastronomie und Immobilien organisiert sind.

Mit Florian Schmidt spreche Pop offenbar auch nicht

Und mit Florian Schmidt, dem Parteifreund und Baustadtrat von Friedrichshain-Kreuzberg, „der größten Pfeife Berlins“, wie ein Mitglied des Senats einmal in kleiner Runde sagte, spreche Pop offenbar auch nicht.

Schmidt versucht unter anderem den geplanten Neubau des Karstadt-Hauses am Hermannplatz zu verhindern, eine Investition von fast einer halben Milliarde Euro in dem Kiez. Pop sagt, das Kaufhaus habe eine wichtige Bedeutung für die Berliner Geschichte und für die angrenzenden Bezirke. Der Senat sei hier gefragt, gemeinsam mit der zuständigen Bausenatorin Katrin Lompscher (Linke) und Michael Müller seien sie an dem Thema dran.

Der Machtkampf zwischen Fraktionschefin Antje Kapek und ihr, wer als Kandidatin für die Regierende Bürgermeisterin ins Rennen geht, ist noch nicht geklärt. Beide werden nicht müde zu betonen, dass sie offen und ehrlich miteinander reden.

In Realokreisen und bei den Parteilinken wird derweil diskutiert, wer der designierten SPD-Spitzenkandidatin Franziska Giffey eher gefährlich werden könnte. Pop, die gerade in einer Krise mitregiert, oder Kapek, für die spricht, dass sie im urgrünen Kreuzberg geboren und aufgewachsen ist und womöglich andere Wählergruppen anspricht.

Richtungsentscheidung bei der Kandidatinnen-Aufstellung

Doch auch Pop ist gut vernetzt. Während sie Milliardenbeträge für die Wirtschaft hin- und hergeschoben habe, um schnell finanzielle Hilfen für Menschen und Unternehmen anzubieten, habe Kapek „Kreuzberger Baumscheiben begrünt“, stichelt ein grüner Spitzenmann.

Bei der Aufstellung der Kandidatinnen werde es um eine Richtungsentscheidung gehen, um den „Blick für die ganze Stadt über die grüne Wohlfühlpolitik hinaus“, sagen ihre Fans. Und dazu gehöre es eben auch, Entscheidungen zu treffen, die nicht immer der grünen Seele schmeicheln.

„Ich habe mich selbst nie in erster Linie als Parteisoldatin verstanden, sondern als jemand, die grüne Politik für die ganze Stadt macht“, sagt Pop selbst.

Als sie nach der Wahl 2016 trotz eines Parteitagsbeschlusses, an der Trennung von Amt und Mandat festzuhalten, ihr Mandat behielt, nahmen ihr das Parteilinke sehr übel.

Pop und die Berliner Grünen-Fraktionsvorsitzende Antje Kapek im Abgeordnetenhaus.
Pop und die Berliner Grünen-Fraktionsvorsitzende Antje Kapek im Abgeordnetenhaus.
© Monika Skolimowska/dpa/pa

Pop, die im Bezirk Mitte ein Direktmandat gewann, argumentierte mit der Mandatsfreiheit und ihrer Verpflichtung den Wählern gegenüber. Ihre parteiinternen Kritiker wiesen auf den bindenden Beschluss hin. Pop ginge es lediglich um eine Absicherung, sollte sie ihren Kabinettsposten verlieren.

Einen Dämpfer erhielt sie beim Parteitag der Grünen im Dezember, als die Partei sich gegen eine IAA aussprach. Das habe auch an ihrer eigenen Performance gelegen, betonen grüne Spitzenleute.

Was denn Pop denn für eine Vision einer zukunftsorientierten IAA gehabt habe? „Sie setzt sich zu wenig mit der Partei auseinander und kommuniziert zu wenig“, lautet eine wiederkehrende Kritik.

Gute Gewinnchancen bei der Kandidatur

Trotz allem hat sie wohl gute Chancen, die Kandidatur der Grünen zu gewinnen. Allein schon, weil kaum ein externer Beobachter der in der Bevölkerung weitgehend unbekannten Kapek einen Wahlsieg zutraut. Aber hat Pop den unbedingten Willen und die Kraft zum Regieren?

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Manche sagen, Pop wolle – oder könne – sich nicht mehr Zeit für Besuche bei Unternehmen nehmen. Teilnehmer von Delegationsreisen nach New York und Boston berichten, sie habe zu wenig Kontakt mit mitreisenden Firmenvertretern gesucht. Auch in Berlin mache sie sich zu rar.

Doch wenn sie bei Unternehmen auftaucht, wird ihr viel Kommunikationstalent attestiert. „Im persönlichen Gespräch kann sie unglaublich charmant und einnehmend sein“, sagt jemand. Auch habe sie dieser Tage ein kurzes Video mit einer Grußbotschaft an Mitarbeiter der IBB, von Visit Berlin und Berlin Partner geschickt, um sich für die gute Arbeit während des Lockdowns zu bedanken.

„Ein wertschätzender Gruß von der Verwaltungsratschefin hilft, so manche besondere Belastung auszuhalten“, sagt ein Banker. Um den nächsten Karriereschritt zu machen, müsste Pop nur noch bei ihren eigenen Leuten den richtigen Ton treffen.

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